Hamburg. Nach dem 0:0 gegen RB Leipzig ist Aufsteiger FC St. Pauli in der Bundesliga gelandet. Doch bleibt das neue Erfolgsrezept auch?

Ein Ufo wurde dieser Tage nicht im Umfeld des FC St. Pauli gesichtet. Trotzdem ist am Sonntag im Millerntor-Stadion die Sichtung zweier Außerirdischer von 29.251 Zeugen belegt worden. Oladapo Afolayan und Elias Saad, in der Startelf in dieser Saison bis dato so selten anzutreffen wie Aliens auf der Erde, durften von Beginn an ran. Dass sie auf den Außenbahnen galaktisch gut spielten, trug maßgeblich zum 0:0 gegen RB Leipzig bei, das auch gut und gern ein Sieg hätte sein können, dem Aufsteiger zumindest den ersten Saisonzähler in der Erstklassigkeit sicherte.

„Wir sind in der Bundesliga gelandet“, sagte Cheftrainer Alexander Blessin. Wer landen will, braucht vorher in aller Regel Flüüügel, und die verlieh Blessin seinem Team auch ganz ohne Red Bull. Stattdessen kam die vergangene Saison in der Zweiten Liga gefürchtete Flügelzange aus Afolayan rechts und Saad links zum Einsatz. Damit einher ging die Systemumstellung von 3-5-2 auf 3-4-3.

FC St. Pauli: Plötzlich spielen Oladapo Afolayan und Elias Saad von Beginn an

Diese simple taktische Maßnahme hatte sich bei Fans und Medien in den vergangenen Wochen fast zu einem Politikum entwickelt. Dass Blessin auf zwei seiner individuell besten Spieler ebenso verzichtete wie auf die erfolgreiche Zweitligaformation, erschien vielen verwunderlich. Der 51-Jährige wollte aber zunächst auf eine stabile Defensive setzen. Das Problem an der Geschichte: Offensiv fehlten der unorthodoxe und unberechenbare Dribbler Saad auf links sowie der torgefährliche Supersprinter Afolayan auf rechts spürbar.

Saad hatte seinen Frust über die Bankrolle zuletzt öffentlich geäußert. Am Sonntag sagte der 24-Jährige versöhnlich: „Es ist nicht so, dass ich dem Trainer etwas beweisen wollte. Er vertraut mir, das wollte ich zurückzahlen.“ Das gelang mit den meisten Kilometern (13) und Sprints der Mannschaft.

Weicht Alexander Blessin nun wieder vom 3-4-3 ab?

Genau die „Basics“ also, von denen Blessin gern spricht und auf die er großen Wert legt. „Wir haben unglaublich gut gegen den Ball gearbeitet, waren agil und aggressiv, wodurch wir hervorragende Ballgewinne erzielt und daraus Torchancen kreiert haben. Es ist extrem wichtig, davon nicht abzuweichen“, sagte der Trainer.

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Superdribbler unter sich: St. Paulis Elias Saad (24/r.) und Leipzigs Xavi Simons (21). © Witters | Leonie Horky

Heißt die Anti-Abweichungsstrategie also zugleich, die dauerhafte Rückkehr zum 3-4-3? Darauf wollte sich Blessin, der von den permanenten Systemfragen inzwischen latent genervt wirkt, nicht festlegen. „Ich glaube, beide Systeme haben ihre Vorteile. Ich kämpfe da gar nicht gegen an“, sagte der Schwabe. Er denke daran, was der Mannschaft guttue, „und defensive Stabilität brauchen wir“. Den Einsatz von Afolayan und Saad gegen den Ball lobte Taktiker Blessin. „Dazu haben sie vorne einen Mittelweg zwischen dem eins gegen eins und dem frühzeitigen Abspiel gefunden. Gerade Afolayan findet diesen Punkt manchmal nicht.“

Eric Smith relativiert die Systemfrage: „Der Hauptgrund war die Intensität“

Dass St. Pauli den ersten Bundesliga-Punkt gegen Leipzig fand, lag laut Spielmacher Eric Smith auch am Flügelduo, das „ein unglaubliches Spiel gemacht hat“, aber eben nicht nur. „Der Hauptgrund war die Intensität“, sagte der Schwede.

In der Tat waren die Hamburger nach dem schlappen Auftritt der Vorwoche beim FC Augsburg (1:3), den Blessin als „mutlos“ kritisiert hatte, kaum wiederzuerkennen. Den Prozess, der sich nicht auf Knopfdruck erzeugen lässt, beschleunigten unter der Woche viele teaminterne Gespräche. „Wir waren ehrlich zueinander, weil das bisher einfach nicht genug von uns war. Zum Glück haben wir gezeigt, dass wir nicht nur reden, sondern es auch zeigen können“, sagte Smith. Blessin bezeichnete die Selbstkritik seiner Spieler als „brutal“.

St. Pauli will in der Formation variabel bleiben

Gelöst scheint dadurch zwar der Knoten, aber längst noch nicht alle spielerischen Probleme, die sich weiterhin verstärkt in der Offensive ballen. Abgesehen von der mangelnden Chancenverwertung könnten die Kiezkicker weiterhin mehr Tiefenläufe wagen. „In ein paar Situationen gegen eine sehr hoch stehende Verteidigung sind wir zu kurz gekommen, anstatt diese Tiefe zu fordern. Die Läufe tun extrem weh und sind häufig umsonst, aber sie ziehen die Kette nach hinten und öffnen Räume“, sagte Blessin.

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St. Paulis Cheftrainer Alexander Blessin (51) jubelte gegen RB Leipzig bereits zur Halbzeit in Richtung Südtribüne. © Witters | Leonie Horky

Eine Vorgabe, die systemunabhängig ist. Überhaupt spielt die Grundaufstellung in der Mannschaft nur eine untergeordnete Rolle, die „Systemopfer“ Afolayan und Saad vielleicht mal ausgenommen. „Wir brauchen nach wie vor auch beide Systeme. Wir werden nicht immer im 3-4-3 spielen können. Diese Variabilität ist auch wichtig, um für den Gegner nicht so ausrechenbar zu sein“, sagte der sehr intelligente Johannes Eggestein.

Aufsteiger landet und möchte nicht gleich wieder abheben

Der Mittelstürmer räumte allerdings ein, dass zu merken war, wie gut die Akteure in den Abläufen des 3-4-3 eingespielt gewesen seien. „Die Spieler waren in den richtigen Positionen. Ich würde aber nicht sagen, dass das in dem anderen System nicht möglich ist.“ Ihre eigene Interpretation besaßen einige St.-Pauli-Fans, die ein Banner hissten, auf dem stand: „3-5-2, 3-4-3, das falsche System heißt Kapitalismus.“

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Nicht das Thema für Blessin, der nach der Landung in der Bundesliga nicht gleich abheben möchte und den Klassenerhalt weiter als oberstes Ziel betont. So viel scheint nun klar: Der Weg dorthin kann mal mit Flügeln zurückgelegt werden, mal ohne. Ein Ufo kommt schließlich auch ohne aus.