Hamburg. Lars Mrosko ist einer der bekanntesten Scouts Deutschlands. Heute ist er raus aus dem Geschäft und übt Kritik an Ex-Club Union Berlin.
Das Wichtigste muss Lars Mrosko noch nachschieben. „Das Allerwichtigste überhaupt“, wie er sagt. Dafür meldet sich der 47-Jährige nach dem Gespräch noch mal telefonisch beim Abendblatt. Profigeschäft, Hauptamtlichkeit, alles schön und gut. Seine bedeutsamsten Tätigkeiten derzeit seien allerdings die ehrenamtlichen als Inklusionsbeauftragter des Fußball-Landesverbandes Brandenburg sowie für den Behindertensportverband Brandenburg als Landesauswahltrainer für geistig Behinderte.
Das sagt eigentlich schon alles über Mrosko aus. Ihm geht und ging es schon immer vordergründig um Menschen. Und um Fußball, natürlich. Mrosko ist Scout, und so wie er das sagt, ist es eine geschützte Berufsbezeichnung. Es gebe Spielegucker und eben Scouts. „Scout zu sein, ist eine Berufung, eine Lebenseinstellung. Das sind nur diejenigen, die auch gern unterwegs sind und am Platz stehen, bevor es viel Geld und teure Autos dafür gibt“, sagt der Berliner.
Ehemaliger St.-Pauli-Scout Lars Mrosko findet Ansatz vieler Vereine eine „Katastrophe“
Mrosko ist einer der besten Scouts überhaupt. Alles nachzulesen im meisterhaften „Mroskos Talente“ von Ronald Reng. Bundesligastars wie Edin Dzeko wurden von ihm entdeckt, er selbst – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – von Felix Magath. Lange bevor er an der Seite der HSV-Ikone 2009 Meister mit dem VfL Wolfsburg wurde, war Mrosko 2002/03 für eine Saison auch beim FC St. Pauli Talentspäher. Zuletzt, von 2018 bis 2021, arbeitete er für den kommenden Bundesliga-Gegner der Kiezkicker, Union Berlin.
Seitdem ist Mrosko raus aus dem offiziellen Geschäft, arbeitet nebst der Ehrenamtlichkeit gemeinsam mit dem früheren Rostocker Juri Schlünz bei der AOK Nordost im Bereich Verträge und Produkte der Sportkooperationen. „Das Scouting wie früher ist leider bei den meisten Vereinen nicht mehr möglich“, sagt Mrosko. Für viele Clubs seien Videos das Alpha und Statistiken das Omega geworden. „Eine Katastrophe“, findet Mrosko.
Weswegen keine Statistik ein Livescouting ersetzen kann
Für ihn gehe nichts über Livescouting. „Nur so findet man heraus, ob der Spieler charakterlich passt. Auch die Statistiken können massiv irreführend sein.“ Ein Beispiel: Gewinnt ein Akteur 80 Prozent seiner Zweikämpfe, klingt das zunächst einmal herausragend. Führen die verlorenen 20 Prozent aber häufig zu Gegentoren, ist das ein gewaltiges Problem. Daher könne nur die Mischung aus Film, Zahlen und Vorortrecherche einen sinnvollen Prozess darstellen.
St. Pauli sei dafür das beste Beispiel. „Sie haben in der Aufstiegssaison gezeigt, wie wichtig es ist, dass gute Typen in der Mannschaft sind. Es hat menschlich gepasst“, sagt Mrosko. Zwar arbeiten die Hamburger ebenfalls mit umfangreichen Datensätzen und Videoanalysen, rückt ein Spieler in die engere Auswahl, wird er aber aus nächster Nähe beobachtet, vor einem Transfer steht ein längeres persönliches Gespräch an.
Oke Göttlich tauschte sich mit Mrosko aus
Was wenig bekannt ist: Vor drei Jahren gab es einen Austausch mit Präsident Oke Göttlich über Grundsätzliches im Scouting. Die Kontakte bestehen nach wie vor lose. An den Kiez hat Mrosko allerdings nicht ausschließlich gute Erinnerungen.
„Mein Jahr dort war das schlimmste meiner Karriere, aber auch das lehrreichste“, sagt er. Als 25-Jährigem sei ihm damals gewahr geworden, wie das Geschäft Fußball funktioniert. „Wenn ich mit einem aus den Verein was essen war, wurde mir das sofort von einem anderen vorgeworfen, ich hätte mich auf dessen Seite geschlagen. Mir war das ganze Politische völlig egal, so weit habe ich damals gar nicht gedacht. Das war hart für mich, aber für die Erfahrung bin ich unheimlich dankbar“, sagt Mrosko, der seit Kindertagen HSV-Fan ist.
Talentscout übt Kritik am Umgang der Berliner mit Talenten
Überhaupt ist St. Pauli für ihn einer der vorbildlicheren Vereine in Deutschland, wenn es um die Talentförderung geht, aber auch generell. „Die klare Positionierung zu den meisten Themen ist schon cool“, sagt er, der selbst Dinge deutlich anspricht. Als es bei Union Berlin Vorwürfe gab, Talente mit Migrationshintergrund würden vom Chef des Nachwuchsleistungszentrums, André Hofschneider, benachteiligt, übte auch Mrosko Kritik.
„Es gibt in Berlin riesige regionale Unterschiede, wo man dann als Verein auch eine gewisse Sensibilität und Feinfühligkeit mitbringen muss. Ob die Verantwortlichen von Union schon so weit sind, mit verschiedenen Klientel umzugehen, weiß ich nicht“, sagte er 2021 in einem Interview mit „Buzzfeed“.
Der Anteil von Spielern mit türkischen und arabischen Wurzeln soll zeitweise von 40 auf zehn Prozent gefallen sein. Von einer „Ausländerquote“ wusste Mrosko zwar nichts, er stellte jedoch klar: „Wenn es eine solche Quote im Verein gegeben hätte, hätte ich sofort fristlos gekündigt.“ Um die Auflösung seines im Sommer 2021 auslaufenden Vertrags hatte er dennoch frühzeitig gebeten.
Mrosko: „Bei Union erhält niemand eine Chance im Profiteam“
Seine Meinung bezüglich St. Pauli und Union ist eindeutig: „St. Pauli ist ein Weltverein, Union ein Club aus Köpenick.“ Die Berliner sieht er nicht gut gerüstet in der Ausbildung: „Mir fällt gar kein Spieler ein, der aus der Jugend den Durchbruch schaffen soll, weil dort niemand im Profiteam die Chance erhält. Nicht einmal ein Aljoscha Kemlein. Es wäre viel mehr möglich, aber die internen Prozesse verhindern das.“ St. Pauli sei allein schon durch das Vorhandensein einer U 23 besser aufgestellt. „Wenngleich es diese Saison als Aufsteiger schwierig ist, junge Spieler ins Team einzubinden“, sagt Mrosko.
- Bundesliga: Brodelt es beim FC St. Pauli schon? Es sprudelt noch nicht mal
- FC St. Pauli: Blessin bei Transfer-Plänen „guter Dinge“
- FC St. Pauli: „Positive Enttäuschung“ nach 0:2 gegen Heidenheim
Dass die Braun-Weißen im Nachwuchs nicht mehr mit Beratern zusammenarbeiten, findet er dagegen „albern“. Die gehören eben zum Geschäft dazu wie der Fußball auf den Platz. „Viele Berater leisten super Arbeit, kümmern sich wirklich um die persönlichen Belange der Jungs und haben auch mal ein offenes Ohr bei privaten Themen wie Liebeskummer“, sagt Mrosko. Wichtig wäre nur, wieder eine verpflichtende Lizenzierung für Spieleragenten einzuführen.
Für ihn selbst wäre das keine Tätigkeit. Mrosko will nicht nur am Freitag (20.30 Uhr) im Stadion der Alten Försterei genau hinsehen, wie sich St. Pauli bei Union schlägt, er möchte auf dem Sportplatz stehen. Egal, ob ehrenamtlich oder in Festanstallung. Hauptsache bei den Menschen, nah dran. Ein Scout bleibt man ein Leben lang.