Hamburg/Stuttgart. Der ehemalige HSV-Manager spricht über Walters Spielidee, Skat-Runden mit dem Trainer und die junge Dresdner Mannschaft.
Ralf Becker macht es sich am trainingsfreien Montag in seiner Heimat in Stuttgart gemütlich. Um Punkt 10 Uhr schaltet sich der Geschäftsführer von Dynamo Dresden über seinen Laptop in der Zoomschalte mit dem Abendblatt zusammen, um beim wöchentlichen Podcast HSV – wir müssen reden den ersten Spieltag der neuen Zweitligasaison aus dem Wohnzimmer Revue passieren zu lassen.
„Die Fans in Hamburg und Dresden träumen nach dem ersten Wochenende sicherlich wieder von größeren Dingen“, scherzt Becker, der die aufkommende Euphorie nach den beiden Auftaktsiegen von Dresden (3:0 gegen Ingolstadt) und dem HSV (3:1 auf Schalke) einerseits genießt und andererseits richtig einzuschätzen weiß.
Becker kennt das schnelle Auf und Ab in Dresden mittlerweile genauso gut wie die Ausschläge in Hamburg. „Beide Vereine schwanken stark und schnell in alle Richtungen“, sagt Becker, der 2018 bis 2019 als Vorstand Sport beim HSV arbeitete. Nach seiner Freistellung übernahm er 2020 das Ruder bei Dynamo Dresden – und kehrte nach einem Jahr nun zurück in die Zweite Liga. „Man kann sich auf eine junge, hungrige Truppe freuen“, sagt Becker, der mit seiner Rasselbande (drittjüngster Kader der Zweiten Liga) am kommenden Sonntag (13.30 Uhr/Sky) seine Visitenkarte im Volkspark hinterlegen möchte. „Natürlich freue ich mich auf diese Partie.“
HSV: Becker schwärmt vom Walter-Fußball
Genauso wie auf ein Wiedersehen mit HSV-Trainer Tim Walter, den Becker einst aus dem Nachwuchs von Bayern München zu Holstein Kiel lotste. Das HSV-Debüt Walters am Freitag gegen Schalke hat Becker natürlich mit großem Interesse am TV verfolgt – und war nach den ersten 90 Minuten dieser Saison durchaus beeindruckt.
„Tims Fußball sieht vielleicht wild aus, aber er ist nicht beliebig. Auch da steckt ja eine Systematik dahinter. Ich weiß nicht, ob es im Fußball noch einen Trainer gibt, der das so konsequent spielen lässt wie der Tim“, sagt Becker – und lobt: „Tim Walter ist unberechenbar. Er ist ein sehr guter Trainer mit einer klaren Idee.“
Kennengelernt hat er diesen „sehr guten Trainer“ bereits vor knapp 20 Jahren, als Becker selbst noch im Herbst seiner Karriere mit dem SSV Reutlingen in der Zweiten Liga spielte und der seinerzeit gerade mal 27 Jahre alte Walter als Trainerpraktikant beim damaligen Reutlingen-Coach Frank Wormuth hospitierte. Becker und Walter verstanden sich auf Anhieb gut, was sich auch nach zahlreichen Skatrunden mit Walter-Kumpel Thomas Kies nicht ändern sollte. „Ich meine mich zu erinnern, dass ich meistens gewinnen konnte“, sagt Becker im Abendblatt-Podcast – und ergänzt die Erinnerung um die Hoffnung, dass ihm mit Dresden Ähnliches am kommenden Sonntag in Hamburg gelingen könnte.
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HSV: Würde Becker mit Hoffmann ein Bier trinken?
Für Becker ist es die erste Rückkehr in den Volkspark nach seiner Freistellung vor zwei Jahren. Mit Nachfolger Jonas Boldt verstehe er sich sehr gut, aber ob er auch mit HSV-Aufsichtsräten oder mit dem damaligen HSV-Chef Bernd Hoffmann unbedingt ein Bier trinken müsse, lässt er offen. Freuen würde er sich aber auf Sportdirektor Michael Mutzel, den Becker einst zum HSV holte, ehe er selbst wenig später gehen musste.
Doch das HSV-Kapitel ist für Becker abgehakt – ganz ohne Gräuel. So freue er sich beispielsweise auch darüber, dass ein Spieler wie Jonas David, dem er 2018 zu dessen erstem Profivertrag verhalf, endlich den Durchbruch geschafft hat. „Jonas David ist ein intelligenter Kerle, der im Kopf weit und klar ist. Er bringt auch fußballerisch ganz viel mit“, lobt Becker, der das eine oder andere Talent aber auch in seiner eigenen Mannschaft aufbieten kann. Flügelflitzer Ransford-Yeboah Königsdörffer (19) sei beispielsweise ein ganz spannender Teenager, der schon in dieser Saison eine wichtige Rolle in Dresden spielen könne.
HSV: Becker über schwieriger Dresdner Fan-Szene
Doch trotz Aufstieg und gelungenen Saisonstart sei in Dresden längst nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen. So hat es bei einer Razzia in der vergangenen Woche sechs Festnahmen in der berüchtigten Dynamo-Hooliganszene gegeben. „Das ist schon ein Thema, was uns alle im Verein beschäftigt“, sagt Becker, der seit seinem Amtsantritt vor gut einem Jahr nichts unversucht lässt, um gegen Missstände in der eigenen Fanszene anzukämpfen. „Wir als Verein müssen es hinbekommen, dass sich diese Mehrheit gegen diese sogenannten Fans positioniert und dass sie laut wird. Das ist für uns im Verein die allerwichtigste Aufgabe. Es ist wichtig, dass wir uns gegen alle und jeden entgegenstellen, die gegen diese Vielfalt bei uns sind.“
Am Sonntag müssen Becker und seine Mannschaft aber ohnehin ohne Fan-Unterstützung auskommen. Auswärtsfans sind von der DFL erst ab dem dritten Spieltag gestattet. Damit ist Dresdens Trainer Alexander Schmidt, der erst im vergangenen April Vorgänger Markus Kauczinski ablöste, vorerst auf sich alleine gestellt. Doch dem Coach, den Becker ebenfalls schon lange aus gemeinsamen Tagen beim VfB Stuttgart kennt, traut der 50-Jährige in dieser Saison so einiges zu. Die Verhandlungen mit dem Ex-Coach von Türkgücü München, verrät Becker, hätten nicht einmal zehn Sekunden gedauert. Das Podcast-Gespräch ist dagegen erst nach gut 50 Minuten beendet. „Bis Sonntag im Volkspark“, sagt Becker zum Ende.