Hamburg. Die Hamburger sind zumindest eine starke Marke mit festen Wertevorstellungen. Kommt es zur St. Paulisierung der Bundesliga?
Es gibt einen neuartigen Begriff, den Oke Göttlich am liebsten aus dem Wortschatz aller Fans und Sportjournalisten löschen würde: die „Heidenheimisierung“ der Fußball-Bundesliga. Den Präsidenten des FC St. Pauli nervt, dass sich viele Fans und Berichterstatter immer noch über die Präsenz eines weiteren Provinzclubs in Liga eins echauffieren, anstatt die kontinuierliche und professionelle Arbeit von Trainer Frank Schmidt und den anderen Verantwortlichen des 1. FC Heidenheim anzuerkennen.
Nun kann man Göttlich verstehen, wenn man sich in die Lage der Heidenheimer hineinversetzt. Wenn man mit überschaubaren Mitteln Großes erreicht und das ganze Land nur darüber witzelt, dass eine Horde schwäbischer Hinterwäldler die Bundesliga kapert. Unattraktiv sei das, heißt es dann, insbesondere für die Auslandsvermarktung der TV-Rechte. Rund 200 Millionen Euro nahm die Deutsche Fußball Liga damit zuletzt ein – nur knapp ein Zehntel von dem, was die Premier League in diesem Bereich verdient. Logisch – welcher chinesische oder US-amerikanische Fußballfan guckt sich freiwillig Hoffenheim gegen Heidenheim an?
Der FC St. Pauli dürfte die Bundesliga bereichern
HSV gegen Schalke, Hertha BSC gegen Fortuna Düsseldorf, 1. FC Köln gegen Hannover 96 – das klingt doch vielmehr nach großem Fußball, das ist auch für das Ausland interessant – findet aber dummerweise nur noch in der Zweiten Liga statt. Diesen Umstand kann und darf man Heidenheim, Hoffenheim, Kiel und den anderen grauen Mäusen der Bundesliga aber nicht zum Vorwurf machen. Vielmehr müsste man von einer „Kölnisierung“ oder „Hannoverisierung“ der Zweiten Liga sprechen. Die Großen haben es schließlich über Jahre hinweg verbockt.
Wer nun Tristesse in der Bundesliga befürchtet, kann sich trotzdem entspannen. Bayern, Dortmund, Frankfurt und Co. sind schließlich immer noch da. Und mit dem FC St. Pauli gibt es in diesem Jahr neben Kiel auch einen Aufsteiger, der bereits als eine der größten Fußball-Marken in Deutschland wahrgenommen wird. Präsident Göttlich, der die gesellschaftliche Haltung des Clubs wie kaum ein anderer verkörpert, sieht den Club unter den sechs größten Vereinen in Deutschland – selbstverständlich nur, was die Markenstärke betrifft.
Göttlich macht seine Haltung immer wieder deutlich
Seit 2019 kämpft Göttlich im DFL-Präsidium für Themen wie eine gerechtere Verteilung der Fernsehgelder oder die Einhaltung der 50+1-Regel. Vereine sollen, so die feste Überzeugung der Kiezkicker, immer die Stimmmehrheit behalten, auch wenn Aktien- oder Kapitalgesellschaften mit viel Geld auch viel Mitspracherecht haben wollen.
St. Pauli geht dabei sogar einen noch konsequenteren Weg, verzichtet vollständig auf Investoren und versucht, künftig mit einer Genossenschaft Geld einzunehmen. Es wäre das basisdemokratischste Konstrukt zur Kapitalbeschaffung in ganz Profifußball-Deutschland.
St.-Pauli-Präsident wird keine Revolution anstoßen
Auch wenn Göttlich weiß, dass er und der FC St. Pauli keine Revolution anstoßen werden, reicht es dem 48-Jährigen schon, wenn Liga-Entscheidungen aus seiner Sicht „nur ein paar Prozent weniger schlecht“ getroffen werden. Tatsächlich dürfte die für viele etablierte Erstligisten unangenehme Haltung der Hamburger nervig sein, die Debatte um die Zukunft des deutschen Profifußballs aber weiter befruchten.
Ob die Braun-Weißen die Liga auch sportlich bereichern können, wird sich erstmals am kommenden Sonntag (17.30 Uhr) im Millerntor-Stadion zeigen. Am 1. Spieltag zu Gast: Heidenheim, natürlich.
Taktisch geht der neue Trainer Alexander Blessin einen Weg, der eigentlich gar nicht zur rebellischen Art des Clubs passt. Hinten sicher stehen, das Spiel dem Gegner überlassen, schnell umschalten, situativ hoch pressen – es ist kein bahnbrechender Ansatz, den Blessin wählt.
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Vielversprechend ist der Weg dennoch, sonst würden auch nicht so viele andere Erstligisten auf eine ähnliche Spielweise vertrauen. Und alternativlos sowieso. Denn das nötige Kleingeld, mit dem sich die nötige individuelle Qualität für dominanten Ballbesitzfußball ans Millerntor locken ließe, fehlt noch.
Damit sich das ändert, muss sich der FC St. Pauli in den kommenden Jahren in der Bundesliga etablieren. Göttlich ist überzeugt, dass das gelingen kann. Und im Anschluss wäre er sicher auch nicht böse, wenn man von einer St. Paulisierung der Bundesliga spricht.