Hamburg. Nach langem Warten ist der Wechsel von Barcelonas Ludovit Reis nach Hamburg fix. Wer ist der junge Niederländer?

Den Wochenstart verbrachte Ludovit Reis im Hotel. Den ganzen Montag lang wartete der 21 Jahre alte Neuzugang des HSV im Grand Elysée auf eine Unterschrift. Auch zum Nachmittagstraining hatte der FC Barcelona noch immer nicht die letzten Unterlagen nach Hamburg übermittelt. Erst als Trainer Tim Walter mit seiner Mannschaft bereits die zweite Einheit bestritt, konnte der Club Vollzug melden. Das Warten auf den Mittelfeldspieler hat ein Ende. Reis unterschrieb beim HSV einen Vierjahresvertrag bis 2025. Er kommt zunächst ablösefrei.

Barcelona sicherte sich eine Weiterverkaufsbeteiligung von 25 Prozent. „Ludovit ist ein flexibel einsetzbarer Mittelfeldspieler, der neben seinen technischen und taktischen Fähigkeiten über ein ausgeprägtes Bewusstsein für das Spiel gegen den Ball verfügt“, sagte Sportdirektor Michael Mutzel, der den Transfer realisierte und sich über das neue Herzstück des HSV freut: „Mit seiner Winnermentalität und Stressresistenz fügt er unserem Kader weitere Substanz zu.“ Reis selbst möchte mit seinem „aggressiven Box-to-Box-Spielstil dem Team und dem Club helfen.“

Seine erste Trainingseinheit für den HSV wird Reis somit am Reisetag bestreiten. Am Dienstagmittag fliegen die Hamburger um 13.15 Uhr mit Lufthansa-Flug LH 2059 nach München. Von dort geht es für neun Tage ins bayerische Grassau am Chiemsee. Nach dem Deutschland-Spiel gegen England trainiert der HSV das erste Mal – und dann auch mit dem fünften Neuzugang.

Wer ist HSV-Zugang Ludovit Reis?

Doch wer ist dieser Ludovit Reis eigentlich, auf den viele HSV-Fans seit einer Woche so ungeduldig warteten? Und warum spielte dieser hoch veranlagte Niederländer, für den der FC Barcelona vor drei Jahren 3,25 Millionen Euro an den FC Groningen bezahlte, in der vergangenen Saison beim VfL Osnabrück?

Es war vor allem der frühere Chefscout des HSV, Benjamin Schmedes, der den Transfer durch seine Kontakte zum FC Barcelona möglich machte. Schmedes hatte Reis noch aus seiner HSV-Zeit auf dem Zettel. „Ludovit verfügt über eine sehr gute technische Ausbildung gepaart mit ausgeprägten Balleroberungsqualitäten“, sagte Schmedes über Reis.

Wie HSV-Zugang Reis Profi wurde

Das Fußballspielen erlernte der Neu-Hamburger nur 250 Kilometer entfernt von Osnabrück. In Haarlem bei Amsterdam geboren, spielte Reis im Alter von vier Jahren beim SV Hoofddorp das erste Mal in einem Verein. Seine Familie stammt aus Kosice in der Slowakei. Kurz vor seiner Geburt wanderten seine Eltern in die Niederlande aus. Mit 15 verließ er seine Familie, um in der Jugend des FC Groningen zu spielen. Dort war er bei einem Probespiel positiv aufgefallen. Der Verein brachte ihn im kleinen Dorf Zuidbroek in einer Gastfamilie unter.

Reis durchlief die klassische niederländische Ausbildung, in der viel Wert auf Technik, Ballbesitz und Passspiel gelegt wird. „Schon ganz früh habe ich davon geträumt, einmal als Profi für einen großen Club zu spielen, und ich habe fast immer an Fußball gedacht und darüber gesprochen“, sagte Reis vor wenigen Wochen im Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

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Mit 17 Jahren und vier Monaten debütierte er in Groningen bereits bei den Profis. Im Oktober 2017 wurde er in Holland der erste Torschütze des Jahrgangs 2000, fast zum selben Zeitpunkt wie der gleichaltrige Fiete Arp in der Bundesliga mit dem HSV. Und während Arp das Interesse des FC Bayern München weckte, meldete sich der FC Barcelona im Sommer 2019 bei Reis. Mit seinen fußballerischen Fähigkeiten passte der Juniorennationalspieler zum Stil des Weltvereins aus Spanien.

„Als die Anfrage vom FC Barcelona kam, habe ich es einfach nicht geglaubt. Ich dachte: Wow – Barcelona, kann das wirklich wahr sein? Es war ein tolles Gefühl, irgendwie verrückt“, erzählte Reis.

HSV: Reis und van Drongelen sind Kumpels

Doch die ersten Monate verliefen schwierig. Reis, der zunächst für die zweite Mannschaft geholt wurde, spielte nicht. Er konnte die Sprache nicht. Und auch sonst kannte er eigentlich niemanden. Hilfe bekam er von seinem Bruder Lukas, der zu ihm zog. Sportlich lief es dann immer besser. Gelegentlich saß Reis bei der ersten Mannschaft auf der Bank. So auch beim legendären 2:8 im Champions-League-Viertelfinale gegen die Bayern.

Aufmerksamkeit erlangte Reis in Barcelona vor allem wegen einer angeblichen 100-Millionen-Ausstiegsklausel. Ansonsten musste der 1,78 Meter große Holländer anerkennen, dass Barça noch eine Nummer zu groß für ihn war. Es folgte ein Schritt zurück – nach Osnabrück.

Die Stadt kannte Reis vorher nicht. Er erkundigte sich bei seinem Kumpel Rick van Drongelen über den Verein und die zweite deutsche Liga. Mit dem ehemaligen HSV-Verteidiger, der gerade zu Union Berlin gewechselt ist, hat Reis in der holländischen U 21 zusammengespielt. In diesem Sommer verpassten beide die EM-Endrunde. Van Drongelen wurde nach seiner langen Verletzungspause nicht berücksichtigt, Reis verzichtete freiwillig auf das Turnier, um mit Osnabrück die Relegation gegen Ingolstadt zu spielen. Am Ende konnte aber auch er den Abstieg des VfL nicht verhindern.

Ludovit Reis: Ein Charakterspieler für den HSV

Beobachter aus Osnabrück beschreiben Reis als einwandfreien Charakter, der aber auch seine Meinung sagt und Dinge hinterfragt. Beim HSV soll er im zentralen Mittelfeld der neue Taktgeber werden. Reis, der seine Freundin Enola und seinen Huskie Blue mit nach Hamburg bringt, kann auf der Sechs, der Acht oder der Zehn spielen. „Er hat eine sehr gute Ballkon­trolle, macht sehr wenige Fehler. Er bringt auf dieser zentralen Position sehr viele Fähigkeiten mit“, sagt Mutzel.

Eine der Schwächen erkennt man aber auch, ohne Reis genauer beobachtet zu haben. „Er muss noch an seiner Torgefährlichkeit arbeiten. Das ist ein Punkt, den wir besprochen haben“, sagt Mutzel. In Osnabrück brachte es Reis in 27 Saisonspielen nur auf ein Tor und eine Vorlage. Wenn er aber nur ansatzweise so gut wird wie sein großes Vorbild, kann der HSV damit sicher gut leben: Der französische Weltmeister N´Golo Kanté vom Champions-League-Sieger FC Chelsea ist auch nicht gerade als Torjäger bekannt, gilt aber aktuell als einer der besten Mittelfeldspieler der Welt.