Erst feierten die Neulinge Peter Kretschmer und Kurt Kuschela im Canadier den Sieg, dann legten Franziska Weber und Tina Dietze nach.
Eton Dorney. Die Gold-Pärchen fielen sich überglücklich um den Hals, die Verbandsspitze tanzte ausgelassen im Kreis und die Fans feierten eine schwarz-rot-goldene Siegesparty: Nach dem goldenen Doppelschlag durch Peter Kretschmer/Kurt Kuschela und Franziska Weber/Tina Dietze binnen 60 Minuten brachen bei den deutschen Kanuten alle Dämme. „Diesen Tag werden wir noch lange in Erinnerung behalten. Unfassbar, einfach toll“, sagte ein sichtlich stolzer Verbandspräsident Thomas Konietzko.
Die hochdekorierte Flotte wurde ihrem Ruf als Medaillenlieferant wieder einmal gerecht und polierte die bisher magere Gold-Bilanz des deutschen Olympia-Teams in London mächtig auf. Der Zweier-Canadier der Männer wurde nach einem sensationellen Schlussspurt bei seinem olympischen Debüt auf dem Dorney Lake zum Kuschelboot. Kuschela lehnte seinen Kopf nach hinten auf die Knie seines Partners, und Kretschmer küsste ihn auf die Stirn.
+++ Nicht verwechseln: Rudern, Kajak und Canadier +++
„Eigentlich sind wir wie ein Ehepaar“, scherzte der 23-jährige Kuschela, der in Potsdam in einem Haus mit dem drei Jahre jüngeren Kretschmer wohnt. Das fast blinde Verständnis wurde auch auf dem Wasser sichtbar. Die Aserbaidschaner Sergej Besugli/Maxim Prokopenko schienen bei der Hälfte der 1000-m-Strecke schon hoffnungslos enteilt, doch das deutsche Duo flog mit seiner jugendlichen Unbekümmertheit in unwiderstehlicher Art auf den letzten 250 m vorbei.
„Als wir an den Führenden dran waren, habe ich gewusst, dass wir das durchziehen. Wenn jemand so schnell angerauscht kommt, fühlt sich das nie gut an. Das war einfach nur geil“, sagte Kretschmer. Am Ende hatte das deutsche Boot 1,402 Sekunden Vorsprung auf die Peking-Olympiasieger Andrej und Alexander Bahdanowitsch aus Weißrussland. Sportdirektor Jens Kahl zeigte sich tief beeindruckt von der Leistung der beiden Youngster: „Das sind zwei Phänomene, die haben keine Nerven.“
Kretschmer/Kuschela hatten sich in der internen Qualifikation des Deutschen Kanu-Verbandes (DKV) gegen die Weltmeister Tomasz Wylenzek/Stefan Holtz (Essen/Leipzig) mit drei Hundertstelsekunden Vorsprung durchgesetzt. „Ansonsten stünden sie vielleicht hier und hätten Gold um den Hals“, sagte Kuschela, der keine Details der geplanten Siegesfeier verraten wollte: „Das wollen wir nicht beschreiben, das ist nicht jugendfrei.“ Konietzko wurde da schon konkreter: „Wir werden im deutschen Haus die Sau rauslassen.“
Beflügelt vom Männer-Gold zogen Weber/Dietze im Zweier-Kajak eine Stunde später nach und verwiesen die favorisierten Peking-Siegerinnen Katalin Kovacs und Natasa Douchev-Janics aus Ungarn mit 1,065 Sekunden Vorsprung nach 500 m auf Platz zwei. „Wir haben das Gold der verrückten Jungs mitbekommen und wollten das auch unbedingt“, sagte Weber. Tief bewegt lauschten die beiden der Nationalhymne. Man müsse jede Sekunde davon aufsaugen, damit man so etwas nicht so schnell vergesse, meinte die 23 Jahre alte Olympia-Debütantin Weber, die am Mittwoch mit Dietze im Vierer schon Silber gewonnen hatte.
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Ihr Parforceritt zum Sieg war für die Vize-Weltmeisterinnen die Revanche für den enttäuschenden vierten Platz bei der EM vor einigen Wochen. „Das Imperium schlägt zurück“, verkündete Weber: „Wir haben schon oft von einem perfekten Rennen gesprochen. Heute war es noch ein bisschen mehr.“ Beim Anlegen am Siegersteg konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.
Cheftrainer Kießler stand angesichts der Triumphfahrten ebenfalls das Wasser in den Augen. „Ich behalte meine Sonnenbrille lieber an“, sagte Kießler, der angesichts der überragenden Erfolge auch Platz vier des Vierer-Kajaks der Männer verschmerzen konnte. Dem Flaggschiff fehlten beim Sieg der Australier 0,322 Sekunden auf die drittplatzierten Tschechen. Damit hat erstmals seit 1984 ein deutscher Männer-Vierer auf der 1000-m-Distanz keine Olympia-Medaille gewonnen.
Die beeindruckende Bilanz des DKV wurde dadurch aber nicht getrübt. Mit drei Gold-, einer Silber- und zwei Bronzemedaillen hat der DKV seine Vorgaben nach acht der zwölf Finals fast schon erreicht. Ziel waren sieben Medaillen im Rennsport, davon drei in Gold. Bei den abschließenden 200-m-Finals am Samstag gehen die deutschen Boote allerdings nur mit Außenseiterchancen ins Rennen. Das störte am goldenen Donnerstag allerdings niemanden.