Heimstetten. Mikkel Kaufmann kommt aus Kopenhagen. Beim 2:2 gegen Augsburg drängt sich aber ein anderer Angreifer auf.
Tim Walter strahlte über beide Ohren, als er am Mittwochnachmittag über den aktuellen Zustand der Mannschaft befragt wurde. Zum Abschluss des neuntägigen Trainingslagers hatte der HSV soeben 2:2 (2:2) im Testspiel gegen Bundesligist FC Augsburg in Heimstetten gespielt und dabei gezeigt, wie ansehnlich der Fußball des neuen Trainers aussehen kann, wenn alle Abläufe funktionieren. „Ich bin total zufrieden mit allen Jungs, zumal wir nach einem intensiven Trainingslager total müde waren“, sagte ein glücklicher Walter. „Wir haben uns heute noch einmal gequält und durchgebissen. Das war für mich das Entscheidende.“
Einen positiven Eindruck hinterließ vor allem Manuel Wintzheimer (22), der als zweite Spitze offensichtlich im von Walter favorisierten 4-4-2-System mit einer ständigen Rotation aller Feldspieler profitiert. Gegen Augsburg erzielte der Angreifer beide Tore – und eines war schöner als das andere. Erst traf er mit einem Schlenzer in den rechten Winkel zum 1:1 (23.). Keine drei Minuten später überwand er FCA-Keeper Rafal Gikiewicz mit einem noch sehenswerteren Lupfer zum 2:2 (26.). Für Augsburg trafen Kevin Danso (19.) und Ex-HSV-Profi André Hahn (24.).
Mikkel Kaufmann kommt zunächst auf Leihbasis für eine Saison
Möglicherweise war Wintzheimer zusätzlich motiviert aufgrund einer bevorstehenden Personalie, die kurz vor dem Spiel aus Dänemark durchsickerte. In Zukunft muss sich Wintzheimer gegen den neuen Stürmer Mikkel Kaufmann (20) durchsetzen. Mit dem Dänen waren sich die Verantwortlichen schon länger einig. Am Mittwoch handelte der HSV auch mit dem FC Kopenhagen, wo Kaufmann einen Vertrag bis 2024 besitzt, die finalen Details des Transfers aus.
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Der 1,90-Meter-Mann kommt zunächst auf Leihbasis für eine Saison. Für den kommenden Sommer hat sich der HSV eine Kaufoption gesichert, die nach Abendblatt-Informationen bei rund 1,5 Millionen Euro liegt. Eine Summe, die durch branchenübliche Bonuszahlungen auf bis zu zwei Millionen Euro anwachsen kann. Für den dänischen Spitzenclub läuft es in jedem Fall auf ein Minusgeschäft hinaus. Im Januar 2020 hatte Kopenhagen für Kaufmann eine Ablöse von drei Millionen Euro an Aalborg gezahlt.
Wuchtiger und athletischer Stürmer
Gegen Ende dieser Woche wird das Offensivtalent seinen Medizincheck im UKE absolvieren. Der HSV sieht in Kaufmann einen wuchtigen und athletischen Stürmer, der sich resistent in den Zweikämpfen präsentiert und für Powerfußball steht. In jedem Fall aber ist er kein klassischer Ersatz für den zum Bundesliga-Absteiger FC Schalke abgewanderten Torjäger Simon Terodde. In seinen eineinhalb Jahren kam Kaufmann in 17 Ligaspielen für Kopenhagen zum Einsatz. Seine Bilanz: zwei Tore und eine Vorlage.
Doch unter Walter werden die Stürmer beim HSV nicht mehr nur an Toren gemessen. Stattdessen setzt der Coach auf spielstarke und robuste Angreifer, die sich vor allem über Beweglichkeit definieren. Eine Idee ist auch: Um unberechenbarer zu sein, soll das Toreschießen in der kommenden Saison auf mehrere Schultern verteilt werden.
So plant Walter für die zwei Positionen im Angriff nicht nur mit den Neuzugängen Kaufmann und Robert Glatzel (27) sowie Wintzheimer und Robin Meißner (21), sondern auch mit Bakery Jatta. „Wenn er im Sturm spielt, muss er nicht flanken, sondern kann häufiger zum Abschluss kommen. Das macht ihn torgefährlicher“, sagt der HSV-Coach.
Jatta fremdelt mit seiner neuen Rolle
Allerdings wurde sowohl im Testspiel vor einer Woche gegen den österreichischen Zweitligisten Wacker Innsbruck (1:0) als auch gegen Augsburg deutlich, dass Jatta mit seiner neuen Rolle noch fremdelt. In manchen Situationen wirkt es, als würde dem Gambier seine größte Stärke, die tiefen Laufwege, genommen, weil er weiter vorne im Zentrum zum Einsatz kommt. Das Problem ist nur, dass Walter im Mittelfeld auf eine Raute mit eingerückten Achtern setzt, also ohne klassische Flügelspieler.
Allerdings hält sich der neue Trainer auch weiterhin die Option offen, in einem System mit Flügelstürmern zu spielen. „Wir müssen schauen, wie es mit dem Tempo in vorderster Linie aussieht“, sagte er.
Tempo ist entscheidend
Ohnehin ist das Tempo für Walters Spielweise auf nahezu allen Positionen entscheidend. Sowohl gegen Innsbruck als auch gegen Augsburg wurde deutlich, welche Gefahren bei Ballverlusten der größtenteils weit aufgerückten Abwehr oder defensiven Mittelfeldspieler drohen. Schon jetzt deutet sich deshalb an, dass es die Routiniers Klaus Gjasula (31) und Toni Leistner (30) schwer haben dürften, auf regelmäßige Einsatzzeit zu kommen.
„Wir waren heute müde von unserer sehr guten Arbeit im Trainingslager. Dadurch haben sich Flüchtigkeitsfehler eingestellt“, stellte sich Walter schützend vor jeden seiner Spieler. „Wir werden genauer in die Analyse gehen, welche Fehler durch Müdigkeit entstanden sind und welche aus individualtaktischer Herkunft.“
Bei dieser tieferen Analyse wird sich bestätigen, dass sich neben Neuzugang Sebastian Schonlau (26) momentan Jonas David (21) in der Innenverteidigung festgespielt hat. Das Eigengewächs hat Walters riskant wirkenden Spielaufbau als einer der Schnellsten adaptiert. Im Vergleich zum Vorjahr, als er in der Vorbereitung unter Ex-Coach Daniel Thioune ebenfalls eine Chance erhielt sich zu beweisen, ist David zudem deutlich robuster geworden.
Massive Verletzungssorgen während der Vorbereitung
Neben David haben sich auch Talent Anssi Suhonen (20), Neuzugang Ludovit Reis (21) und Moritz Heyer als Rechtsverteidiger in den Vordergrund gespielt. „Der Leistungsstand von allen Jungs ist top, ich bin wirklich sehr zufrieden“, lobt Walter – und das, obwohl der HSV während der Vorbereitung immer wieder mit massiven Verletzungssorgen und Corona-Infektionen (Leistner, Glatzel Onana) zu kämpfen hat.
Allein gegen Augsburg meldeten sich gleich sechs der mit ins Trainingslager angereisten Profis ab: Daniel Heuer Fernandes (Adduktoren), Jeremy Dudziak (Leiste), David Kinsombi (muskuläre Probleme), Miro Muheim (Trainingsrückstand), Josha Vagnoman (Muskelfaserriss) und Sonny Kittel (Haarriss im Wadenbein). „Das ist das Prinzip der natürlichen Selektion“, scherzte Walter in Bezug auf seine kräftezehrenden Trainingsmethoden.
Methoden, von denen sich künftig auch Kaufmann ein Bild machen wird.
HSV, 1. Halbzeit: Mickel – Gyamerah, Schonlau, David, Leibold – Meffert – Reis, Suhonen, Heyer – Wintzheimer, Jatta.
HSV, 2. Halbzeit: Oppermann – Heyer, Leistner, Rohr, Leibold (66. Schonlau) – Meffert (75. David) – Reis (75. Wintzheimer), Suhonen, Gjasula – Meißner, Opoku.
DFL-Termine: St. Pauli – HSV: 13. August, 18.30 Uhr. HSV – Darmstadt: 22. August, 13.30 Uhr. Heidenheim – HSV: 28. August, 13.30 Uhr. HSV – Sandhausen: 11. September, 20.30 Uhr. Werder – HSV: 18. September, 20.30 Uhr. HSV – Nürnberg: 26. September, 13.30 Uhr.