Hamburg. Der mutige Plan von Tim Walter ging auf, doch es gibt auch noch Optimierungsbedarf beim HSV. Eine Analyse.

Tim Walter war am Tag nach dem 3:1-Erfolg des HSV beim FC Schalke 04 sichtbar gut gelaunt. Seine Freude über den gelungenen Saisonstart und den starken Auftritt seiner Mannschaft ließ ihn sogar zu einer kleinen Gesangseinlage hinreißen. Als die Bandmitglieder Muchel und Boris von Abschlach am Sonnabend im Volkspark vorbeiguckten und eine Unplugged-Version ihrer neuen HSV-Hymne „Wir sind der HSV“ vor der Kamera spielten, stellte sich Walter dazu, dirigierte rhythmisch zum Lied und sang am Ende sogar mit.

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Es war eine Szene, die symbolisch für die losgelöste Stimmung beim HSV stand. Walter hatte vor dem Schalke-Spiel angekündigt, durch diesen hochklassigen Auftakt gleich zu Beginn der Saison zu erfahren, wo man stünde. Nach dem 3:1-Sieg beim Topfavoriten auf den Aufstieg hat der Coach nun die Gewissheit, eine gute Rolle in der 2. Liga spielen zu können.

„Wenn du merkst, dass deine Arbeit Früchte trägt und die Jungs zusammenwachsen, sich gut verstehen, dann ist das für mich enorm wichtig“, frohlockte Walter. „Die Jungs vertrauen sich untereinander und wir vertrauen uns. Das ist die Basis.“

Walters HSV-Taktik überrumpelt Schalke

Dieses angesprochene Vertrauen bezieht sich vor allem auf die von außen oftmals riskant wirkende Spielweise. Wie schon in der Vorbereitung setzten die Profis auch auf Schalke das von Walter geforderte Positionsspiel mit einer permanenten Rotation aller Feldspieler konsequent um. Indem sich auch die Innenverteidiger an dieser taktischen Variante beteiligten, schaffte der HSV Überzahlsituationen – und entwickelte dadurch eine Dominanz beim hoch gehandelten Bundesliga-Absteiger.

Ein Beispiel: Alleine Innenverteidiger Sebastian Schonlau war permanent in die offensiven Ballstafetten involviert. Er zeigte viel Präsenz auf der linken Angriffsseite, wodurch sich die Mittelfeldspieler um den gegnerischen Strafraum positionieren konnten. Phasenweise wirkte der Kapitän wie ein verkappter Spielmacher.

Das führte allerdings auch dazu, dass Schonlau beim Gegentor nach nicht einmal sieben Minuten durch Terodde weit entfernt von seiner Kernposition in der Abwehr war. „Solche Fehler können passieren, das gehört zu unserer Spielweise dazu“, entgegnete der Neuzugang des SC Paderborn entspannt. „Wir ziehen einen sehr, sehr großen Mehrwert aus der Art und Weise wie wir spielen. Natürlich verliert man auch mal den Ball und kriegt ein Gegentor. Das ist aber ein kalkuliertes Risiko. Manchmal klappt es, manchmal nicht. Aber wir sind überzeugt davon. Und wir haben heute gesehen, dass wir vorne auch drei Tore schießen können.“

Sebastian Schonlau wird von Simon Terodde verfolgt. Der HSV-Kapitän war vor allem offensiv überall zu finden.
Sebastian Schonlau wird von Simon Terodde verfolgt. Der HSV-Kapitän war vor allem offensiv überall zu finden. © Imago / Revierfoto | Unbekannt

Walter verlangt noch mehr Mut beim HSV

Auch Walter weiß, dass er zum Saisonstart das nötige Glück und einen bärenstarken Torhüter Daniel Heuer Fernandes auf seiner Seite hatte. Auf der Pressekonferenz nach der Partie bedankte er sich sogar beim Abendblatt, als er nach Kritikpunkten an seine Spieler befragt wurde. „Wir können in allen Bereichen nachlegen. Es gibt noch genug Nachholbedarf“, antwortete der Coach und ging anschließend ins Detail.

„Wir müssen noch mutiger werden. Für viele war es ja schon mutig, aber für mich war es nicht mutig genug. Man kann noch mehr investieren, die Positionen besser auffüllen, härter in die Zweikämpfe gehen und die Standards besser annehmen.“

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Auch wenn Schalke durch die aufgerückten HSV-Verteidiger zu einigen Chancen aus dem Spiel heraus kam (Terodde/7., Bülter/36., Ouwejan/55.), ging Walters Plan im Großen und Ganzen auf. „Manche nennen es risikobehaftet, ich nenne es mutig. Nur wer überzeugt von seiner Arbeit ist, kann so auftreten“, sagte der Trainer und ergänzte, dass die Laufbereitschaft der gesamten Mannschaft der Schlüssel für sein Überzahl kreierendes Positionsspiel gewesen sei.

„Wir brauchen diese Bereitschaft, um flexibel zu bleiben und aktiv gegen den Ball zu arbeiten. Es gibt Mannschaften, die spielen auf Ballbesitz und laufen weniger Kilometer. Ich bin einer, der gerne viele Kilometer laufen lässt und trotzdem viel Ballbesitz hat.“

Walter vermittelt dem HSV Überzeugung

Selbst der durch Robert Glatzel verschossene Elfmeter ließ Walter nicht an seinem Matchplan zweifeln. „Das war der Startschuss. Weil die Jungs dann an sich geglaubt haben, jetzt noch mutiger sein zu müssen“, posaunte Walter. „Die Jungs glauben daran, dass wir vorne eins schießen, wenn wir hinten eins bekommen, weil ich ihnen diesen Glauben vermittele.“

Anhand solcher Aussagen wird klar, wie überzeugt Walter von seiner Spielweise ist, auch wenn diese dem Gegner hin und wieder Großchancen ermöglicht, weil die Defensivspieler zu weit aufgerückt sind. Doch wer 3:1 auf Schalke gewinnt, der hat am Ende recht.

Am Sonntag in einer Woche folgt allerdings die vermutlich schwierigere Aufgabe, wenn der HSV beim Heimspiel gegen den ebenfalls furios gestarteten Aufsteiger Dynamo Dresden seine Leistung bestätigen muss.

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