Bramberg. Wie HSV-Talent und U17-Weltmeister Yalcinkaya auf Profigeschäft vorbereitet wird, wie ihm Erinnerungen helfen und wie er Baumgart sieht.
Das Training des HSV lief gerade einmal seit 30 Minuten, da nahm sich Steffen Baumgart Zeit für einen seiner Jüngsten. Der HSV-Trainer griff Bilal Yalcinkaya (18) an den Arm, so wie er es immer in Einzelgesprächen macht, und gab ihm Hinweise für das richtige Verhalten in Drucksituationen.
„Der Trainer vermittelt mir wirklich ein sehr gutes Gefühl“, sagt Yalcinkaya kurz darauf im Gespräch mit dem Abendblatt. „Ich spüre bei ihm eine große Ehrlichkeit gegenüber uns Spielern und merke, dass er hinter der Mannschaft steht und uns nach außen verteidigt.“
HSV-Talent Yalcinkaya ist U17-Weltmeister
Yalcinkaya ist einer von sechs Nachwuchsspielern, die mit ins Trainingslager genommen wurden. Hier im Salzburger Land hat der Kreativspieler, der bereits im Wintercamp im spanischen Sotogrande dabei war, die Chance, bleibenden Eindruck zu hinterlassen, um seinem Traum vom Profi näherzukommen.
Schon in der abgelaufenen Saison durfte Yalcinkaya regelmäßig bei den Profis trainieren, unter Ex-Coach Tim Walter schaffte er es sogar einmal in den Kader beim Auswärtsspiel in Kiel (2:4). Noch am selben Tag wurde das Toptalent für die U17-WM in Indonesien nachnominiert. Dort erzielte er zwei Tore und stand im siegreichen Finale gegen Frankreich (4:3 i.E.) sogar in der Startelf.
Es war der perfekte Abschluss eines turbulenten Jahres, in dem Yalcinkaya auch seinen Realschulabschluss in der Stadtteilschule am Heidberg in Langenhorn machte. Dort, wo er nach wie vor mit seinen Eltern wohnt.
Yalcinkaya träumt von HSV-Debüt
Acht Monate später soll der nächste Schritt in seiner noch jungen Laufbahn folgen. „Ich wünsche mir von Herzen, für den HSV aufzulaufen, und bin guter Dinge, dass es in der neuen Saison klappen kann“, sagt Yalcinkaya. „Der Gedanke, beim HSV meine ersten Profiminuten zu sammeln, ist immer in meinem Kopf.“
Seine Augen leuchten verlegen, als er diese Worte ausspricht. Abseits des Platzes ist Yalcinkaya ein schüchterner, junger Mann, der bescheiden herüberkommt. Er sagt Sätze wie „immer bodenständig bleiben zu wollen“ und „dankbar zu sein für das, was ich habe“. Ein Motto, das er von seinen Eltern, Mutter Emine und Vater Muhammet, vorgelebt bekommt. „Man darf nie vergessen, dass es anderen Leuten viel schlechter geht als einem selbst. So bin ich erzogen worden.“
HSV: Das sind die Stärken von Yalcinkaya
Auf dem Platz liebt er dagegen die große Bühne. Sobald er den Ball am Fuß hat, strotzt der dribbelsüchtige Youngster nur so vor Spielfreude. „Das Eins-gegen-eins liegt einfach in meinen Genen, der Spielwitz war schon immer in mir drin“, sagt Yalcinkaya und lächelt. Auf der Suche nach einer Ursache für seine kreative Spielweise nennt er einen Fußballkäfig im Hamburger Stadtteil Neuwiedenthal, wo er als kleiner Junge viel mit Freunden „gezockt“ habe, wie er es nennt.
Wer dem Straßenfußballer beim Fußballspielen zuschaut, der erkennt schnell, dass er den Fans in Zukunft noch viel Freude bereiten kann. Eine Garantie, sich im Profibereich durchzusetzen, gibt es hingegen nicht. Der U17-Weltmeister ist sich bewusst, dass Talent alleine nicht ausreicht. Selbstvertrauen, Ehrgeiz und mentale Stärke sowie die Qualität, nicht abzuheben, gehören genauso dazu.
Plan B, wenn der Profi-Traum platzt?
Um all diese Eigenschaften unter einen Hut zu bekommen, sucht er immer wieder das Gespräch mit seinen Eltern. „Meine Familie ist immer meine erste Anlaufstation, wenn ich etwas auf dem Herzen habe“, sagt Yalcinkaya, der alles auf die Karte Profi setzt. „Fußball ist mein Ding. Es gibt keinen Plan B, Plan A soll durchgezogen werden“, sagt er selbstbewusst und lacht.
Dabei ist er gewarnt, wie schnell es für ein Toptalent beim HSV bergab gehen kann. Der prominenteste Fall ist Fiete Arp, der 2019 unter großem Aufschrei der Fans zum FC Bayern wechselte, bei dem er selbst in der zweiten Mannschaft nur Reservist war. Beim HSV sollte der heutige Kieler als Heilsbringer herhalten mit der utopischen Aufgabe, den HSV zum Bundesliga-Klassenerhalt zu schießen. Eine Drucksituation, der Arp nicht standhielt.
HSV-Profi Reis kümmert sich viel um Yalcinkaya
Dieser Fehler soll sich nicht noch einmal wiederholen. Yalcinkaya wird deshalb behutsam an das Profigeschäft herangeführt. Anders als Arp kann er auf Führungsspieler zählen, an denen er sich orientieren kann. Insbesondere Ludovit Reis hat immer wieder ein Auge für Yalcinkaya, nimmt ihn in den Arm und spricht ihm Mut zu. „Er hat mir gesagt, dass ich mich bloß nicht verändern und meinem Spielstil treu bleiben soll“, sagt Yalcinkaya, der mentale Stärke aus den Erinnerungen an seine Kindheit zieht.
Rückblick: Im Alter von 15 Monaten zog Yalcinkaya beim Spielen am Kabel einer Fritteuse, woraufhin das heiße Fett ein Fünftel seiner Haut verbrannte. Zweimal wurde er operiert. Beobachter sagen, er habe dadurch einen starken Charakter entwickelt. „Das stimmt zu 100 Prozent. Als Kind wurde ich wegen meiner Verbrennungen viel gemobbt. In dieser Zeit war Fußball für mich wie eine Therapie, um auf andere Gedanken zu kommen“, erinnert er sich. „Außerdem haben mir meine Eltern geholfen, mit den Folgen der Verbrennungen umzugehen.“
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Mal wieder sind es also seine Eltern, die eine wichtige Rolle einnehmen. Seinen Vater, der bei fast jedem Training im Volkspark vorbeischaut, bezeichnet er als seinen „Supporter Nummer eins“. Auch abseits des Platzes hört Yalcinkaya auf seine Familie. Über seine Berateragentur SEG hätte er die Möglichkeit, die Dienste eines Vermögens- oder Steuerberaters in Anspruch zu nehmen. Doch der Youngster hört lieber auf das Wort seines Vaters.
HSV-Talent Yalcinkaya macht Führerschein
Schon als Kind, als er im Käfig kickte, nahm sich sein Vater die Zeit fürs Einzeltraining seines Sohnes. „Ich habe ihm für meine bisherige Karriere viel zu verdanken, er hat mich durch ganz Deutschland zu sämtlichen Jugendturnieren gefahren.“
Damit Yalcinkaya schon bald alleine zum HSV-Training fahren kann, macht er aktuell seinen Führerschein. Nächsten Montag absolviert er zum zweiten Mal seine Theorieprüfung, den ersten Versuch hatte er nicht bestanden. Damit es bei zwei Anläufen bleibt, lernt der Youngster zwischen den Einheiten in Österreich.
Doch sein Fokus liegt auf dem Fußball. „Ich möchte mich bei den Profis festbeißen, mein Debüt geben und mir dann Stück für Stück weitere Einsätze verdienen“, sagt Yalcinkaya und ergänzt demütig, lieber Taten als Worte auf dem Platz sprechen zu lassen. Mit dieser Einstellung kann er es tatsächlich schaffen und sich den Traum vom Profi erfüllen.