Dresden/Hamburg. Der HSV stellt sich hinter seinen Profi, der nach dem Pokal-Aus in Dresden einen Fan angriff. Aus der Welt ist die Sache damit nicht.

Die Nacht von Toni Leistner war kurz. Bevor der Fußballer mit seinen HSV-Kollegen um 9 Uhr morgens in den Mannschaftsbus in Richtung Heimat stieg, hatte er wenige Stunden zuvor bis in den späten Montagabend mit den Verantwortlichen des HSV in der Lobby des Mannschaftshotels zusammengesessen, um das Unerklärliche zu erklären: Seine Reaktion auf eine mutmaßliche Fanbeleidigung nach der bitteren 1:4-Niederlage des HSV bei Dynamo Dresden. Ein Wortgefecht, ein Sprung auf die Tribüne, ein Schubser – und schon war der Eklat perfekt.

Die Internetvideos von dem Vorfall gingen innerhalb weniger Sekunden viral – und auch die entsprechenden Reaktionen sollten nicht lange auf sich warten lassen. Noch während Leistner am Dienstagvormittag mit dem Bus in Richtung Hamburg unterwegs war, lief die Maschinerie in den Medien bereits auf Hochtouren.

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Die „Bild“-Zeitung veröffentlichte eine Art Best-of von Prügelprofis: „Die berüchtigtsten Spieler-Attacken auf Fans“ stand über dem Artikel, der Leistner die zweifelhafte Ehre verschaffte, in einem Atemzug mit Eric Cantona („Der Mutter aller Fußball-Ausraster“), Paolo Guerrero („bekanntester Ausraster gegen Fans in der Bundesliga“) oder Emir Spahic („Faustschläge und sogar einen Kopfstoß“) genannt zu werden. Auch Abendblatt.de listete die Präzedenzfälle auf.

Doch was war eigentlich passiert?

Diese Entschuldigung postete Toni Leistner in einer Instagram-Story.
Diese Entschuldigung postete Toni Leistner in einer Instagram-Story. © Instagram/tleistner37 | Unbekannt


„Ich bin nach dem Spiel von der Tribüne meiner Heimatstadt aus massiv beleidigt worden“, hatte Leistner noch am späten Montagabend via Instagram geschrieben. „Damit kann ich normalerweise umgehen. Doch dann ging es ex­trem und massiv unter die Gürtellinie gegen meine Familie, meine Frau und meine Tochter.“ Was der HSV-Profi nicht schrieb: Ohrenzeugen wollen gehört haben, wie der Dynamo-Fan, den sich Leistner auf der Tribüne zur Brust genommen hatte, seiner hochschwangeren Frau „das Baby aus den Bauch treten“ wollte. „In dem Moment sind mir die Sicherungen durchgebrannt“, schrieb er.

Am Morgen danach war die Diskussion in Fußball-Deutschland und in der Abendblatt-Redaktion nicht mehr aufzuhalten. Ist Leistners Ausraster unentschuldbar, ist er sehr wohl erklärbar oder vielleicht sogar beides zugleich?

HSV stellt sich hinter Leistner

HSV-Sportvorstand Jonas Boldt wählte Antwort-Möglichkeit drei. „Wir haben Toni sehr deutlich mitgeteilt, dass wir den Vorfall nicht tolerieren, dass wir einen internen Umgang damit finden müssen und werden“, ließ Boldt in einem offiziellen Club-Kommuniqué verlautbaren. Und gleichzeitig schrieb er: „Wir haben Toni aber auch versichert, dass er aufgrund seiner Handlung jetzt nicht von uns fallen gelassen oder an den Pranger gestellt wird.“

Boldt ging noch einen Schritt weiter und nahm den Fall Leistner als Blaupause für den gesamtgesellschaftlichen Diskurs: „Das Niveau der Kommentare, die sich Toni aus dem Block anhören musste, ist unsäglich und keine Ausnahme mehr. Gegen solch drastische Beschimpfungen, ob beleidigend, homophob oder rassistisch, müssen wir im Fußball und auch in der Gesellschaft vorgehen.“

Aussprache zwischen Leistner und Dresden-Fan

Wie Leistner am Dienstagabend berichtete, habe er sich mit dem Dresdner Fan ausgesprochen. „Wir haben telefoniert. Er hat genau wie ich seinen Fehler eingesehen. Ich nehme seine Entschuldigung an, zwischen uns ist die Sache aus der Welt“, teilte Leistner erneut via Instagram mit. Zuvor hatte sich das mutmaßliche Opfer anonym bei dem Dresdner Boulevardmedium „Tag24“ gemeldet. Er habe lediglich „ein bisschen gepöbelt“, wie er betonte. Kein böses Wort habe es gegen die Familie gegeben. „Das waren die üblichen Phrasen, die Fans nach so einem Spiel von sich geben.“ So habe er gerufen, „dass wir die Hamburger mit dem 4:1 richtig gefickt hätten.“

Beim Deutschen Fußball-Bund zeigte man weder für die beleidigende Wortwahl noch für die Reaktion Leistners Verständnis. So dauerte es nicht lange, bis der DFB-Kontrollausschuss ein Ermittlungsverfahren gegen den HSV-Profi einleitete. Der Abwehrspieler wurde zu einer kurzfristigen Stellungnahme aufgefordert. Eine Frist, bis wann Leistner Stellung bezogen haben muss, gibt es nicht. In der Praxis dauert dieser Vorgang ein bis zwei Tage, hieß es vom DFB.

Leistner droht Sperre für die Liga

Welche Strafe den HSV-Profi nun seitens des DFB erwartet, muss nach den eingeleiteten Ermittlungen abgewartet werden. Möglich wäre im für den HSV wohl besten Fall eine Sperre, die sich lediglich auf den vom Verband ausgerichteten Pokalwettbewerb bezieht. Doch kann das Sportgericht nach Paragraf 8, Nummer 5 der DFB-Rechts- und Verfahrensordnung auch eine wettbewerbsübergreifende Sperre aussprechen, wenn Leistners Handlung als „schwerwiegende Sportverfehlung“ eingestuft wird.

Dass eine solche Entscheidung nicht abwegig ist, zeigt der Präzedenzfall aus dem Jahr 2015, als der damalige Schalker Johannes Geis nach einem brutalen Foul an André Hahn im Bundesligaspiel gegen Borussia Mönchengladbach für die folgenden fünf Spiele gesperrt wurde – und damit auch für den DFB-Pokal, in dem es erneut zum Aufeinandertreffen der beiden Mannschaften kam.

Allerdings hatte der Vorsitzende des DFB-Sportgerichts, Hans E. Lorenz, das Urteil damals als Ausnahme bezeichnet. Wenn beide Teams nicht wenige Tage später wieder gegeneinander gespielt hätten, wäre Geis nur für die Liga gesperrt worden, sagte Lorenz. Solange kein rechtskräftiges Urteil gesprochen wurde, dürfte Leistner in jedem Fall beim Zweitliga-Auftakt gegen Fortuna Düsseldorf am Freitag (18.30 Uhr) für den HSV auflaufen.

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Die
Leistners lassen sich in Dresden nieder

Ausgerechnet in Dresden drückt man Leistner hierfür die Daumen. „Toni Leistner ist ein Dresdner Junge, der sein Herz am rechten Flecken hat“, schrieb ein Dynamo-Clubsprecher via Twitter. Und weiter: „Es ist einfach nur beschämend, dass Toni Leistner derart von einem Fan seines Heimatvereins nach dem Spiel beleidigt wurde. Wir suchen die Person, weil wir diesen Vorfall so nicht stehen lassen wollen.“

Leistner ist Dresdner durch und durch, ist in der Elb-Metropole geboren, hat hier die ersten 24 Jahre seines Lebens verbracht, spielte vier Jahre lang für Dynamo und baut gerade mit seiner Familie in Dresden ein Haus, weil er dort nach seiner Karriere leben will. Ehefrau Josefin soll sogar in der kommenden Woche in Dresden die zweite gemeinsame Tochter zur Welt bringen. „Was viele leider immer wieder vergessen: Auch hinter dem Profifußballer Toni Leistner steckt ein Mensch wie du und ich. Ein Papa und Ehemann“, schrieb sie am Dienstag auf Instagram.

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Der einzige Trost der Leistners: Sie wissen, dass es Wichtigeres im Leben als Fußball, Dynamo und Fanreaktionen gibt. Am 22. September ist Stichtag.

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