Hamburg. Entscheidung trotz Gesprächen mit anderen Kandidaten. Was Kuntz und Polzin in der Kabine sagten. Beförderung hat Einfluss auf Transfers.
Um 15.45 Uhr schritt ein glücklicher Merlin Polzin zu seinem Auto vor dem Volksparkstadion und fuhr davon in den kurzen Weihnachtsurlaub. Mit im Gepäck war sein neuer Vertrag als Cheftrainer des HSV, auf den er sich zuvor mit Sportvorstand Stefan Kuntz und Sportdirektor Claus Costa geeinigt hatte. Das Arbeitspapier gilt zunächst bis zum Sommer, es ist die Belohnung seiner Arbeit als Interimscoach mit acht Punkten aus vier Spielen und 11:4 Toren. In dieser Phase war lediglich Hinrundenmeister 1. FC Köln (10 Punkte) erfolgreicher.
Als Polzin am Tag nach dem 5:0-Heimsieg gegen Greuther Fürth im Volkspark vorfuhr, um Kuntz und Costa in einer HSV-Loge bei Stollen und Kaffee seinen Plan für die Rückrunde zu präsentieren, war seine Beförderung längst beschlossen. Der Aufsichtsrat und die vereinsinternen Gremien sind bereits vor einer Woche über die Entscheidung informiert worden, von der Polzin selbst erst am Sonntag erfuhr.
Seit dem vor einem Monat beschlossenen Aus von Ex-Coach Steffen Baumgart hatten Kuntz und Costa zwar viele Gespräche mit erfahrenen Trainerkandidaten geführt. Doch zugleich reifte der Entschluss, Polzin dauerhaft das Vertrauen zu schenken.
HSV befördert Polzin und Favé dauerhaft
„In den knapp vier Wochen gemeinsamer Trainingsarbeit ist eine deutliche Entwicklung erkennbar, auf die wir in 2025 aufsetzen und aufbauen wollen“, sagte Kuntz am Sonntag. „Merlin und sein Team genießen nicht nur in der Mannschaft, sondern auch bei uns Verantwortlichen volles Vertrauen. Das sind eindeutige Argumente, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.“ Zu diesem Weg gehört auch die Förderung der Hamburger Talente wie Fabio Baldé (19) und Otto Stange (17), der gegen Fürth seine Torpremiere feierte.
Neben Polzin bleiben auch die Assistenten Loic Favé und Richard Krohn sowie Athletiktrainer Jan Hasenkamp im Amt. Das hat zur Folge, dass die bislang von Favé trainierte U21 von Soner Uysal übernommen wird. Seine Position als Leiter des Nachwuchsleistungszentrums wird Favé dagegen weiterhin ausüben.
Ebenfalls beschlossen wurde, dass der langjährige Fitnesscoach Daniel Müssig weiterhin aussortiert bleibt. Diese Maßnahme war zuletzt bis zur Winterpause verlängert worden. Nun ist aber klar, dass es vorerst kein Comeback für den 42-Jährigen geben wird. Stattdessen ist nun Hasenkamp für die Fitness der Profis verantwortlich.
Polzin-Entscheidung nimmt Einfluss auf Transfers
Gleichzeitig hat die Trainerentscheidung auch Einfluss auf die Transferplanung. So wird der HSV trotz der Verletzungen von Torjäger Robert Glatzel und Torwart Matheo Raab, die beide im Frühjahr zurückerwartet werden, keinen neuen Stürmer und keinen neuen Torhüter verpflichten.
Stattdessen soll der Kader verkleinert und die Gehaltskosten durch die anvisierten Abgänge von Moritz Heyer, Anssi Suhonen, Levin Öztunali und Nicolas Oliveira gesenkt werden. Trotzdem halten sich Kuntz und Costa die Option offen, den Kader zu verstärken.
Wie Polzin sich den HSV-Job sicherte
Im Rahmen der Wintervorbereitung, in der nun doch noch ein spontanes Trainingslager Anfang Januar im türkischen Belek stattfinden wird, hat Polzin nun die Möglichkeit, nachhaltige Korrekturen an der Spielweise und dem Auftreten der in ihren Leistungen oftmals schwankenden Mannschaft vorzunehmen, damit beim HSV endlich die für den Aufstieg notwendige Konstanz einkehrt. „Die Arbeit mit dem Team und dem Staff macht mir unheimlich viel Spaß, das habe ich immer betont“, sagte Polzin. „Jetzt gilt es, die Spielidee, die von mutigem und zielstrebigem Offensivfußball und gemeinschaftlichem Verteidigen geprägt ist, weiter zu vertiefen“.
Nach der Entlassung Baumgarts war der Interimstrainer gut beraten, in der Kürze der Zeit nur punktuelle Veränderungen herbeizuführen. So rückte Polzin von der defensiven Dreier- beziehungsweise Fünferkette ab, führte wieder das jahrelang bewährte 4-3-3-System ein und stellte die damals verunsichert wirkenden Profis auf ihren stärksten Positionen auf, um ihnen neues Selbstvertrauen zu vermitteln.
Was wie das kleine Einmaleins im Fußball klingt, sorgte beim HSV für eine attraktivere und vor allem erfolgreichere Spielanlage. In den vier Zweitligaspielen seiner Interimsphase holten die Hamburger acht Punkte, wodurch die interne Zielvorgabe eines Zwei-Punkte-Schnitts erfüllt wurde. Das schaffte vor ihm noch kein Cheftrainer – weder Tim Walter (1,84) noch Christian Titz (1,8), Daniel Thioune (1,68) oder Steffen Baumgart (1,60). Und schon gar nicht Dieter Hecking (1,59) und Hannes Wolf (1,58).
Polzin hat den HSV besser gemacht
Wichtiger als der Punkteschnitt, der nach gerade einmal vier Spielen auch mal täuschen kann, ist aber die Erkenntnis, dass Polzin weiß, wie er diese Mannschaft führen muss. Das bei den Profis sehr beliebte Trainertalent hat in den zurückliegenden vier Wochen bewiesen, für eine gute Teamchemie, eine Grundvoraussetzung für Erfolg, sorgen zu können.
Zwar leistete sich der HSV auch unter seiner Führung eine katastrophale erste Halbzeit mit null Torschüssen bei Aufsteiger SSV Ulm (1:1). Doch in der Gesamtbetrachtung hat Polzin die Mannschaft in wenigen Wochen besser gemacht, wie die Auftritte gegen die Aufstiegsrivalen Karlsruher SC (3:1), Darmstadt 98 (2:2) und einem zugegeben schwachen Gegner aus Fürth untermauerten.
HSV-Profis sprachen sich für Polzin aus
Unmittelbar nach dem Heimsieg gegen die Franken hatten sich die Führungsspieler öffentlich für den Verbleib ihres Trainers starkgemacht. „Ich würde mich schon wundern, wenn es jetzt nicht mit Merlin weiterginge“, sagte Mittelfeldstratege Jonas Meffert. „Wir haben heute auch für Merlin gewonnen. Jeder wusste ja, worum es geht.“
Kapitän und Wortführer Sebastian Schonlau ergänzte: „Es passt zwischen Merlin und der Mannschaft.“ Davie Selke betonte ebenfalls, „mit Merlin weitermachen“ zu wollen, und auch Miro Muheim ging davon aus, „dass Merlin weiter unser Trainer bleibt“. Denn dieser mache „einen super Job“.
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Was HSV-Boss Kuntz und Polzin in der Kabine sagten
Kurz darauf hatte Polzin in seiner Kabinenansprache ebenfalls durchblicken lassen, wie gern er weiter mit der Mannschaft zusammenarbeiten will. Der Trainer lobte die Energie gegen Fürth, die er in der zweiten Saisonhälfte aufrechterhalten wolle.
Im Anschluss richtete auch Kuntz ein paar Worte an das Team, die allerdings deutlich nüchterner ausfielen. Zu diesem Zeitpunkt wollte sich der Manager nicht von den Emotionen eines Kantersieges leiten lassen und die doch eigentlich längst beschlossene Polzin-Beförderung vorschnell verkünden.
Doch nach der Abwägung aller inhaltlichen Argumente fiel die Bestätigung seiner Trainerentscheidung ziemlich klar aus. Es geht in der Rückrunde weiter mit Polzin und einem ebenso klaren Ziel: dem Angriff auf die direkten Aufstiegsplätze.