Hamburg. Was die neue Vizepräsidentin Luise Gottberg auszeichnet und welches kuriose Geldproblem die größte Abteilung des Vereins plötzlich hat.
Es herrschten fast nordkoreanische Verhältnisse auf der Mitgliederversammlung des FC St. Pauli am Freitagabend, als es in Saal 3 des CCH darum ging, das Präsidium des Bundesliga-Aufsteigers auch durch das Votum der Mitglieder wieder zu vervollständigen. Bereits seit März war Luise Gottberg kommissarisch als Vizepräsidentin tätig gewesen und damit der zuvor zurückgetretenen Christiane Hollander gefolgt. Jetzt sollte es die offizielle Bestätigung geben.
Und diese fiel mehr als deutlich aus. 768 der 803 digital abgegeben Stimmen waren ein Ja, 20 Mitglieder enthielten sich und 15 trauten sich, – aus welchen Gründen aus immer – mit Nein zu stimmen. Das ergab eine Zustimmung von 98,1 Prozent, da die Enthaltungen aus der Wertung fielen.
St.-Pauli-Mitglieder wählen Luise Gottberg mit 98,1 Prozent Ja-Stimmen
Luise Gottberg ist mit ihren 34 Jahren das jüngste Präsidiumsmitglied, das es je beim FC St. Pauli gegeben hat. Über diesen Rekord waren sich jedenfalls die Führungsriege des Vereins und auch Versammlungsleiter Kristian Heiser einig. Nur ein Jahr älter war allerdings St.-Pauli-Legende Holger Stanislawski gewesen, als er vor 20 Jahren zum Vizepräsidenten gewählt wurde. Und auch Oke Göttlich war noch keine 40, sondern erst 38 Jahre jung, als er genau an diesem Sonnabend vor zehn Jahren (16. November 2014) zum Präsidenten gekürt wurde.
Aber es war jetzt nicht in erster Linie ihre jugendliche Frische, mit der Luise Gottberg die Mitglieder von sich überzeugte. Die Rechtsanwältin wohnt in Stadionnähe auf St. Pauli, hat früher auf der Gegengeraden gestanden, wechselte dann auf die Südtribüne, wo die Ultras ihre Heimat bei den Spielen haben und sitzt jetzt, da sie seit März dem Präsidium angehört, „aus Gründen“, wie sie sagte, auf der Haupttribüne des Millerntor-Stadions.
Luise Gottberg wird für zehn Wochenstunden bezahlt
Zuständig ist sie innerhalb des Präsidiums für die Bereiche Fans, Recht und Sicherheit. Das passt perfekt zum Beruf und ihrer eigenen Leidenschaft als Fan. „Es ist meine erste Prämisse, mich für unsere Fans einzusetzen“, sagte Luise Gottberg bei ihrer Vorstellung. Das kam natürlich gut. Als Expertin für öffentliches Recht gibt es da künftig zweifellos einige Ansatzpunkte.
Ehrenamtlich ist Luise Gottberg auch schon vor ihrem präsidialen Engagement beim FC St. Pauli aktiv gewesen. „Ich habe mal das Wohlwillstraßenfest mitorganisiert“, berichtete sie. Jetzt wird sie im Präsidium allerdings nicht ganz ehrenamtlich arbeiten, sondern ist für zehn Wochenstunden angestellt. Gleiches gilt für Vizepräsidenten-Kollegin Hanna Obersteller. Präsident Oke Göttlich arbeitet bekanntlich seit knapp eineinhalb Jahren hauptamtlich in dieser Funktion.
St. Paulis größte Abteilung wächst rasant weiter
Im Verein gehört Luise Gottberg der Abteilung Fördernde Mitglieder (AFM) an, die mit mehr als 22.000 Mitgliedern die deutlich größte Abteilung des Millerntorclubs ist. Allein im Mai habe es im Zuge des Bundesliga-Aufstiegs den Rekord von 719 Neuanmeldungen gegeben, berichtete AFM-Vorständin Carina Wüst. 3913 waren es im gesamten Geschäftsjahr. Dabei ist eine Motivation für diesen Andrang, dass bei den meisten Heim- und aber auch Auswärtsspielen nur noch Vereinsmitglieder eine Chance habe, eine Eintrittskarte zu ergattern.
Im vergangenen Geschäftsjahr konnte die AFM über die stattliche Summe von 1,5 Millionen Euro verfügen. Davon flossen, so berichtete Carina Wüst, 1,4 Millionen an das Nachwuchsleistungszentrum (NLZ). Die vor 25 Jahren gegründete und einst von ehemaligen Präsidien durchaus mit Argwohn betrachtete Abteilung hatte sich bisher satzungsgemäß die Förderung des Nachwuchsfußballs auf ihre Fahnen geschrieben.
Die AFM steht vor der Frage: Wohin mit dem ganzen Geld?
Doch damit ist es jetzt plötzlich weitgehend vorbei. Das Finanzamt erkennt das NLZ nicht mehr als eine förderungswürdige, gemeinnütze Institution an, sondern sieht es als Teil des wirtschaftlichen Zweckbetriebs, also des Profifußballs an. Entsprechend muss jetzt die Finanzierung des NLZ komplett aus dem Sportetat des Vereins geleistet werden.
Für die AFM stellt sich mithin ein kurioses Problem und die Frage: Wohin mit dem ganzen Geld? „Statt des großen Leuchtturms NLZ wollen wir jetzt viele kleine Projekte fördern“, kündigte Carina Wüst jetzt an. Und sie nannte als eine der ersten Maßnahmen, dass an zwei Stadiontoiletten für Rollstuhlfahrer jetzt Türen mit AFM-Geldern installiert wurden, die per Knopfdruck und nicht mehr mit einer Klinke zu öffnen sind.
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Die neue Situation aber machte es auch nötig, dass die AFM ihre Satzung ändern musste. „Wir haben Nachhaltigkeit und Inklusion in die Satzung aufgenommen, um eine größere Auswahl an Projekten zu haben“, sagte Carina Wüst weiter. Neu bei der AFM ist auch, dass die Abteilung von einer Doppelspitze geführt wird. Nach mehr als 20 Jahren als Abteilungsleiter hatte Alexander Gunkel seinen Posten abgegeben.
St. Paulis Versammlung endete erst um 0.16 Uhr
„Deine Reden werden mir ein Stück weit fehlen“, hatte dazu Präsident Oke Göttlich gesagt. Gunkel war bekannt dafür, pointiert zu reden, auch kritische Themen anzusprechen und dabei kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Dies tat auch der frühere Aufsichtsrat Holger Scharf, heute nur noch einfaches AFM-Mitglied, nicht, als er beklagte, dass Gunkel die Abteilung zu einem „closed shop“ gemacht habe und er sich nicht gut genug informiert fühle.
Dies allerdings war praktisch der einzige Anflug eines Misstones auf der Mitgliederversammlung, die dennoch über die Tagesgrenze hinausging und erst gegen 0.16 Uhr endete, nachdem zum Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ keines der noch verbliebenen rund 500 Mitglieder etwa zu sagen hatte. Die zuvor beim Ordnungsdienst vorsorglich erbetene Dienstverlängerung bis 1.30 Uhr musste somit doch nicht in Anspruch genommen werden.