Hamburg. Mit Vuskovic und Doyle holte der HSV zwei 19-Jährige, gegen Groningen debütierten vier Youngster. Macht: Den jüngsten Kader der Liga.
Marko Johansson hatte am Mittwoch jede Menge Lebenserfahrung in seinem Rücken. Seine Großeltern und Mutter Karolina waren extra aus dem schwedischen Malmö angereist, um den neuen HSV-Torhüter in seinem ersten Spiel zu unterstützen. Johansson durfte im Test gegen den niederländischen Erstligisten FC Groningen 90 Minuten spielen.
Der Besuch seiner Familie dürfte dem 23-Jährigen ein wenig Sicherheit gegeben haben. Schließlich verteidigte vor ihm eine vor allem in der zweiten Halbzeit extrem junge Hamburger Mannschaft, die durch die Eigengewächse Juho Kilo (19), Robin Velasco (19), Faride Alidou (20) und Maximilian Großer (20) verstärkt wurde.
Trotz der vielen Youngster gewann der HSV gegen die Holländer verdient mit 3:1 (1:1) und machten ihren Trainer froh. „Die Jungs haben sich gezeigt und machen es mir nicht einfacher“, sagte Tim Walter und meinte damit die vergrößerte Auswahl an Talenten für seinen Profikader.
Am Tag zuvor hatte der HSV mit den Verpflichtungen von zwei externen Talenten zementiert, dass der Club nach drei enttäuschenden Nichtaufstiegen einen Kurswechsel vollzieht. Mit Mario Vuskovic von Hajduk Split und Tommy Doyle von Manchester City holten die Hamburger zwei 19-Jährige auf Leihbasis in den Volkspark. Die beiden Jungprofis stehen für einen neuen Weg, den die Verantwortlichen um Sportvorstand Jonas Boldt und Sportdirektor Michael Mutzel sowie Trainer Walter definiert haben.
HSV setzt auf Jugend-Experiment
Bis auf Ersatztorhüter Tom Mickel (32) wurden mit Aaron Hunt (34), Simon Terodde (33), Sven Ulreich (32), Toni Leistner (31) und Klaus Gjasula (31) alle Ü-30-Profis der vergangenen Saison abgegeben. Gekommen sind neben der neuen Achse aus Sebastian Schonlau (27), Robert Glatzel (27) und Jonas Meffert (26) ausschließlich Spieler, die jünger als 23 Jahre sind. Mit einem Durchschnittsalter von 24,2 Jahren hat der HSV nun den jüngsten Kader der Zweiten Liga. „Wir haben jetzt noch mehr Potenziale. Das ist das, was wir brauchen“, sagte Walter.
Der neue Trainer war es auch, der den veränderten Weg des HSV eingeleitet hat. Schon nach dem verpassten Aufstieg reifte bei Boldt und Mutzel die Überlegung, noch viel radikaler auf die Entwicklung junger Spieler zu setzen. Mit Walter fanden sie den Trainer, der diesen Weg mit voller Überzeugung mitgeht. Gestärkt wurde diese Entscheidung auch durch die Erfahrungen innerhalb der Kabine in der vergangenen Saison und im Laufe der Vorbereitung.
Waren Leistner und Gjasula schlecht für die HSV-Kabine?
Schon in der vergangenen Spielzeit sollen es vor allem die älteren Spieler gewesen sein, die innerhalb des Teams immer dann für schlechte Stimmung sorgten, wenn sie wenig zum Einsatz kamen. Ähnlich war es in der Vorbereitung, als sich Spieler wie Gjasula und Leistner nicht mit ihren vorgesehenen Rollen als Reservisten anfreunden wollten und die Atmosphäre in der Gruppe negativ beeinflusst haben sollen.
Nun setzt der HSV voll auf das Experiment Jugend forsch. Als gleichzeitige Abkehr von den Aufstiegsambitionen will Sportvorstand Boldt die neue Ausrichtung aber nicht verstanden wissen. Trotz des bislang schwächsten Zweitligastarts mit sechs Punkten aus fünf Spielen sind die Verantwortlichen überzeugt, um die ersten drei Plätze mitspielen zu können.
Boldt hält die Ziele beim HSV hoch
„Wenn man die Raute auf der Brust hat und in dieser Liga spielt, muss es schon das Ziel sein, auf Sieg zu spielen“, sagte Boldt am Mittwoch am Rande des Spiels, während Manuel Wintzheimer im Hintergrund gerade einen Elfmeter herausholte und Sonny Kittel zum zwischenzeitlichen 2:1 traf. Boldt will die Ziele hochhalten, gleichzeitig aber auch Druck nehmen und Verantwortung auf mehrere Schultern verteilen.
Auch das ist eine Erkenntnis aus der vergangenen Saison, als vor allem Stürmer Terodde in der entscheidenden Saisonphase zu viel Last alleine schultern musste. „Vielleicht war es schon ein Punkt, dass sich der eine oder andere Spieler leichter hinter dem Namen verstecken konnte und nicht alle diese Erwartungshaltung so erfüllt haben, wie sie sich das erhofft haben und wie wir uns das erhofft haben. Deswegen ist der Fokus schon mehr auf der Gruppe“, sagt Boldt.
Das erhofft sich der HSV von Doyle
Die jungen Spieler sollen jetzt eine neue Energie in die Gruppe bringen. Und trotz ihres jungen Alters sollen auch die jüngsten Zugänge Vuskovic und Doyle den HSV auf Anhieb verstärken. Mit beiden Spielern hatten sich die HSV-Scouts schon seit längerer Zeit beschäftigt. Dass beide Talente auf den Markt kamen, bekamen die Hamburger aber erst in den letzten Tagen der Transferperiode über ihr Netzwerk mit. Vor allem der Transfer des Kroaten Vuskovic gilt als Coup, da der HSV den Innenverteidiger in zwei Jahren für 3,5 Millionen Euro kaufen kann. Im Fall des Aufstiegs wird die Kaufoption verpflichtend.
Bei Doyle hat der HSV nach der Leihe kein Zugriffsrecht. Die Hamburger glauben aber, dass der 19-Jährige der Mannschaft im zentralen Mittelfeld direkt helfen kann. Doyle gilt als passsicher und zweikampfstark, schießt zudem gute Standards. Ein ähnlicher Spielertyp wie Ludovit Reis, neben dem Doyle künftig auf der Acht spielen könnte. Auf dieser Position hatte der Club nach den Abgängen von Jeremy Dudziak und Amadou Onana noch ein Vakuum im Kader.
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HSV fehlte bei Thommy die Überzeugung
Nicht mehr verstärkt hat sich der HSV auf den offensiven Außenpositionen. Optionen wurden geprüft, am Ende fehlte die Überzeugung, wie etwa bei Stuttgarts Erik Thommy (27), mit dem sich Boldt und Mutzel beschäftigt hatten. Im System von Walter spielen die klassischen Außenstürmer ohnehin nicht die große Rolle. Auch Bakery Jatta agiert in der HSV-Formation nun eingerückter. Mit Wintzheimer und Kaufmann sieht Boldt hier noch weitere Optionen.
Statt Thommy kam schließlich Tommy. Und mit Tommy Doyle auch der klare Plan, die Spielidee von Trainer Walter weiter zu stützen. Nach vier Spielen ohne Sieg war die riskante Taktik des 45-Jährigen bereits Thema vieler Diskussionen. In Heidenheim hatte der HSV-Trainer sein System am vergangenen Wochenende stabilisiert. Die mutige, offensive Spielweise will der Chefcoach beibehalten.
Von den Verantwortlichen bekommt Walter das Vertrauen, seinen Weg weiterzugehen. „Jetzt gilt es, auch die nötige Geduld dabei zu haben“, sagte Boldt und war rechtzeitig wieder am Platz, als Robert Glatzel gegen Groningen zum 3:1-Endstand traf. Wie schnell der HSV auf seinem neuen Weg vorankommt, zeigt sich zunächst im kommenden Heimspiel gegen Sandhausen und dann vor allem eine Woche später zwei Autostunden weiter östlich von Groningen: in Bremen. Im Nordderby spielt dann die jüngste Mannschaft der Liga (HSV) bei der zweitjüngsten (Werder).