Hamburg. Nicht zum ersten Mal verspielt der HSV im Aufstiegskampf eine komfortable Führung. Dennoch fällt die interne Analyse eigenwillig aus.

Die Videoanalyse beim HSV fiel am Tag nach dem verrückten 3:3 bei Hannover 96 etwas kürzer aus als sonst. Nach längerer Überlegung entschied sich das Team um Trainer Daniel Thioune gegen eine schonungslose und detailgetreue Offenbarung der eigenen Fehler.

„Wir haben gar keine Szenen gezeigt", berichtete Sportdirektor Michael Mutzel am Ostermontag über die interne Aufarbeitung des spektakulären Nordduells, bei dem selbst drei Tore von Aaron Hunt verbunden mit einer 3:0-Führung nicht zum Sieg für den HSV reichten. „Nach so einem Spiel, finde ich, ist es gar nicht immer zielführend, die einzelnen Szenen durchzugehen."

Stattdessen habe Thioune eher allgemein an seine Profis appelliert, beim nächsten Mal doch bitteschön die kompletten 90 Minuten konzentriert und mit vollem Einsatz zu Werke zu gehen – und nicht nur bis zur 60. Minute.

HSV-Schlendrian: Sieben Punkte verschenkt

Denn was passiert, wenn der HSV nur über weite Strecke überragenden Zweitligafußball zeigt, dominant agiert und sehenswerte Tore schießt, dann aber mindestens einen Gang zurückschaltet und den Gegner durch eigene Nachlässigkeiten wieder aufbaut, das wurde den Hamburgern in Hannover zum wiederholten Male in der jüngeren Clubgeschichte verdeutlicht.

Wie schon im November beim 2:3 in Heidenheim und im Februar beim 3:3 in Aue verspielte der HSV erneut einen vermeintlich komfortablen Vorsprung. In Heidenheim hatte der Club bereits 2:0 geführt, in Aue 2:0 und 3:1, in Hannover sogar 3:0. Drei Spiele, in denen der HSV nur zwei von neun möglichen Punkten holte und somit sieben Punkte herschenkte, die am Ende im Kampf um den Aufstieg fehlen könnten.

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HSV-Patzer in Hannover: Thioune sah es kommen

Die offensichtliche Parallele zwischen den Auswärtsspielen in Heidenheim, Aue und jetzt auch Hannover weist Mutzel in seiner natürlichen Rolle als bester HSV-Verteidiger – zumindest was seine Aussagen betrifft – allerdings von der Hand. „Ich glaube nicht, dass es ein Dauerproblem ist", wehrte der Manager die Fragen der Medienvertreter ab. „Dieses 'man ist überheblich' oder 'wir sind uns zu sicher', das ist eigentlich nicht unsere Mannschaft."

Eigentlich. Und dennoch sah Thioune das Unheil bereits vor der Pause kommen. „Nach dem 2:0 hatte ich das Gefühl, dass wir ein bisschen schlafmützig waren. Deshalb hat Daniel es auch richtig gut gemacht in der Halbzeit, indem er trotz des 2:0 richtig Dampf reingelassen und die Jungs geweckt hat", berichtete Mutzel über die deutliche Kabinenansprache des Trainers. „Daniel hat die Zeichen erkannt und den Finger in die Wunde gelegt. Nach dem Seitenwechsel haben wir es richtig gut gemacht – bis zum Tor. Danach haben wir wieder nachgelassen." Und das nicht zum ersten Mal.

HSV-Trainer Daniel Thioune (M.) muss nach dem 3:3 in Hannover einmal kräftig durchpusten. Auch der dreifache Torschütze Aaron Hunt (r.) und David Kinsombi waren fassungslos.
HSV-Trainer Daniel Thioune (M.) muss nach dem 3:3 in Hannover einmal kräftig durchpusten. Auch der dreifache Torschütze Aaron Hunt (r.) und David Kinsombi waren fassungslos. © Imago / Joachim Sielski | Unbekannt

Trotzdem behauptet Mutzel, er sehe „nicht so sehr" die Parallelen zum Aue- oder Heidenheim-Spiel. Der frühere defensive Mittelfeldspieler stützt seine mutige Abwehrhaltung auf die zahlreichen Torchancen, die sich der Club in der Tat sowohl zwischen den Gegentoren als auch nach dem Ausgleich der Niedersachsen erspielte.

„Der Unterschied zu Aue und Heidenheim war, dass wir in diesen Spielen nicht so viele Möglichkeiten hatten, die Partie zu entscheiden. Aue wurde immer stärker und wir ein bisschen kleiner", erklärte Mutzel seine These. „In Hannover hatten wir nach dem 3:1 Großchancen (Wood), nach dem 3:2 Großchancen (Wood und ein vermeintliches Abseitstor von Terodde) und nach dem 3:3 eine Großchance (Kinsombi). Bei den anderen Spielen hatte ich das Gefühl, dass wir nicht mehr richtig reingekommen sind."

HSV droht, den Aufstieg zu verspielen

Demnach ist der HSV in Hannover trotz der drei Gegentore wieder richtig ins Spiel reingekommen, um bei Mutzels Sprache zu bleiben. Gibt es also keinen Grund zur Sorge um den Aufstieg nach den zwei verschenkten Punkten? Mitnichten. Denn auch Mutzel weiß, dass sich die Hamburger einen solchen Leistungsabfall wie im Nordduell an den letzten sieben Spieltagen nicht noch einmal leisten dürfen. Sonst droht der Verein, das große Ziel Aufstieg zum dritten Mal in Folge zu verpassen.

„Im Endeffekt ist es immer das Gleiche, wenn wir ein bisschen nachlassen", ergänzte Mutzel. „In Hannover haben wir vor allem beim Verteidigen nachgelassen. Dann hat fast jede Mannschaft in der Zweiten Liga genug Qualität, um uns wehzutun." Angesprochen fühlen dürfte sich vor allem der junge Belgier Amadou Onana (19), der mit seinen beiden Ballverlusten die Gegentore zum 2:3 und 3:3 einleitete. „Auf einmal steht es 3:3 und keiner weiß so richtig, warum", klagte Mutzel. „Das darf uns nicht passieren, ganz einfach."

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Beim HSV setzt kein Lerneffekt ein

Ganz so einfach scheint es für seine Spieler auf dem Platz allerdings nicht zu sein, solche folgenschweren Fehler abzustellen. Es ist ein wenig zum Club-eigenen Phänomen geworden, dass der HSV immer wieder nachlässt, sobald der Sieg zum Greifen nah scheint. Obwohl es genug Beispiele für einen solchen fast schon schablonenartigen Spielverlauf gibt, scheint bei den Profis kein Lerneffekt einzusetzen.

Dennoch beteuert Mutzel, dass diese Probleme nicht mit einer Überheblichkeit oder Arroganz der Spieler zu begründen seien. „Wir haben einen kleinen Tick nachgelassen und Hannover hat es ausgenutzt. Wir dürfen halt nicht nachlassen in dieser Liga, das ist ganz einfach", sagt Mutzel.

Ganz einfach würde der HSV nun gerne am kommenden Freitag gegen Darmstadt 98 gewinnen. Doch vermutlich wird es wieder nicht ganz so einfach wie von den Spielern gewünscht. Egal, wie hoch die Hamburger diesmal führen sollten.

Die Statistik:

  • Hannover: Esser – Muroya, Franke, Falette, Hult – Kaiser (46. Doumbouya), Haraguchi – Twumasi (69. Maina), Muslija (69. Ochs), Sulejmani (46. Bijol) – Ducksch (89. Frantz).
  • HSV: Ulreich – Vagnoman, Ambrosius, Heyer, Gyamerah – Onana – Kittel (88. Jatta), Leibold (71. Narey) – Hunt (85. Dudziak) – Wood (71. Terodde), Wintzheimer (85. Kinsombi). – Trainer: Thioune
  • Schiedsrichter: Florian Badstübner (Windsbach)
  • Tore: 0:1 Hunt (14.), 0:2 Hunt (34.), 0:3 Hunt (50.), 1:3 Haraguchi (56.), 2:3 Ducksch (68.), 3:3 Haraguchi (84.)
  • Gelbe Karten: – Heyer (3), Onana (5)