Hamburg. Der Linksverteidiger des HSV spricht im Interview über den Stimmungsumschwung im Team, sein Debüt für die Schweiz und seine Eltern.

Miro Muheim klopft dreimal auf den Holztisch, als ihn das Abendblatt am Donnerstagnachmittag auf seine aktuelle Saisonbilanz hinweist. Der Dauerbrenner des HSV, der nahezu nie verletzt ist, hat bislang als einziger Hamburger Profi in der bisherigen Zweitligasaison alle 14 Spiele von der ersten bis zur letzten Minute auf dem Platz gestanden. Zudem führt Muheim die interne Vorlagenwertung an. In der Liga hat nur Karlsruhes Marvin Wanitzek (9) mehr Tore vorbereitet als der Linksverteidiger des HSV (7), der vor zweieinhalb Wochen mit seinem ersten Länderspiel für die Schweizer Nationalmannschaft für seine positive Entwicklung belohnt wurde. Muheim sitzt in der Schiedsrichterkabine des Volksparkstadions und spricht erstmals über sein Debüt für die Schweiz, die neue Stimmung unter Interimstrainer Merlin Polzin und seine Familie.

Herr Muheim, Merlin Polzin und das Trainerteam haben Ihnen am Sonntag in Karlsruhe ein Video mit den Karrierehighlights aller Spieler gezeigt. Welche Szene war von Ihnen zu sehen?

Es war ein Spiel mit der U19 von Chelsea in der Youth League gegen Dynamo Kiew. Ich habe ein Tor gemacht und in dem Jahr haben wir den Wettbewerb gewonnen. Ich fand aber auch cool zu sehen, was meine Mitspieler schon alles erreicht haben. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Marco Richter schon 176 Bundesligaspiele gemacht hat. Das ist beeindruckend.

Sie arbeiten schon seit dreieinhalb Jahren mit Merlin Polzin zusammen. An welche Motivationstechnik können Sie sich noch erinnern?

Merlin kümmert sich extrem gut um alle Spieler. Er ist beispielsweise sehr oft zu mir gekommen und hat mit mir Videoanalysen auf seinem Laptop gemacht und mir gezeigt, was ich gut mache. Das gibt zusätzliches Selbstvertrauen. Das kommt bei den Spielern sehr gut an.

Die Mannschaft wirkte gegen Karlsruhe wie befreit. Wie hat das Trainerteam die Stimmung gedreht?

Wir wollten wieder etwas mehr Spaß und Freude im Training und dann auch im Spiel entwickeln. Da haben wir unser Hauptaugenmerk draufgelegt. Aber auch inhaltlich haben wir ein bisschen was gemacht, was wir im Spiel gut umsetzen konnten. Zum Beispiel die Konsequenz im Verteidigen, das Gegenpressing und das mutige Spiel nach vorne.

War die Herangehensweise unter Steffen Baumgart zu defensiv?

Es kann auch Spaß machen, wenn man alles wegverteidigt. Wir haben das am Ende aber nicht mehr so gut umgesetzt. Natürlich wirkt es sich auf die Stimmung aus, wenn man ein paar Spiele hintereinander nicht gewinnt. Umso wichtiger war es, wieder mehr Freude zu haben. Man kann nur top performen, wenn man Spaß hat an dem, was man tut. Und es hat uns gutgetan, dass wir wieder etwas offensiver anlaufen und den Ball jagen wollten.

Sie waren unter Baumgart noch der konstanteste Spieler. Vor allem Ihre Ecken sind besonders erfolgreich. Warum klappt es in dieser Saison plötzlich so gut?

Wir haben seit Saisonbeginn mit Merlin daran gearbeitet und ein paar Sachen ausgetüftelt. Jeder hat eine Aufgabe bekommen. Natürlich müssen dann auch meine Bälle kommen, daran habe ich gearbeitet.

Es heißt, Polzin hat seit dieser Saison Standards in Dauerschleife in der Kabine installiert. Wie kann man sich das vorstellen?

Das stimmt. Es hängt ein Fernseher in der Kabine. Auf dem laufen immer die Standards des vergangenen Spiels. Einwürfe, Freistöße, Ecken. Das hilft uns.

Hat Sich Ihre Eckenbilanz bis zu Murat Yakin herumgesprochen?

Das hat bestimmt nicht geschadet (grinst). Allerdings habe ich eine Ecke gegen Spanien in den Sand gesetzt, weil ich ausgerutscht bin (lacht).

Wie war der Moment, als er Sie nominiert hat für den Kader der Schweiz?

Mich hat der Co-Trainer Giorgio Contini angerufen, den kenne ich noch aus meiner Zeit beim FC St. Gallen. Den ersten Anruf habe ich verpasst. Ich habe ihn dann zurückgerufen. Ich hatte schon eine Ahnung, worum es geht. Er hat mir dann gesagt, dass Sie mich gerne dabei haben und kennenlernen wollen. Das war schon ein spezieller Moment.

Was haben Sie nach dem Telefonat gemacht?

Ich habe meinen Vater angerufen. Der war auch mega happy und stolz auf mich. 

Spanien - Schweiz
Muheim im Duell gegen Spaniens Stürmer Jeremy Pino. © DPA Images | Laurent Gillieron

Vor zwei Wochen durften Sie in Spanien das erste Mal für Ihr Land spielen. Wie hat sich Ihr Leben seitdem verändert?

Verändert haben sich eigentlich nur die Sprüche hier in der Kabine (lacht). Da heißt es jetzt mal: Nur weil du jetzt Nationalspieler bist, musst du nicht diskutieren. Aber das ist normal und macht ja auch Spaß (schmunzelt).

Woran haben Sie gedacht, als Sie vor dem Anpfiff die Hymne gesungen haben?

Es war sehr emotional. Ich habe mich aber vor allem erstmal auf den Text konzentriert (lacht).

War Ihr Vater dabei?

In Zürich beim ersten Spiel war er dabei. Auch viele Freunde und meine ganze Familie, die in Zürich lebt. Mein Vater hat natürlich auch das erste Trikot bekommen.

Ihre Mutter, die vor einem Jahr gestorben ist, konnte den Moment nicht mehr miterleben. Mussten Sie an sie denken? Sie war früher oft bei den Spielen dabei.

Natürlich. Sie wäre jetzt sicher auch sehr stolz, dass ich das geschafft habe. 

Sie haben den Sinn für Kunst von ihrer Mutter mitbekommen, oder?

Wenn Sie meine angefangene Ausbildung zum Hochbauzeichner meinen, dann war mein künstlerisches Talent überschaubar. Das war auch eher technisches Zeichnen. Aber einen Sinn für Kunst und Kultur habe ich schon. Zum Beispiel, wenn es um Einrichtung in der Wohnung geht. Das Auge für Ästhetik habe ich sicher von ihr mitbekommen. Ich habe viele Bilder in der Wohnung, auch von meiner Mutter. Aber auch besondere Möbelstücke sind mir wichtig.

Sie haben mal gesagt, dass Sie nebenbei Ihr Traumhaus zeichnen. Ist das schon fertig?

Das wird wahrscheinlich nie fertig. Da gibt es zu viele Möglichkeiten.

Würden Sie es in Hamburg bauen oder in der Schweiz?

Hamburg gefällt mir sehr, ich fühle mich echt wohl, aber das Haus würde ich in der Schweiz bauen. Das wird allerdings schwierig. Es ist schon sehr teuer, vor allem in Zürich (lacht).

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Sie gehören zu den dienstältesten Spielern, sind mittlerweile Führungsspieler und auch Fanliebling. Ihr Trikot ist diese Saison neben Glatzel und Vuskovic das beliebteste. Das war vor zwei Jahren noch anders.

Das habe ich auch mitbekommen und hätte ich nicht erwartet. Ich hatte mal eine Phase beim HSV, in der ich nicht so konstant gespielt habe und mir auch Fehler passiert sind. Aber ich bin dran geblieben und habe an mir gearbeitet. Es ist schön, dass sich das alles so entwickelt hat. So möchte ich weitermachen. 

In Ihrem HSV-Highlight-Video der besten Tore waren auch einige Kunstwerke dabei. Mit welchem Tor könnte Merlin Polzin Sie beim nächsten Spiel besonders motivieren? 

Mein erstes Tor in Regensburg war sehr speziell. Ein schönes Tor und auch ein wichtiges. Da ist auch mein Knoten geplatzt. Die beiden Tore gegen Fürth waren auch sehr schön. Die können gerne in das Video mit rein.