Berlin. Cas-Prozess um HSV-Profi verschiebt sich nach hinten. Wie wissenschaftlich arbeitet die Nada? Sagt Wissenschaftler Chen als Zeuge aus?
Die Stimmung im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin wirkte fast schon losgelöst, als die beiden Vorstände der Nationalen Antidoping-Agentur (Nada), Andrea Gotzmann und Lars Mortsiefer, am Dienstag über die Erfolge im Kampf gegen Dopingsünder referierten. 79 positive Dopingtests habe es 2022 gegeben, das seien „deutlich mehr als in den beiden Jahren zuvor“. Zwölf dieser mutmaßlichen Vergehen seien bei Trainingskontrollen festgestellt worden. Einer dieser Fälle: Mario Vuskovic.
Auch wenn der nach einem positiven Epo-Test vorläufig für zwei Jahre gesperrte HSV-Profi namentlich nicht erwähnt wurde, war er gefühlt allgegenwärtig. Das erste Mal nach handgestoppten 45 Minuten und 30 Sekunden, als der Ton erstmals rauer wurde, weil dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) bei Dopingfällen die Verfahrenshoheit obliegt.
Eine Tatsache, die der Nada nicht schmeckt. „Wir sehen in aktuellen Fällen, dass analytische Fragen eine Rolle spielen. In diesem Bereich liegt das Know-how eher bei denjenigen, die sich regelmäßig damit beschäftigen.“
Mario Vuskovic: Nada kritisiert DFB
Eine deutliche Kritik am DFB, dessen Frankfurter Sportgericht mangels Erfahrung tatsächlich über wenig Dopingkompetenz verfügt. Als beim Vuskovic-Prozess ein Streit unter Wissenschaftlern über Proteine, Schattierungen, gebrochenes Gel und unterbrochene Kühlketten ausgebrochen war, hatte Richter Stephan Oberholz eingeräumt, dass ihm die Sachkenntnis fehle.
Aus Sicht der Nada könnte das Problem gelöst werden, wenn sich der Verband dem hauseigenen Disziplinarverfahren anschließe. „Wir werben dafür, den professionellen Weg im Bereich der Antidoping-Arbeit zu übertragen“, sagte Mortsiefer. Mit anderen Worten: Ganz so professionell gehe es beim DFB nicht zu.
Vuskovic-Prozess verschiebt sich
Professionalität erhoffen sich nun sowohl die Nada als auch Vuskovic vom Internationalen Sportgerichtshof (Cas), der über den Einspruch beider Parteien entscheiden muss. Die Nada pocht auf eine dem Regelwerk entsprechende Vierjahressperre, der seine Unschuld beteuernde Kroate hofft auf einen Freispruch.
Zu einem Prozess in Lausanne (Schweiz) wird es allerdings nicht vor Oktober kommen, weil die ursprünglich auf Anfang Juni terminierte Frist einer Stellungnahme beider Parteien inzwischen ausgesetzt worden ist.
Immerhin: Anders als beim Sportgericht, das nach drei Terminen ein in vielen Punkten angreifbares Urteil verkündet hatte, erwarten Rechtsexperten, dass diesmal nach nur einer Verhandlung ein Urteil gesprochen wird.
Vuskovic verzichtet auf C-Probe
Die vom Sportgericht per Beweisbeschluss angeordnete, aber nie umgesetzte C-Probe von Vuskovics Urin wird vor dem Cas keine Rolle spielen. Nach Abendblatt-Informationen hält die Verteidigung eine Drittanalyse nicht mehr für zielführend, weil sich die Nada argumentativ durchsetzen könnte.
Die Vermutung: Die Richter könnten der Ansicht folgen, ein Dopingvergehen sei nach so langer Zeit nicht mehr nachweisbar und eine C-Probe entspräche ohnehin nicht dem Regelwerk der Antidopingkämpfer.
Auch Vuskovics zweiter Lügendetektortest (Abendblatt berichtete) wird nur ein Teil der Akte, aber kein Hauptargument seiner Verteidigung sein. Stattdessen bereiten sich seine Anwälte dem Vernehmen nach auf einen wissenschaftlichen Diskurs mit der Nada vor.
Sagt Epo-Experte Chen für Vuskovic aus?
Noch offen ist, welche vor Gericht aussagenden Zeugen Vuskovic diesmal benennt. In Frankfurt hatten seine Gutachter Perikles Simon und Lorenz Hofbauer Richter Oberholz mehr verärgert als überzeugt. Nach Abendblatt-Informationen soll nun der erfahrenere David Chen das Ruder für den Abwehrspieler herumreißen.
Der kanadische Biochemiker von der University of British Columbia in Vancouver (Kanada) soll belegen können, dass es sich bei dem mutmaßlich nachgewiesenen körperfremden Epo um eine körpereigene Substanz handele. Für die Vernehmung steht auch der norwegische Gutachter Jon Nissen-Meyer zur Auswahl.
Vuskovics Experten werden das umstrittene, bei der Epoanalytik praktizierte Sar-Page-Verfahren frontal attackieren. Nada-Vorstandschefin Gotzmann bezeichnete die Methode am Dienstag als die „bestmögliche“, zu der es keine Alternative gebe und die zudem dauerhaft optimiert werde. So erhalte allein das für Vuskovics A- und B-Probe verantwortliche Labor im sächsischen Kreischa jährlich 1,13 Millionen Euro Fördergelder vom Bund für die Forschung.
Mario Vuskovic: Nada wehrt sich
Auf Nachfrage, warum das Verfahren zum Beispiel bei der zu testenden Urinmenge (Protein) nicht standardisiert sei, wie es von Wissenschaftlern gefordert wird, wich Gotzmann aus: „Wir haben auch Meinungen und die müssen nicht immer übereinstimmen.“
So weit, so unklar. Die Wahrscheinlichkeit für ein richtiges Epo-Ergebnis konnte die Chefin allerdings auch nicht beziffern. Und auch auf die von Experten geäußerte Kritik, die Nada arbeite nicht wissenschaftlich, da die eigene Arbeit nur innerhalb des Kosmos der Welt-Antidoping-Agentur überprüft werde, fehlte es an einer überzeugenden Replik.
„Das, was in unseren Laboren gemessen wird, ist hochspezifisch. Diese Möglichkeit gibt es in anderen medizinischen Laboren überhaupt nicht“, sagte Gotzmann, die sich nicht für Wada-unabhängige Labore öffnen will. „Die Wada ist mit ihren 30 Laboren eine weltweite Wissenschaftsgemeinde“, erwiderte sie. Der Kontrollmechanismus funktioniere. Demnach brauche es auch keine weitere Überprüfung.
Eine Ansicht, die nicht jeder Wissenschaftler teilt.