Hamburg. Exklusiv: Neue Genossenschaft will an die 30.000 Fans gewinnen, die das Stadion mehrheitlich kaufen. Was der Club mit dem Geld macht.

Es ist nicht weniger als eine Revolution im deutschen Profifußball, jedenfalls was das entscheidende Thema der Finanzierung betrifft. Der FC St. Pauli wird sein Millerntor-Stadion über die neu gegründete Genossenschaft „Football Cooperative St. Pauli eG“ (FCSP eG) mehrheitlich an seine Mitglieder, Fans und Sympathisanten verkaufen. Zwischen mindestens 25 bis 35 Millionen Euro sollen so eingenommen werden. Aber auch die neuen Anteilseigner können finanziell profitieren.

Exklusiv: St. Paulis Pläne mit der neuen Genossenschaft

Im Exklusiv-Interview mit dem Abendblatt nehmen St. Paulis kaufmännischer Geschäftsleiter Wilken Engelbracht (51) und Genossenschaftsvorstand Andreas Borcherding (60) ausführlich Stellung zu allen wichtigen Fragen rund um dieses Finanzierungsmodell, das am Ende auch ein Vorbild für alle Clubs werden kann, die wie der FC St. Pauli ihre Profiabteilung nicht ausgliedern, sondern weiterhin als eingetragener Verein (e.V.) agieren möchten.

Hamburger Abendblatt: Die entscheidende Frage, die sich alle bisher alle an der Genossenschaft Interessierten gestellt haben, ist natürlich: Was kostet jetzt ein Anteil an der FCSP eG?

Andreas Borcherding: Das haben wir in der Satzung geregelt. Ein Anteil kostet 750 Euro. Wie es bei Genossenschaften üblich ist, gibt es ein Eintrittsgeld, das bei uns 68 Euro kostet, und eine ebenfalls einmalige Verwaltungskostenpauschale von 32 Euro. Also ist man mit 850 Euro mit einem Anteil dabei.

FC St. Pauli geht einen im Profifußball völlig neuen Weg der Finanzierung

Warum hat jemand, der beispielsweise 20 Anteile erwirbt, dennoch nur eine Stimme in der Generalversammlung?

Borcherding: Das Schöne an der Genossenschaft ist ja, dass das Genossenschaftsgesetz diesen Rahmen vorgibt. Man kann also beliebig viele Anteile erwerben, hat aber nur eine Stimme. Final muss immer der Vorstand der Genossenschaft der Aufnahme zustimmen. Grundsätzlich nehmen wir gern Personen auf, die mehrere Anteile erwerben, wenn sie es finanziell schaffen.

Können nur Einzelpersonen Anteile erwerben, oder zum Beispiel auch Vereine, Firmen oder Personen, die sich zu einer Gruppe zusammentun?

Andreas Borcherding (60) gehört zu den vier Personen, die den ehrenamtlich tätigen Vorstand der neuen Genossenschaft bilden.
Andreas Borcherding (60) gehört zu den vier Personen, die den ehrenamtlich tätigen Vorstand der neuen Genossenschaft bilden. © FC St. Pauli

Borcherding: Wir haben ja schon einen Verein in der Genossenschaft, das ist der FC St. Pauli e.V. Insofern ist klar, dass neben Privatpersonen auch Vereine und Firmen Mitglied werden können.

Ab wann können Anteile erworben werden?

Borcherding: Die Genossenschaft ist bereits am 1. April gegründet worden. Wir wollen zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiv rausgehen und die Fans und anderen Interessierten für uns gewinnen. Wir peilen einen Zeitpunkt noch in diesem Herbst an.

Wilken Engelbracht: Daran wird auch nicht mehr gerüttelt. Den genauen Tag geben wir noch bekannt.

Marktforschung ergab, dass 750 Euro ein sinnvoller Preis für einen Anteil ist

Wie ist der Betrag von 750 Euro zustande gekommen?

Borcherding: Die Antworten aus der Marktforschungsumfrage lagen dem zu Grunde. Wir haben uns überlegt, welcher Wert unseren Ambitionen entspricht, aber auch noch finanzierbar ist.

Warum trägt die Genossenschaft einen englischen Namen? Ist das ein Hinweis, dass man sich verspricht, auch im Ausland Mitglieder zu gewinnen?

Engelbracht: Ein Grund ist, dass die Abkürzung des Namens, also FCSP, uns sehr vertraut ist. Dazu ist Cooperative der englische Begriff für Genossenschaft. Die Internationalität belegt, dass wir auch für Menschen jenseits der Grenzen offen sind. 

Jedem Genossenschaftsmitglied wird ein Anteil am Stadion gehören

Was genau wird der Genossenschaft gehören, woran erwirbt man mit den 750 Euro konkret einen Anteil?

Engelbracht: Im ersten Schritt wird die Genossenschaft eine Beteiligung am Millerntor-Stadion erwerben. Die Höhe hängt davon ab, wie viel Geld die Genossenschaft über die Ausgabe von Anteilen einwerben wird. Verein und Genossenschaft haben das Ziel, dass die Genossenschaft im Idealfall einen Mehrheitsanteil am Stadion erwerben wird. Einfach beschrieben bedeutet dies: Jede Genossin und jeder Genosse kann Miteigentümer unseres Stadions werden. Das ist das erste gemeinsame Projekt zwischen Genossenschaft und Verein.

Wilken Engelbracht (51) ist kaufmännischer Geschäftsleiter des FC St. Pauli.
Wilken Engelbracht (51) ist kaufmännischer Geschäftsleiter des FC St. Pauli. © FC St. Pauli

Welchen Wert hat das Stadion aktuell? Die Kosten für den sukzessiven Neubau zwischen 2007 und 2015 beliefen sich ja auf rund 60 Millionen Euro.

Engelbracht: Wir lassen den genauen Wert durch ein unabhängiges Gutachten bestimmen. Auf der einen Seite verliert ein Stadion an Wert, wenn es älter wird, auf der anderen Seite wurde auch immer wieder nachinvestiert. Von daher bewegen wir uns auch aktuell in ähnlichen Bereichen.  

Borcherding: Grundsätzlich spiegeln die Einnahmen, die durch das Stadion erzielt werden, den Wert des Stadions wider. Daraus ergibt sich auch, wie hoch die Pacht sein wird, die der Verein für das Stadion an die FCSP eG zahlt.

Engelbracht: Das Geschäftsmodell der Genossenschaft ist recht simpel, die ja Miteigentümer und Vermieter des Stadions wird. Dabei fließen Mieteinnahmen nicht nur für die Spieltage vom Verein, sondern auch von Mietern wie der Kita.  Das ist ein stabiles Geschäftsmodell, das Jahr für Jahr fest kalkulierbare anteilige Erträge für die Genossenschaft ermöglicht. Deshalb ist es für uns und die Genossenschaft der richtige erste Schritt, weil es ein einfach und klar zu kommunizierendes Geschäftsmodell ist, hinter dem ein physischer Wert, das Millerntor-Stadion, steht. Insofern ist es eine werthaltige Investition.

Borcherding: So viel ändert sich für den Verein übrigens gar nicht. Schon jetzt liegt das Stadion in der MSB (Millerntor-Stadion Beteiligungsgesellschaft, die Red.), die auch jetzt schon an den Verein verpachtet.

Der Wert des Millerntor-Stadions wird auf rund 60 Millionen Euro taxiert

Sind jährliche Ausschüttungen von Überschüssen an die Anteilseigner geplant oder ist es für die neuen Genossen eher eine emotionale Beteiligung?

Borcherding: Das Emotionale dabei ist, dass wir satzungsgemäß die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Zwecke des FC St. Pauli e.V. fördern. Das ist so in der Satzung festgelegt. Grundsätzlich möchten wir Mitglieder haben, die diesen anderen Fußball möglich machen wollen und sich deshalb beteiligen.

Und inwiefern ist es auch finanziell interessant?

Borcherding: Wir haben eine Modellierung, die uns erlaubt, Überschüsse zu erzielen aus der Verpachtung. Das muss auch so sein. Am Ende entscheidet die Generalversammlung, was mit den Überschüssen passiert. Wir gehen von einer jährlichen Rendite von ungefähr zwei Prozent aus. Es ist also keine Anlage, bei der eine hohe Rendite im Vordergrund steht. Es geht in erster Linie um den Satzungszweck, den Verein zu unterstützen.  

Engelbracht: Ich betone aber auch, dass wir als Verein kein Geld geschenkt bekommen wollen. Vielmehr ist es eine Anlage, die verzinst werden soll, wenn auch in überschaubarer Form. Zudem besteht immer die Möglichkeit, seinen Anteil wieder zu verkaufen. Es ist eine Form der Investition mit hoffentlich stabiler, wenn auch nicht Aktienmarkt-typischer Verzinsung, aber auch einem stabilen, geringen Risiko in Verbindung mit einem hohen ideellen Wert. Diese Verbindung war uns immer wichtig. Wir wollten eine Kombination aus wirtschaftlicher und ideeller Anlage.

Die Genossenschaft peilt eine Rendite von rund zwei Prozent an

Was kann denn eine andere Verwendung eines Überschusses sein als die Ausschüttung an die Mitglieder?   

Borcherding: Die Generalversammlung könnte auch entscheiden, in neue Projekte zu investieren.

Welches Risiko darf die Genossenschaft eingehen? Darf sie sich auch an externen Immobilien beteiligen, wenn dies besonders lukrativ erscheint?

Borcherding: Der Satzungszweck ist klar und schließt dies aus. Es geht ausschließlich um die Förderung des Vereins. Das muss aber nicht zwingend der Profisport sein.

Engelbracht betont: „Der FC St. Pauli will kein Geld geschenkt bekommen“

Welchen Zwang gibt es für die Mitglieder, Geld nachzuschießen, wenn die Genossenschaft doch in finanzielle Probleme gerät?

Borcherding: Die Nachschusspflicht ist durch die Satzung ausgeschlossen. Ganz grundsätzlich besteht immer ein theoretisches Risiko, dass der Anteil verloren gehen kann. Aber wir haben ein sehr solides Modell. Das Stadion besteht schon lange als Betrieb, und wir wissen, wie der Betrieb funktioniert. Historisch gesehen sind Genossenschaften am solidesten gegen Insolvenzen aufgestellt. Wir gehören dem Hamburger Prüfverband an und werden von daher beaufsichtigt.

Engelbracht: Die Genossenschaft wird künftig unser wichtigster Geschäftspartner sein. Mit ihr werden wir in Zukunft auch weitere Geschäftsideen diskutieren, die dann bei Interesse gemeinsam mit der Genossenschaft finanziert werden können. Für uns als Verein kann es nicht die erste Option sein, für jedes Investitionsprojekt weiteres Fremdkapital von Banken aufzunehmen.

Genossenschaft hat vier Vorstandsmitglieder und fünf Aufsichtsräte

Wie arbeitet der Vorstand der Genossenschaft, wie autark darf er entscheiden?

Borcherding: Erst einmal wird der Vorstand von einem Aufsichtsrat bestellt und führt die operativen Geschäfte eigenverantwortlich. Grundsätzlich ist die FCSP eG unabhängig vom Verein. Beide arbeiten eng zusammen, aber formal getrennt. In der Satzung ist aber geregelt, dass der Verein ein Drittel der Aufsichtsräte der Genossenschaft stellen darf. Die Mehrheit dürfte er aber laut Gesetz nicht haben. Im Moment arbeiten die vier Vorstände ehrenamtlich. Wenn wir in den Betrieb übergehen, wollen wir eine sehr kostengünstige Struktur aufbauen, mit einer oder zwei Stellen. Dazu werden wir Dienstleistungen vom Verein beziehen, wie etwa die Buchhaltung.

Wer wählt den Aufsichtsrat?

Borcherding: Das macht die Generalversammlung. Derzeit sind es fünf Aufsichtsräte, eine geringe Erhöhung der Mandate ist denkbar.

Der FC St. Pauli hat inzwischen 45.000 Mitglieder

Mit wie vielen Anteilseigner rechnen Sie und mit welcher Summe, die im Endeffekt zustande kommt. Was hat da die Umfrage und die Marktforschung ergeben?

Borcherding: Die Marktforschung hat ermittelt, dass im Durchschnitt pro Mitglied 1,6 Anteile gezeichnet werden. Wir gehen von 20.000 bis 30.000 Personen aus, die Mitglied der Genossenschaft werden möchten. Wir spüren ein sehr großes Interesse unter den 45.000 Vereinsmitgliedern, aber auch bei Externen, die zu den Ideen des Vereins stehen.

Engelbracht: Wir betreten hier Neuland, weil wir nicht immer nur über die durch klassische Investoren getriebenen Fußball-Finanzierungsformen meckern, sondern eine Alternative aufzeigen wollen. Daher hoffen wir, dass wir eine Unterstützung für diesen neuen Weg bekommen. Wir merken auch, dass andere Vereine darauf aufmerksam werden. Wir wollen einen Stein ins Rollen bringen.

Gibt es zunächst eine Obergrenze an zum Verkauf stehenden Anteilen?

Borcherding: Wir wollen erst einmal so viel Geld einsammeln, dass es für die angestrebte Mehrheitsbeteiligung am Stadion reicht. Wir wollen uns nicht übernehmen. Danach könnten wir weitere Ideen entwickeln.  

Genossenschaft bietet für die Beteiligung auch ein Ansparmodell an

Das heißt, es können zunächst maximal rund 35 Millionen Euro sein?

Engelbracht: So in etwa von dieser Größenordnung sprechen wir. Wir definieren keinen Endzeitpunkt für die Anteilszeichnung. Es bedeutet aber auch, dass jeder Interessent nicht zu lange warten sollte, weil es irgendwann sein kann, dass wir die erste Runde der Beitrittsmöglichkeit schließen.

Gibt es die Möglichkeit einer Ratenzahlung, wenn man die 750 Euro für einen Anteil nicht auf einem Mal so übrig hat.

Borcherding: Wir bieten dafür auch ein Ansparmodell an, weil wir nicht möchten, dass sich jemand verschuldet, um Mitglied der Genossenschaft zu werden, oder weil man eben keine 850 Euro auf einmal zur Verfügung hat. Das ist auch wichtig für uns.

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Wie wird der Verein die erhofften 25 bis 35 Millionen Euro verwenden? In der Bundesliga-Winterpause ist das Transferfenster ja wieder geöffnet…

Engelbracht: Für uns steht an erster Stelle, dass wir den Verein damit fast komplett entschulden können. So wollen wir die Darlehen für das Stadion vorzeitig tilgen. Dies hat ein Volumen von rund 15 Millionen Euro. Die weiteren Gelder wollen wir verwenden, um die Corona-Darlehen zurückzuzahlen. Es ist auch für die Genossenschaft sinnvoll und wichtig, dass der Mieter des Stadions, also der Verein, wirtschaftlich und finanziell so stabil wie möglich auf beiden Beinen steht.

Stadion-Erweiterung könnte wieder zu einem Thema werden

Und wenn noch mehr Geld zur Verfügung steht?

Engelbracht: Weitere Mittel könnten wir in die Weiterentwicklung des Stadions verwenden. Perspektivisch möchten wir auch Themen wie die weitere Eckbebauung des Millerntor-Stadions wieder aufnehmen, um den dringenden Bedarf an weiteren Plätzen aktiv anzugehen.

Der FC St. Pauli will zunächst alle Darlehen und Kredite ablösen

Einen spektakulären und teuren Winterzugang wird es also trotz der neuen Möglichkeiten nicht geben?

Engelbracht: Grundsätzlich ist ein wirtschaftlich solider, starker Verein in Zukunft immer auch besser in der Lage, dem Sport die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen.