Hamburg. Die Berufung von Esin Rager zur Vizepräsidentin ist nur ein Schritt des Wandels. Was jetzt beim Hamburger Kiezclub passiert.

In den vergangenen Tagen kamen bei einigen Fans des FC St. Pauli trotz der sommerlichen Temperaturen noch einmal Erinnerungen an das vergangene Weihnachtsfest auf. In ihrer Post war das bereits im vergangenen Dezember bestellte, neue Heimtrikot, bei dem als besonderer Clou der Besteller auf der Vorderseite mit einem individuellen Schriftzug den Namen des Hauptsponsors Congstar ersetzen konnte. Das wirklich Besondere an dem Hemd ist allerdings, dass es unter zertifiziert fairen Bedingungen hergestellt und zu 100 Prozent aus recyceltem Material besteht. Gleiches gilt für die gesamte neue Teamsport-Kollektion des eigens gegründeten vereinseigenen Labels DIIY.

Um diesen Weg der fairen und idealerweise umweltgerechten Produktion möglichst vieler Merchandisingartikel stetig weiterzugehen, soll künftig die neue Vizepräsidentin Esin Rager ihre Expertise in diesem Bereich einbringen. Die 53 Jahre alte, ehrenamtlich vielfach engagierte Unternehmerin und frühere Abendblatt-Redakteurin war am Freitag – zunächst kommissarisch – in das bisher rein ehrenamtlich agierende Präsidium aufgenommen worden. Bei der nächsten Mitgliederversammlung im Herbst, wenn das komplette Präsidium nach vier Jahren Amtszeit wieder zur Wahl steht, soll Esin Rager dann auch von den Mitgliedern in ihrem Amt bestätigt werden.

 FC St. Pauli setzt sich für Nachhaltigkeit ein

„Wir wollen größere Schritte tun, um klimafreundlicher zu werden und nachhaltige Ziele auch im Alltag auf Umsetzung überprüfen“, sagte Rager über den Schwerpunkt ihrer Arbeit. Zudem wolle sie sich dafür einsetzen, „Ökonomie, Ökologie und Soziales ins Gleichgewicht“ zu bringen.

Das Bestreben des FC St. Pauli, Fan-Bekleidung und die meisten weiteren Devotionalien unter anerkannten Standards einer fairen und ressourcenschonenden Produktion herzustellen, entsprang einem Antrag von Mitgliedern auf der Versammlung im November 2016, der mit großer Mehrheit angenommen wurde und inzwischen auch schon zu einem guten Teil umgesetzt wird. Drei Jahre später sorgte der Antrag, sich eine geschlechtsparitätische Besetzung von Aufsichtsrat und Präsidium zum Ziel zu setzen und dies auch für die hauptamtliche Direktorenebene zu prüfen, für Aufsehen auch außerhalb der Fußballszene.

Frauenansteil im Präsidium der Hamburger gestiegen

Mit der Berufung von Esin Rager ins Präsidium wird der Club jetzt auch diesem Anliegen gerecht. Zu den bisher vier Mitgliedern des operativen Führungsgremiums gehört bereits seit dreieinhalb Jahren die Juristin Christiane Hollander (58). Nun steigt also der Frauenanteil im Präsidium von 25 auf 40 Prozent, was im deutschen – und vermutlich auch internationalen – Profifußball einzigartig ist.

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Dies ist aber nur ein Schritt, mit dem der FC St. Pauli seine Führungsstruktur verändern will. Die Clubführung plant, in naher Zukunft das Präsidium mit hauptberuflichen „Besonderen Vertreter*innen“, zu vergrößern. Dafür sollen nicht unbedingt neue Kräfte eingestellt werden, sondern eher der eine oder andere vorhandene hauptamtliche Geschäftsleiter ins Präsidium befördert werden. „Um immer größeren Herausforderungen gerecht werden zu können, werben wir sehr für das Konzept eines stärkeren Hauptamtes“, sagt Präsident Oke Göttlich. Ein Aspekt dabei ist auch die Frage der Verantwortung und Haftung, die allein auf den Schultern der Präsidiumsmitglieder liegt, während die teils millionenschweren Geschäfte de facto von den – nicht haftenden – hauptamtlichen Führungskräften getätigt werden.

Sportchef Andreas Bornemann kommt für Berufung infrage

Es liegt auf der Hand, dass für eine Berufung zu einem „Besonderen Vertreter“ Sportchef Andreas Bornemann in Betracht kommt. Über dieses Konzept soll auf der nächsten Mitgliederversammlung abgestimmt werden.

Nachholbedarf in Sachen Geschlechterparität besteht bei St. Pauli derweil noch im Aufsichtsrat, auch wenn dieses sieben Personen große Kontrollgremium seit Ende 2014 von Sandra Schwedler geführt wird. Bei der jüngsten Wahl zum Aufsichtsrat Ende 2018 kandidierte die 41-Jährige als einzige Frau.

Bisher müssen nur die Ehrenamtlichen haften

Sie hofft, dass durch die Einführung einer Quote bei der diesjährigen Mitgliederversammlung die Zahl der Bewerberinnen steigt, wenn 2022 der Aufsichtsrat erneut gewählt wird. Die Bereitschaft, Frauen in verantwortliche Positionen zu wählen, haben die Vereinsmitglieder bereits mehrfach bewiesen. So erhielt Schwedler bei ihren beiden Wahlen jeweils die meisten Stimmen. Gleiches galt 2017 für Christiane Hollander bei der Wahl der Vizepräsidenten.