Hamburg. Der HSV hofft gegen 96 auf das erste Ligaspiel der Saison mit 57.000 Zuschauern. Die Ultraszene arbeitet an einer Motivationsaktion.
Der HSV ist schon ein Phänomen. Vier Jahre Zweite Liga, zum vierten Mal in Folge droht Rang vier. Und die Fans? Rennen dem Club die Bude ein. Oder besser: das Boot. Denn das Boot ist voll. Zumindest fast. Für die traditionelle Barkassenfahrt zum Saisonausklang, die coronabedingt drei Jahre pausieren musste, gibt es jedenfalls nur noch wenige Restkarten.
Am kommenden Sonnabend treffen sich rund 300 Anhänger der aktiven Fanszene des HSV bereits um 9.30 Uhr an den Landungsbrücken, um sich bei ein paar Getränken „zu vernünftigen Preisen und bei stabilem Punk-Rock“ beim zweistündigen Törn auf der Elbe auf das Saisonfinale einzustimmen. „Die Fans sind heiß“, sagt Mitorganisator Jan Walter Möller. „Nun muss nur noch der HSV liefern.“
HSV: Um 14.11 Uhr wurde das 50.000. Ticket verkauft
Ob der Club tatsächlich liefert, wird sich zwei Stunden nach der Rückkehr in den sicheren Hafen zeigen, wenn der HSV im Volksparkstadion im letzten Heimspiel der Saison auf Hannover 96 trifft. Und ähnlich wie Möllers Boot ist auch das Stadion fast voll.
Allein über das Wochenende, als der HSV durch das 4:0 in Ingolstadt noch einmal Fanhoffnungen schürte, wurden 9000 Tickets verkauft. Um 14.11 Uhr wurde die 50.000er-Hürde zum ersten Mal in dieser Saison gerissen, bis zum Abend wurden 51.000 Tickets verkauft. Die Verantwortlichen haben berechtigte Hoffnungen nach dem ausverkauften Pokal-Halbfinale gegen Freiburg (1:3) nun auch auf das erste ausverkaufte Liga-Heimspiel der Saison.
Elan der Fans motiviert HSV-Spieler
„Die Jungs und Mädels pushen uns brutal nach vorne“, freut sich auch Trainer Tim Walter auf sein erstes Liga-Volksfest im Volkspark. „Das zeigt, dass da was entstanden ist. Diesen Elan wollen wir weiter mitnehmen.“
Tatsächlich scheinen die Anhänger unabhängig vom Saisonfinale vom eingeschlagenen Walter-Weg überzeugt. Spricht man mit Fanvertretern, Supporters, Ultras und Mitgliedern der aktiven Fanszene, wird fast immer der Wunsch nach Kontinuität auch nach dieser Saison formuliert. „Komischerweise sind die allermeisten HSV-Fans, die ich kenne, dafür, den Weg so weiterzugehen“, schreibt ein Anhänger bei Twitter – und ist damit nur einer von vielen.
HSV-Fans bleiben treu, trotz interner Schwierigkeiten
Dabei haben auch die meisten interessierten Fans mitbekommen, dass der von Trainer Walter propagierte Weg nicht nur auf uneingeschränkte Zustimmung innerhalb des HSV stößt. Aufsichtsratschef Marcell Jansen hat unmittelbar nach dem Saisonfinale eine interne Analyse angekündigt, deren Ergebnisse unabhängig von Vertragslaufzeiten völlig offen sein sollen.
Auch Sportvorstand Jonas Boldt auf der einen und Sportdirektor Michael Mutzel (beide Vertrag bis 2023) auf der anderen Seite sind auf dem Prüfstand. Längst gilt es im Volkspark als offenes Geheimnis, dass – unabhängig von Volkes Wille – im Falle eines erneuten Scheiterns im Aufstiegsrennen Veränderungen anstehen.
Die Fans bleiben gelassen
Wer nun aber dachte, dass die traditionell kritischen Mitglieder angesichts unpopulärer Entscheidungen, die anstehen könnten, auf die Barrikaden gehen, der irrt. Barkasse statt Barrikaden heißt es in diesen Tagen. Denn obwohl es innerhalb des Clubs – wieder einmal – rumort, bleibt es rund um den HSV erstaunlich ruhig.
Dass die Mitgliederversammlung, auf der es gerne mal hoch hergeht, statt auf einen Wochenendtag vor Kurzem auf den 22. Juni, einem Mittwochabend (ab 18 Uhr) gelegt wurde, hat nur in den sozialen Netzen für ein wenig Unmut gesorgt. Ansonsten gilt das leicht abgewandelte Motto: Ruhe ist die erste Barkassenfahrerpflicht.
Ultraszene will gegen Hannover und Rostock unterstützen
Die Gründe für die Passivität sind vielfältig: die Corona-Pandemie, der dauerhafte Misserfolg und die Müdigkeit einiger Anhänger, dass jedes Jahr alles über den Haufen geworfen wird. „Die Richtung, die der HSV eingeschlagenen hat, gefällt vielen“, sagt Abschlussfahrt-Mitorganisator Möller. „Es wäre sehr wünschenswert, wenn nicht schon wieder ein neuer Weg eingeschlagen wird.“
Doch bevor die Saison, der Weg und das große Ganze wirklich analysiert werden, müssen zunächst einmal die letzten beiden Spiele gegen Hannover (Sa, 13.30 Uhr) und in Rostock (So, 15.5., 15.30 Uhr) gespielt werden. Innerhalb der Ultraszene will man nun überlegen, wie man die Mannschaft noch zusätzlich motivieren kann. In der Vergangenheit hat es vor dem Saisonfinale beispielsweise kollektive Besuche beim Abschlusstraining, ein Spalier für den Mannschaftsbus, eine Choreo oder auch „nur“ die Bitte gegeben, dass alle Fans Fahnen ins Stadion mitnehmen sollen.
Gästekartenkontingent in Rostock ausverkauft
„Die Leidenschaft, die unsere Fans mitbringen, die wollen wir auch auf den Platz bringen“, sagt Kapitän Sebastian Schonlau, der auch begeistert von der Unterstützung von mehr als 2000 Hamburgern und deren Choreografie am Wochenende in Ingolstadt war. „It ain’t over till it’s over“ (Es ist nicht vorbei, bis es vorbei ist), stand auf einem Transparent über dem gesamten Gästeblock geschrieben mit einem Sensenmann, der aussah, als ob er direkt aus dem Iron-Maiden-Song „The Trooper“ entsandt wurde. „Das war phänomenal. Es sind knapp 750 Kilometer Entfernung. Wenn man dann sieht, wie viele Fans mitreisen, ist das beeindruckend“, lobte Schonlau.
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Der Faktor Fans könnte bei einem erfolgreichen Wochenende noch mal zu einem entscheidenden Pluspunkt am letzten Spieltag werden. Das Gästekartenkontingent von 2500 Tickets für das HSV-Auswärtsspiel in Rostock war jedenfalls bereits nach wenigen Minuten vergriffen. „Bei einem Sieg gegen Hannover wird Rostock richtig geil“, sagt Barkassen-Fan Möller, der sich natürlich auch längst eine Karte gesichert hat.
Ob der Tanker HSV in der kommenden Saison in die Erste Liga oder noch immer in der Zweiten Liga schippert, weiß Möller nicht. Der Fan weiß nur eines: Er wird definitiv mit an Bord sein.
Das Restprogramm der Aufstiegskandidaten: 1. Schalke (67:41 Tore/59 Punkte): St. Pauli (H), Nürnberg (A); 2. Darmstadt (67:44/57): Düsseldorf (A), Paderborn (H); 3. Bremen (60:43/57): Aue (A), Regensburg (H); 4. HSV (62:32/54): Hannover (H), Rostock (A); 5. St. Pauli (57:43/54): Schalke (A), Düsseldorf (H).