Hamburg. Der FC St. Pauli startet am Sonntag offiziell mit dem Verkauf des Millerntor-Stadions. Wie DFB-Boss Rettig das Modell bewertet.

Der FC St. Pauli feiert an diesem Freitagabend eine große Party. Es gibt eine Rede von Bürgermeister Peter Tschentscher, eine Grußbotschaft von DFB-Sportgeschäftsführer Andreas Rettig, einen DJ-Auftritt, ein großes Feuerwerk und jede Menge Zipp und Zapp. Am Abend vor dem Heimspiel gegen den FC Bayern München (15.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) gibt der Bundesliga-Aufsteiger im Millerntor-Stadion den offiziellen Startschuss für die neue Genossenschaft „Football Cooperative St. Pauli eG“ (FCSP eG).

St. Pauli erhofft sich von dem Modell, das einen Verkauf des Millerntor-Stadions an Fans, Mitglieder und Sympathisanten vorsieht, Einnahmen von rund 30 Millionen Euro. Die Kosten für einen Anteil liegen bei 750 Euro, hinzu kommen 32 Euro Verwaltungsgebühren und 68 Euro für Rücklagen der eG. Schon bevor es am Sonntag (10 Uhr) offiziell losgeht, sicherten sich bis zum späten Freitagnachmittag mehr als 2000 Menschen in einer Vorzeichnungsphase Anteile, was Einnahmen von knapp drei Millionen Euro bedeutete.

FC St. Pauli: Andreas Rettig lobt neues Genossenschaftsmodell

„Ich finde das Modell wunderbar, da es den Konflikt zwischen Kapitalaufnahme auf der einen und Mitbestimmung und Teilhabe auf der anderen Seite elegant auflöst. Ungeachtet der Kapitalzufuhr ist jede Stimme gleich viel wert und zahlt auch deshalb auf den Vereinsgedanken ein“, sagt Andreas Rettig im Gespräch mit dem Abendblatt.

Der heutige DFB-Sportgeschäftsführer war während seiner Zeit bei St. Pauli entscheidend an der Entwicklung der Genossenschaftspläne beteiligt. Im Nachhinein würde sich Rettig wohl nicht damit schmücken wollen, doch im Kern war es seine Idee, die beim Kiezclub nun Jahre später umgesetzt wird.

Rettig arbeitete einst selbst an einer St.-Pauli-Genossenschaft

„Wir hatten uns in der Tat schon während meiner Amtszeit mit diesem Ansatz beschäftigt, konnten es damals aufgrund noch zu klärender steuerrechtlicher Themen aber nicht umsetzen. Dass dieses Konzept jetzt Antworten auf die damaligen Herausforderungen gefunden hat, ist großartig. Dazu kann man nur gratulieren“, sagt Rettig.

Als der heute 61-Jährige den Kiezclub Ende September 2019 nach rund vier Jahren verließ, lag das Projekt zunächst einmal auf Eis. Entscheidende Schritte vollzog dann Wilken Engelbracht, der vor rund einem Jahr die Position des kaufmännischen Geschäftsleiters von Bernd von Geldern übernahm. Die Genossenschaft soll ein kreativer Finanzierungsweg sein, ohne in Abhängigkeit eines Investor zu geraten.

Schalke 04 plant ein ähnliches Vorgehen wie St. Pauli

Erste Nachahmer gibt es bereits, im Oktober kündigte Zweitligist Schalke 04 an, einen ähnlichen Weg gehen zu wollen. In einem ersten Schritt soll wie bei St. Pauli eine Genossenschaft in die Veltins Arena investieren. „Ich bin sicher, dass dieser Weg ein Zukunftsmodell darstellt. Es wird nicht bei einem Nachahmer bleiben“, sagt Rettig.

Der Funktionär kennt sich mit Genossenschaftsmodellen aus, investierte gemeinsam mit seiner Frau auch in ein Modell zum Erhalt der Kölner Fußballkneipe „Lotta“. Nachdem die Genossenschaft vor rund eineinhalb Jahren gegründet wurde, um den Abriss des Wohnhauses, in dem die linke Kneipe von Fans des 1. FC Köln und des FC St. Pauli beheimatet ist, zu verhindern, gab es vor wenigen Wochen den Durchbruch. Die Genossenschaft kaufte das gesamte Wohnhaus, erhielt die Fankneipe und wird darüber in Zusammenarbeit mit einem Sozialpartner Wohnraum für alleinerziehende Mütter schaffen.

Rettig will Göttlich nach Köln einladen

Auch St. Paulis Präsident Oke Göttlich kennt das „Lotta“-Projekt – und darf laut Rettig zeitnah auf eine Einladung zum „Genossenschaftstreff“ nach Köln hoffen. Der DFB-Boss hegt weiterhin große Sympathien für den Kiezclub, verzichtete aber aus Compliance-Gründen darauf, Gründungsmitglied der Genossenschaft zu werden.

Wird Rettig denn aber zumindest ein „einfacher Genosse“ bei den Hamburgern? „Ja, nach Rücksprache mit meiner Frau gibt es das Haushaltsgeld her und wir werden Anteile zeichnen“, antwortet der gebürtige Kölner.

GER, Herren, UEFA NATIONS LEAGUE 2024/2025, Deutschland - Ungarn
Andreas Rettig ist heute als Sport-Geschäftsführer beim DFB tätig. © picture alliance | Ulrich Hufnagel

Um die finanzielle Lücke zu Bundesliga-Spitzenclubs zu schließen, wird die Genossenschaft den Kiezkickern allerdings nicht reichen. Zur Verdeutlichung: Der FC Bayern hat mit rund 940 Millionen Euro einen mehr als 23-mal (!) so hohen Kaderwert wie der FC St. Pauli (rund 40 Millionen Euro). „Unterschätzen Sie die Zeichnungsbereitschaft der St.-Pauli-Familie nicht“, sagt Rettig daraufhin und lacht.

Rettig wünscht sich eine solidarischere Verteilung im Profifußball

Doch auch der DFB-Funktionär weiß genau, dass das Geld im Profifußball äußerst ungleich verteilt ist. „Alle Clubs sollten aus eigenem Interesse für spannende Wettbewerbe sorgen. Dass eine solidarische Verteilung hier kein Nachteil ist, versteht sich von selbst“, sagt Rettig, diesmal ohne zu lachen. Während seiner Zeit als DFL-Geschäftsführer (2013 bis 2015) lernte Rettig aber auch, wie schwierig es sein kann, eine gerechtere Verteilung herbeizuführen.

Durch seinen neuen Job beim DFB, wo er im September 2023 auf Oliver Bierhoff folgte, muss sich Rettig bei öffentlichen Äußerungen mittlerweile etwas mehr zurückhalten. Mit den langjährigen Bayern-Bossen Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß legte sich der Funktionär in der Vergangenheit öffentlich an. Rund ein Jahr vor seinem DFB-Engagement kritisierte Rettig den FC Bayern noch in einer denkwürdigen „Doppelpass“-Sendung für dessen Verbindungen nach Katar.

Hoeneß beschimpfte Rettig live bei Sport1

Hoeneß wiederum rief damals wutentbrannt bei der TV-Show an, beschimpfte Rettig im Live-Programm als „König der Scheinheiligen“. Und wie ist das Verhältnis der Fußballbosse heute? „Ich habe zu allen operativ tätigen Verantwortlichen des FC Bayern ein vertrauensvolles Verhältnis“, sagt Rettig. Um diese Aussage einzuordnen, muss man wissen, dass Hoeneß als Aufsichtsrat und Ehrenpräsident der Münchner nicht mehr operativ tätig ist.

Mehr zum Thema

Mit der Vergangenheit will sich Rettig aber nicht mehr aufhalten, er blickt heute lieber nach vorne – und würde sich an diesem Sonnabend wohl über einen Überraschungssieg seines Ex-Clubs freuen. „Ich drücke jeder der beiden Mannschaften einen Daumen, einer Mannschaft etwas kräftiger“, sagt Rettig. Damit die St.-Pauli-Party vom Freitagabend auch am Sonnabend noch weitergefeiert werden kann.