Hamburg. Vor einem Jahr startete er seine HSV-Mission. Zwei Monate nach seinem Aus hat er mit der Zeit abgeschlossen. Und träumt von Liga eins.
Daniel Thioune sieht erholt aus, als er am Freitagmittag vor dem Hotel Remarque in Osnabrück sitzt und auf den Termin mit dem Abendblatt wartet. Der 46-Jährige wirkt beinahe so energiegeladen wie an dem Nachmittag vor fast genau einem Jahr, als er sich am 6. Juli 2020 nach seinem Abgang beim VfL Osnabrück das erste Mal im Volksparkstadion auf dem Pressepodium als HSV-Trainer präsentierte und mit einem „Moin in die Runde“ grüßte.
Es ist viel passiert seit diesem Tag im Leben des Daniel Thioune. Gerade mal zwei Monate ist es her, dass er seine Arbeit in Hamburg nach nur zehn Monaten schon wieder beenden musste. Drei Spieltage vor Saisonende hatte ihn der Club freigestellt. „Ich habe ein paar Wochen gebraucht, die Ereignisse zu verarbeiten. Die Aufarbeitung ist jetzt nahezu abgeschlossen“, sagt Thioune und nimmt auf der Hotelterrasse Platz. „Jetzt bin ich wieder angekommen in Osnabrück.“
Ehemaliger HSV-Trainer zurück in Osnabrück
Rückblick: Vor genau einem Jahr fuhr das Abendblatt schon einmal nach Osnabrück und sprach mit langjährigen Wegbegleitern über den Mann, der dort geboren und aufgewachsen ist und mit dem VfL als Spieler und Trainer jeweils den Aufstieg von der Dritten in die Zweite Liga schaffte. Die Überschrift des Artikels: „Made in Osnabrück“.
Zwölf Monate später ist Thioune zurück in Osnabrück. Hier ist noch immer sein Zuhause. Mit seiner Frau Claudia und seinem Sohn Joshua ist er wieder in ihr Haus in Sutthausen eingezogen, nachdem sie zu dritt zehn Monate im Hamburger Stadtteil Groß Flottbek gewohnt haben. Tochter Hanna blieb in Osnabrück. Sie wohnt jetzt im Zentrum und war auch der Grund, warum Thioune vor Kurzem das erste Mal wieder in der Osnabrücker Innenstadt unterwegs war.
Schlechte Rückrunde beim HSV
Normalerweise meidet er diese Ecke. „Ich habe nie die Öffentlichkeit gesucht in Osnabrück. Ich bin hier auch noch zu sehr Gesicht, als dass ich einfach nur in Ruhe einen Kaffee in der Stadt trinken könnte“, sagt Thioune und bestellt sich einen Latte macchiato.
Hier im Vienna House, dem Hotel Remarque im Nordwesten von Osnabrück, fühlt er sich unbeobachtet. Ein bekannter Gast ist er ohnehin. Hier hat er sich mit dem VfL auf die Spiele vorbereitet, hier hat er an der Bar all die Erfolge gefeiert, zuletzt den Aufstieg im Jahr 2019. Zu gerne hätte er das auch mit dem HSV in Hamburg getan. Und viel hat ja auch nicht gefehlt. Am Ende aber erging es ihm wie seinen Vorgängern. Auf eine sehr gute Hinrunde folgte eine sehr schlechte Rückrunde und schließlich die Trennung. Es war das erste Mal in seiner Karriere als Spieler und Trainer, dass er freigestellt wurde. Eine Erfahrung, die er nicht gebraucht habe, die ihm jetzt aber die Möglichkeit gegeben hat, sich und seine Arbeit in Ruhe zu reflektieren.
„Mein Leben ist aktuell entschleunigt"
Aus diesem Grund hat sich Thioune trotz einiger Anfragen – auch vom VfL Osnabrück – dagegen entschieden, zum 1. Juli wieder eine neue Aufgabe anzunehmen. „Mein Leben ist aktuell entschleunigt. Das Tempo in Hamburg und den Jahren davor war hoch. Alles nahezu ohne Pause und sehr intensiv. Nun war es die Chance, den Akku wieder voll aufzuladen, um dann bald wieder mit 100 Prozent an eine neue Aufgabe zu gehen.“
Thioune traf sich mit seinen engen Wegbegleitern aus Hamburg, aber bewusst auch mit Leuten, die ihn nur aus der Ferne beobachtet haben. Einer von ihnen war sein langjähriger Freund Frank Aehlig (53), der gerade als Sportkoordinator vom 1. FC Köln zu RB Leipzig gewechselt ist. Aber auch mit St. Paulis ehemaligem Nachwuchschef Roger Stilz (44), Zimmerpartner im Fußballlehrer-Lehrgang, und mit Ex-HSV-Trainer Hannes Wolf (40) tauschte er sich aus. Stilz arbeitet jetzt in Belgien als Manager. Wolf tat das nach dem HSV als Trainer. Auch Thioune kann sich vorstellen, im Ausland zu arbeiten, etwa in Belgien, in England, aber auch in anderen europäischen Ligen.
Thioune verlängerte seine Fußballlehrer-Lizenz
In den vergangenen Wochen nahm Thioune an verschiedenen Trainerfortbildungen teil, um die Gültigkeit seiner Fußballlehrer-Lizenz zu verlängern. Das müssen alle Trainer. In einem Seminar sprach Karsten Neitzel (53) über seine Arbeit beim Selangor FC in Malaysia. „Man bekommt einen guten Eindruck, ob es perspektivisch etwas sein kann, im Ausland zu arbeiten“, sagt Thioune.
Sein großes Ziel aber bleibt ein anderes: die Bundesliga. Das war auch der Fahrplan in Hamburg. Obwohl der HSV vor einem Jahr nur von der Entwicklung als Zielsetzung sprach, war Thioune die eigentliche Zielsetzung von Tag eins an klar. „Wenn man sich für den HSV entscheidet, will man aufsteigen. Ich will Bundesligatrainer werden, das ist auf Sicht mein Ziel. Wenn man HSV-Trainer wird, erhöht das die Wahrscheinlichkeit.“ Warum das Ziel dann nicht ausgesprochen wurde? „Beim HSV geht es immer um die ersten drei Plätze. Man könnte das klarer formulieren, aber es hilft ja keinem.“
„Letztlich wird alles über die Ergebnisse bewertet"
Über die Frage, warum ihm der Aufstieg nicht gelungen ist, hatte Thioune jetzt einige Wochen Zeit, nachzudenken. Eine klare Antwort hat er nicht gefunden. Natürlich fallen ihm die Spiele ein in der Rückrunde gegen Aue und Hannover, als der HSV nach einer 3:1- und 3:0-Führung jeweils 3:3 spielte. „Wenn wir die beiden Spiele gewonnen hätten, würden wir jetzt wahrscheinlich im Trainingslager sitzen. Am Ende fehlten oft Nuancen.“
Thioune räumt ein, dass die emotionalen Ausschläge im Laufe einer HSV-Saison die Protagonisten verändern würden. „Der Verlauf einer Saison und solche Rückschläge sowie die Rucksäcke der Vorjahre machen etwas mit den Menschen. Mit allen Beteiligten. Vielleicht hat der HSV da seine ganz eigene Geschichte. Es gelingt einem nicht immer, alles zu filtern. Oder man lässt zu viel zu und zu viel an sich heran“, sagt Thioune rückblickend. Seine Mannschaft habe es am Ende nicht geschafft, die zwischenzeitlich positive Entwicklung in Punkten abzubilden. „Letztlich wird alles über die Ergebnisse bewertet. Und wenn man am Ende auf die Ergebnisse geguckt hat, dann darf man Veränderungen vornehmen.“
HSV stellte Thioune am 3. Mai frei
Thioune meint seine Freistellung am 3. Mai, wenige Tage nach dem 1:1 gegen den Karlsruher SC, seinem „All-in-Spiel“. Am Tag danach, so hieß es, habe Thioune nicht mehr die Energie vermittelt, die Saison noch positiv beenden zu können. „Klar ging es mir nach Karlsruhe nicht gut. In dem Augenblick waren wir auf dem Weg, etwas zu verlieren. Es fühlte sich nicht gut an“, sagt Thioune mit zwei Monaten Abstand. „Die Ellbogen waren unmittelbar nach dem Spiel noch nicht wieder draußen, aber die Energie war ungebrochen. Wir wollten zwei Tage durchatmen und uns am Montag mit neuer Energie wiedersehen. Das haben wir auch, aber leider zur Verabschiedung.“
Sportvorstand Jonas Boldt informierte ihn am Sonntagmittag, er solle zu ihm ins Büro kommen, sobald er zurück in Hamburg sei. „Da war für mich klar, was passiert“, sagt Thioune. Boldt und Sportdirektor Michael Mutzel hat er seitdem noch nicht wieder getroffen. Groll verspürt Thioune aber nicht. Im Gegenteil. „Ich würde mir wünschen, dass Jonas und Michael noch lange beim HSV sind. Dem Club würde Kontinuität unheimlich guttun. Viele Veränderungen führen zu vielen Veränderungen im Kader. Und jeder Trainer hat eine neue Idee.“
„Auf den HSV schaue ich aber nur positiv zurück"
So wie auch der neue HSV-Trainer Tim Walter, dessen erste PK sich Thioune aus Interesse angeschaut hat. Er lehnt sich in seinem weißen Michael-Jordan-Hoodie zurück in seinen Stuhl und erinnert sich noch einmal an seinen ersten Tag in Hamburg. Auch damals trug er einen Kapuzenpullover, ehe er den Hinweis bekam, für die Pressekonferenz doch besser ein Hemd anzuziehen. Die 38 Minuten lange PK wurde später im Fußballlehrer-Lehrgang analysiert. Die Rückmeldung seiner Kollegen: authentischer Auftritt, bis auf seine Kleidung.
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Thioune lacht. Er hat wieder ein gutes Gefühl, wenn er an seine HSV-Zeit denkt. „Meine Aufgabe fühlt sich unvollendet an. Auf den HSV schaue ich aber nur positiv zurück. Ich habe mich in fast jedem Moment wohlgefühlt.“ Besonders gerne erinnert sich Thioune an seine Gespräch mit Horst Hrubesch. „Es fühlt sich unfassbar gut an, wenn er erzählt, wie es 1983 in Athen war. Wie Ernst Happel war. Das ist unbezahlbar. Horst war auch der Erste, der mich angerufen hat, als es vorbei war.“ Thiounes Resümee: „Ich würde immer wieder nach Hamburg gehen. Der HSV war schon geil.“
Thioune erlebte Hamburg nur während Pandemie
Zwei Dinge aber bedauert Thioune. „Ich hätte gerne mal die 57.000 Zuschauer erlebt“, sagt er über seine fehlendes Volksparkgefühl. Aber auch die Stadt Hamburg konnte er während der Pandemie nicht erleben. „Als Familie waren wir gefangen in der Blase. Wir konnten Hamburg nicht richtig kennenlernen. Das war für uns eine komische Zeit.“
Nun heißt seine Stadt wieder Osnabrück. Und sein Verein irgendwann auch wieder der VfL? „Irgendwann kann ich mir sehr gut vorstellen, hier noch einmal am Spielfeldrand zu stehen.“ Bis dahin will sich Thioune aber noch andere Träume erfüllen. Vor allem den Traum von der Bundesliga. Und das so schnell wie möglich.