Hamburg. Der neue Cheftrainer der Hamburger schindet bei seiner Vorstellung direkt Eindruck. Was nun für ihn ansteht.

Es war die erste Pressekonferenz, die Alexander Blessin als Cheftrainer auf Deutsch gab. Bislang musste sich der 51-Jährige öffentlich nur auf Englisch und Italienisch äußern. Deutsche Sprache, schwere Sprache.

Von daher sei es ihm nachzusehen, dass er bei seiner Vorstellung beim FC St. Pauli im Millerntor-Stadion am Donnerstagnachmittag erstmal auf Schwäbisch parlierte. „Das ist eine wahnsinnige Strahlkraft, wo der Verein hat“, gab Blessin in bestem Jogi-Löw-Deutsch als einen der Hauptgründe dafür an, sich für den Kiezclub entschieden zu haben.

Vorhang auf für Alexander Blessin beim FC St. Pauli

Passt umso besser, da die Polylingualität auch ein Argument für die Hamburger war, Blessin für rund 730.000 Euro von Royale Union Saint-Gilloise zu kaufen und nach Abendblatt-Informationen für drei Jahre unter Vertrag zu nehmen. „Bis hin zu den Softskills, mit international zusammengestellten Mannschaften auf unterschiedlichen Sprachen zu kommunizieren, hat Alex alle unsere Anforderungen erfüllt“, sagte St. Paulis Sportchef Andreas Bornemann auf Hochdeutsch mit alemannischem Zungenschlag.

Aber auch über das Verbale hinaus passt Blessin optimal zum Bundesliga-Aufsteiger, stellte Bornemann klar: „Bei unserem Wunschprofil war uns auch wichtig, welche Trainer für eine gewisse Art und Weise des Fußballs stehen.“

Das ist beim Stuttgarter Blessin als ehemaligem RB-Schüler in Leipzig ganz eindeutig das Gegenpressing. Von Personen wie dem österreichischen Nationaltrainer Ralf Rangnick (65), „die ihresgleichen suchen, habe ich die beste Ausbildungen genossen und viel mitgenommen“.

Dreierkette oder Doppelspitze? Der Blessin-Plan

Seine Pressingidee sei im Ansatz ähnlich, aber nicht komplett gleich. Wie pragmatisch der Vater dreier Töchter agieren kann, machte er später deutlich, als er über mögliche Systeme philosophierte.

„Natürlich präferiere ich die Dreierkette, aber es ist nichts in Stein gemeißelt. Ich möchte immer die besten Spieler auf dem Platz haben, und dementsprechend passe ich meine Formation an“, sagte Blessin. Bei KV Oostende war das beispielsweise ein 4-3-3, zuvor beim Nachwuchs von RB Leipzig häufig ein 4-2-2-2.

Transferstau bei St. Pauli soll sich auflösen

Die Doppelspitze sei auch am Millerntor denkbar, aber schwäbische Systemsparsamkeit ist seine Sache nicht. „In Belgien habe ich auch mit zwei Sechsern und zwei Zehnern gespielt, die sehr flexibel im Halbraum geschwommen sind, dazu mit einer klaren Stoßstürmerposition“, sagt Blessin, mit dem, das wurde direkt deutlich, sich herrlich über Fußball und die Welt plaudern lässt.

Und Redebedarf wird es unmittelbar reichlich geben. Bornemann wird seinen neuen leitenden Angestellter direkt in die Transferplanungen einbinden.

Bornemann: „Wichtigste Personalie geklärt“

„Wir mussten schon einige Entscheidungen zurückstellen, die wir nun gut abgestimmt mit dem Trainer umzusetzen versuchen“, sagte der 52-Jährige. In den vergangenen beiden trainerlosen Wochen seit dem sich abzeichnenden und dann vollzogenen Abschied von Fabian Hürzeler (31) zu Brighton & Hove Albion sei den Braun-Weißen aber „nichts gefährdet worden und davongelaufen. Die wichtigste Personalie haben wir sowieso heute bestätigt.“

Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Verpflichtungsstau sich bald auflösen wird. Bislang wurden Ersatztorwart Ben Voll (Viktoria Köln) und die bisherige Leihgabe Scott Banks (Crystal Palace) erworben und Robert Wagner (SC Freiburg) geliehen.

Nemeth bleibt unter Blessin Co-Trainer

Bis auf Philipp Treu hatte Blessin noch keinen Kontakt mit einem seiner künftigen Akteure, die er am 8. Juli erstmals an der Kollaustraße anleiten wird. Dafür schon erheblich früher mit seinem gleichaltrigen Assistenten Peter Nemeth.

Genauer gesagt muss man dafür sogar 18 Jahre zurückgehen. Damals war der ehemalige Bundesliga-Mittelstürmer Blessin zu den Sportfreunden Siegen gewechselt, für die er in zwei Saisons in der Regionalliga Süd 14 Tore erzielte.

St. Paulis Trainer und Assistent kickten gemeinsam in Siegen

Wie viel ihm davon Mittelfeldregisseur Nemeth aufgelegt hat, ist zwar nicht überliefert, künftig wird der Slowake dem Schwaben aber wieder mit mustergültigen Vorbereitungen dienen: als dessen Co-Trainer. „Die Fußball-Welt ist so klein, das ist eine wirklich lustige Situation, dass ich Peter schon aus Siegen kenne“, sagte Blessin.

Peter Nemeth (51) wird unter Alexander Blessin Co-Trainer bleiben.
Peter Nemeth (51) wird unter Alexander Blessin Co-Trainer bleiben. © Witters | Leonie Horky

Welche weiteren Trainer sich dem Duo anschließen, steht noch nicht fest. In der Personalie des Torwarttrainers wird der Chefcoach in jedem Fall maßgeblich mitreden. Der bisherige, Marco Knoop (45), folgt Hürzeler nach England.

Folgen Blessin Spieler von Saint-Gilloise nach Hamburg?

Dass Blessin wiederum Spieler von Saint-Gilloise nach Hamburg folgen, ist eher unwahrscheinlich. Diejenigen, die ins Transferbudget des FC St. Pauli passen, tauchen bereits im Radar wirtschaftlich potenterer Clubs auf. „Die belgische Liga ist ein Katapult. Wenn dort einer eine Saison gut spielt, ist eine Verpflichtung für uns nicht mehr machbar, dann geht der sofort in die Premier League. Grundsätzlich ist es aber eine sehr spannende Liga“, sagte Bornemann.

Das ist zweifelsohne auch die Bundesliga. Doch in der höchsten Spielklasse seines Heimatlandes zu spielen, sei nie das Ziel Blessins gewesen.

Blessin: „Bundesliga war nie mein Karriereplan“

„Es war nicht mein Plan, als Trainer in die Bundesliga zu gehen. Ich hatte nie einen solchen Karriereplan“, sagte er. Dennoch brauchte es auf persönlicher Ebene nicht viel, dass ihn Bornemann zum Zweitligameister lotsen konnte.

„Andreas benötigte gar keine Überzeugungsarbeit mehr. Es hat einfach gepasst“, sagte Blessin. Mit einem Video von der Atmosphäre im Millerntor-Stadion machte ihn der Club noch mal zusätzlich heiß auf seine kommende Aufgabe. Am Donnerstag jedenfalls kam Blessin kaum aus dem Lächeln heraus, hatte große Augen beim Fototermin auf der Tribüne seiner neuen Arbeitsstelle.

Gentleman an der Seitenlinie: Blessin kann alles außer Hochdeutsch

Einen „Fabian 2.0“ dürfen die Fans trotz ähnlichen fußballerischen Ansätzen und der Eloquenz nicht erwarten. Blessin ist an der Seitenlinie ein eher ruhigerer Vertreter, der nicht in Verruf geraten dürfte, sich Gelbsperren einzuhandeln.

In Belgien wurde er sogar als Gentleman beschrieben. „Ich freue mich wahnsinnig“, sagte er noch.

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Ob das auch auf die zwei Wohnungsbesichtigungen zutraf, die er im Anschluss absolvierte, ist ungewiss. Der erste Eindruck von Alexander Blessin versprach aber, dass er auch den Makler überzeugen dürfte. Es scheint, als könne er alles. Außer Hochdeutsch.

Europa-League-Sieger Atalanta Bergamo aus Italien gastiert am 9. August (18.30 Uhr) zur Saisoneröffnung als Testspielgegner des FC St. Pauli im Millerntor-Stadion.