Das deutsche Olympia-Team bewegt sich in London auf dem Medaillen-Niveau von Peking. Die Diskussionen sind in vollem Gange.

London. Der deutsche Sport hat seine selbst gesetzten Medaillenziele in London deutlich verfehlt. Unmittelbar vor dem großen Olympia-Finale stand fest, dass die in der internen Zielvereinbarung zwischen dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und den Fachverbänden angestrebte Anzahl von 86 Medaillen, davon 28 aus Gold, deutlich an der Realität vorbeiging. Nach mehr als 80 Prozent der 302 Entscheidungen hatte das 391-köpfige Team lediglich 38 Mal Edelmetall (10 Gold, 17 Silber, 11 Bronze) gewonnen. Die betroffenen Fachverbände müssen nun Mittelkürzungen durch das Bundesinnenministerium (BMI) befürchten.

Laut Unterlagen, die am Freitag vom BMI erstmals veröffentlicht wurden, haben von den 23 in London vertretenen Sportarten bisher lediglich Tischtennis und Kanuslalom das angepeilte Ziel erreicht. Als große Verlierer kehren vor allem die Schwimmer, Fechter und Schützen nach Hause zurück. Im Fußball, Basketball und Handball hatten sich die Deutschen erst gar nicht qualifiziert.

DOSB-Generaldirektor Michael Vesper verteidigte die getroffenen Vereinbarungen. „Es handelt sich hierbei um Ziele, auf die sich jeder einzelne Sportfachverband mit dem DOSB zu Beginn des olympischen Zyklus vor vier Jahren verständigt hat“, sagte Vesper. „Dies als konkrete Medaillenplanwirtschaft zu interpretieren, wäre naiv und ginge an der Sachlage vorbei. Jeder, der sich im Sport auskennt, weiß, dass sich erfahrungsgemäß nur ein Teil der Jahre zuvor identifizierten Medaillenchancen realisieren lässt.“

Nach außen hatte die Dachorganisation stets kommuniziert, das Niveau von Peking mit 41 Medaillen (16 Gold, 10 Silber, 15 Bronze) und Rang fünf in der Nationenwertung halten zu wollen. „Nach dem Ausgang der Olympischen Spiele werden wir gemeinsam mit dem Sport nach einer sorgfältigen sportfachlichen Analyse die notwendigen Schlüsse für die zukünftige Sportförderung ziehen“, kündigte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich am Freitag an.

Die Diskrepanz zwischen den Ambitionen und den tatsächlichen Erfolgen stellt dem DOSB und vor allem dessen Leistungsplanern kein gutes Zeugnis aus. Insbesondere Leistungssportdirektor Bernhard Schwank und Christa Thiel als Vizepräsidentin Leistungssport müssen sich nach London unangenehme Fragen – auch aus der Politik – gefallen lassen, wie es zu solchen Luftschlössern kommen konnte. „Der DOSB kann nach den Spielen nicht zur Tagesordnung übergehen“, sagte Stephan Mayer (CSU), Mitglied des Bundestags-Sportausschusses. Martin Gerster, sportpolitischer Sprecher der SPD, brachte die Idee ins Spiel, dass sich eine Gruppe unabhängig vom DOSB das Fördersystem anschaut. Forderungen nach mehr Geld erteilte Gerster eine Absage.

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Thiel hat als Präsidentin des Deutschen Schwimmverbandes zudem die größte Pleite seit 1932 zu verantworten. Wie vor 80 Jahren waren die Stars um Britta Steffen und Paul Biedermann im Becken ohne Medaille geblieben. Anvisiert worden waren acht Medaillen, davon zwei aus Gold. „Die Ziele waren sehr ambitiös und im optimalen Sinne zu sehen“, gab Thiel zu, „wir haben es nicht mit Maschinen, sondern Athleten zu tun. Anders als in der Wirtschaft kann es keinen zuverlässigen Steuerungsprozess geben.“

Einen Grund für personelle Konsequenzen sieht die DOSB-Vize nicht: „Ich will das nicht wegschieben, aber ich bin erst seit Ende 2010 als Vizepräsidentin für den Leistungssport zuständig und die Zielvereinbarungen wurden 2008 geschlossen.“ In den nächsten Zyklus könnten andere Parameter eingebracht werden.

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Bereits vor der Veröffentlichung war aus den Verbänden Kritik an den Zielvereinbarungen zu hören. Es habe harte Diskussionen statt offener Gespräche gegeben, sagte Frank Hensel, Generalsekretär des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Konkrete Medaillenpläne seien seiner Ansicht nach unrealistisch. „Wir haben die Zielvereinbarung letztlich unterschrieben, damit wir handlungsfähig bleiben. Wir hatten keine andere Wahl“, betonte Hensel in einem Zeitungsinterview.

Damit unterstrich er die intern erhobenen Vorwürfe anderer Verbandsfunktionäre, sie hätten sich zu den viel zu optimistischen Zielen teilweise zwangsverpflichtet gefühlt. „Vor allem dann, wenn es darum ging, das Medaillenziel zu definieren. Da sind die hohen Vorgaben des DOSB mit einem etwas größeren Realismus seitens der Sportverbände zusammengeprallt“, erklärte Hensel. Zum Vergleich: Das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig hatte für London 54 Medaillen (15-19-20) prognostiziert.

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Der Ruf nach Reformen für den Spitzensport scheint bislang aber noch kein Gehör gefunden zu haben. Weil das deutsche Team vor den letzten Entscheidungen auf Peking-Niveau liegt, fühlt sich Minister Friedrich sogar bestätigt. „Wir sind in vielen Sportarten gut aufgestellt, haben in vielen Sportarten Medaillen gewonnen, und ich glaube, das ist auch Tradition in Deutschland, sich so breit aufzustellen“, sagte der CSU-Politiker im „ZDF-Morgenmagazin“. Er sei mit dem Abschneiden „nicht unzufrieden“.

Mancher Sportler und Funktionär wird die Schlussfeier am Sonntag mit einem anderen Gefühl verlassen. Im globalen Wettstreit fühlen sich viele im Nachteil. „Wir setzen in Deutschland eher auf die duale Karriere, aber gerade die duale Karriere ist eher kontraproduktiv. Die Belastung der Athleten wird falsch eingeschätzt“, klagte Diskus-Olympiasieger Robert Harting in der ARD.

Mit seiner Forderung nach mehr Geld und anderen Strukturen steht der Berliner nicht alleine da. Das meiste Geld in das Spitzensport-System steuert Friedrichs Ministerium mit rund 130 Millionen Euro bei. Die Bundeswehr lässt sich seine Sportsoldaten zusätzlich rund 30 Millionen Euro kosten, von der Deutschen Sporthilfe kamen über die Jahre insgesamt 14,3 Millionen Euro dazu.

(abendblatt.de/dpa)