Hamburg. Die Handball-EM-Botschafter Johannes und Anna Bitter sprechen über Heimturniere, die Spiele in Hamburg und die Chancen der DHB-Auswahl.

Johannes Bitter und seine Frau Anna sitzen gerade zu Hause in Lokstedt, als sie sich in den Videocall einwählen. Weil beide in diesen Tagen das zweite gemeinsame Kind erwarten, haben sie die digitale Variante für das Interview mit dem Abendblatt vorgezogen. Mit 246 A-Länderspielen hat Anna, die bis zum vergangenen September noch den Nachnamen Loerper trug, das Trikot des Deutschen Handballbundes (DHB) zwar häufiger getragen als Johannes (175 Einsätze), im Gegensatz zu ihrem zwei Jahre älteren Ehemann, der mit 41 Jahren immer noch bei HSV Hamburg (HSVH) in der Bundesliga im Tor steht, allerdings keinen großen Titel mit dem Nationalteam gewonnen.

Einen Monat vor dem Start der Handball-Europameisterschaft der Männer in Deutschland (10. bis 28. Januar) sprechen die deutschen Handball-Ikonen über Druck bei Heimturnieren, die Rolle von Hamburg bei der EM und die Chancen der deutschen Auswahl.

Handball: Heim-Europameisterschaft beginnt am 10. Januar

Hamburger Abendblatt: Herr und Frau Bitter, Sie haben beide als Spieler erlebt, wie sich ein solches Heimturnier anfühlt. Worauf können sich die Spieler im Januar freuen?

Anna Bitter: Ich durfte 2017 eine Heim-WM erleben, da waren wir aber leider nicht so erfolgreich, weil wir schon früh gegen Dänemark ausgeschieden sind. Grundsätzlich ist es aber ein unbeschreibliches Gefühl, vor eigenem Publikum aufzutreten und viele Leute in der Halle zu kennen. Bei Johannes war es 2007 mit dem WM-Titel etwas erfolgreicher. (lacht)

Johannes Bitter: Das Turnier ragt in meiner Nationalmannschaftskarriere natürlich heraus, das war für mich das Allergrößte. Das mediale Interesse war deutlich stärker, man musste nicht weit reisen, alle waren voll fokussiert. Dass die Heim-EM einen größeren Stellenwert als andere Turniere hat, merkt man allein schon daran, dass die Bundesliga etwas früher in die Winterpause geht als sonst.

Gibt es ein bestimmtes Erlebnis, das Ihnen als erstes in den Kopf schießt, wenn Sie an 2007 zurückdenken?

Johannes Bitter: Jedes einzelne Spiel war ein Highlight, ganz besonders eingebrannt hat sich aber, wie wir im Mannschaftsbus zum Finale nach Köln gefahren sind. Auf der Autobahn gab es eine Stunde lang nur deutsche Fahnen und Menschen, die uns zugejubelt haben. Das war fantastisch und werde ich nie vergessen.

Mehr öffentliche Aufmerksamkeit bedeutet häufig auch mehr Druck. Wie haben Sie das erlebt?

Anna Bitter: Der Druck hängt immer mit der eigenen und öffentlichen Erwartungshaltung zusammen. Bei uns war die 2017 ziemlich groß, weil wir 2016 eine gute EM gespielt hatten. Gerade für die Frauen-Nationalmannschaft ist es aber schwierig, nachhaltig an der Weltspitze anzuklopfen, weil andere Teams bisher einfach deutlich stärker sind.

Johannes Bitter: 2007 hat bei uns niemand öffentlich vom Titel gesprochen, auch wenn wir uns das Ziel intern natürlich gesetzt haben. Ich war erst 24 Jahre alt, gehörte zu der Zeit noch nicht zu den Führungsspielern. Damals haben andere Spieler den Druck abgefangen. Ich habe davon nicht viel mitbekommen und versucht, mein Ding zu machen und es zu genießen.

Eröffnungsspiel vor rund 50.000 Zuschauern in Düsseldorf

Die deutschen Männer werden das EM-Eröffnungsspiel gegen die Schweiz im Januar vor rund 50.000 Zuschauern im Düsseldorfer Fußballstadion bestreiten. Hätten Sie als junger Spieler damals vor so einer Partie nicht nur Vorfreude, sondern auch gehörig Respekt gehabt?

Johannes Bitter: Ich durfte eine ähnliche Kulisse ja schon mal 2014 erleben, als wir mit dem HSV Handball vor über 44.000 Fans in Frankfurt gegen die Rhein-Neckar Löwen gespielt haben. Ich fand das damals gar nicht so schlimm, weil die Zuschauer in diesem großen Stadion ziemlich weit weg waren. Ich glaube, dass es in Düsseldorf auch eher einen Eventcharakter haben wird. Der Druck für die Sportler dürfte nicht größer sein als in einer großen Halle wie der Kölner Lanxess Arena.

Anna Bitter: Ich glaube, dass es gar keine große Rolle spielen wird, wie erfahren die Spieler sind, weil das für alle eine völlig neue Situation sein wird.

Johannes Bitter: Wichtig ist, dass man als Spieler schon ein, zwei Tage vor dem Spiel zum Training in die Arena kann. Wenn man erst am Spieltag dort reinkommt und plötzlich 50.000 Menschen auf einen warten, ist das etwas anderes.

In der Hamburger Barclays Arena finden vom 17. bis zum 23. Januar vier Hauptrundenspieltage statt, allerdings ohne deutsche Beteiligung. Finden Sie das als Hamburger Botschafter nicht etwas schade?

Anna Bitter: Natürlich ist der Hype um die deutsche Nationalmannschaft immer am größten, trotzdem hat Hamburg aller Voraussicht nach das Glück, gleich mehrere skandinavische Weltklassemannschaften begrüßen zu dürfen. Allein schon durch die räumliche Nähe zu Dänemark erwarten wir viele dänische Fans hier in Hamburg.

Johannes Bitter: Abgesehen von Weltmeister Dänemark dürften auch Norwegen und der amtierende Europameister Schweden in der Barclays Arena spielen. Das sind Topnationen, die am Ende auch alle auf dem Treppchen stehen könnten. Das ist Handball auf allerhöchstem Niveau, den wir in Hamburg an vier Tagen sehen können.

Tickets für die Spiele in Hamburg sind nicht günstig

Auch wenn Sie als Botschafter nicht für die Ticketpreise zuständig sind, fällt auf, dass die Karten nicht gerade günstig sind. Wenn man sich als kleine Familie einen EM-Tag in Hamburg gönnen will, kommt man schnell auf 300 oder 400 Euro…

Johannes Bitter: Ja, das ist so. Trotzdem muss man auch betonen, dass es sich um Tagestickets handelt, mit denen man drei Weltklassespiele pro Tag sehen kann. Wenn man das Ganze als Tagesevent sieht und sich viele schöne Stunden mit drei Spielen in der Halle macht, wird sich das trotzdem lohnen.

Was trauen Sie der deutschen Mannschaft bei dem Turnier zu?

Anna Bitter: Weil bisher nur der erweiterte 35er-Kader feststeht, habe ich noch kein Gefühl dafür, wie das endgültige Aufgebot aussehen wird. Bei manchen Spielern gibt es noch Fragezeichen, ob sie es rechtzeitig schaffen. Grundsätzlich bin ich aber optimistisch, dass wir wieder eine Euphorie auslösen können – auch wenn man sagen muss, dass die Qualität der Teams bei einer Europameisterschaft immer größer ist als bei einer Weltmeisterschaft, weil alle über ein sehr gutes Grundniveau verfügen.

Johannes Bitter: Bei Torhüter Andreas Wolff sieht es gut aus, dass er dabei sein kann, bei anderen Spielern wie Philipp Weber und Luca Witzke gibt es noch Fragezeichen. Um eine Euphorie zu entwickeln, sind bereits die Vorrundenspiele von großer Bedeutung. Gegen die Schweiz und Nordmazedonien sollte sich die deutsche Nationalmannschaft im Idealfall schadlos halten können, ehe im abschließenden Vorrundenspiel dann Frankreich wartet. Das ist eine Topnation, gegen die ein Sieg sicher kein Selbstgänger ist.

Johannes Bitter gefällt die Spielweise der Niederlande

Titelfavorit dürfte für alle Experten Dänemark sein. Haben Sie noch einen Geheimtipp parat?

Johannes Bitter: Ich finde die Niederlande immer spannend, weil sie mit ihren kleinen und schnellen Rückraumspielern einen coolen Handball spielt. Die können durch ihre Offensivpower mehr bewegen, als man vielleicht von ihnen erwartet. Da drücke ich natürlich meinem Hamburger Mitspieler Dani Baijens die Daumen – auch wenn es für den Titel eher nicht reichen dürfte, weil es in der Abwehr ein paar Fragezeichen gibt.

Beim Blick auf unsere dänischen Nachbarn, bei denen der 35er-Kader fast durchgängig aus Weltklassespielern besteht, könnte man als deutscher Fan etwas neidisch werden, oder?

Johannes Bitter: Dänemark könnte selbst mit seiner B-Mannschaft um dem Titel mitspielen, die haben eine unglaubliche Qualität. Trotzdem haben wir in Deutschland weiterhin eine Mannschaft auf sehr gutem Niveau. Wolff kann einer der weltbesten Torhüter sein, der in Turnieren über sich hinauswachsen kann. Was uns fehlt, sind Rückraumspieler, die ein Spiel komplett dominieren können. Das ist aber auch seit vielen Jahren bekannt und unter anderem über ein gutes Zusammenspiel mit dem Kreisläufer zu kompensieren.

Ist da in der Nachwuchsausbildung der vergangenen Jahre etwas verpasst worden?

Johannes Bitter: Klar ist, dass man als junger Spieler in anderen Ligen mehr Spielzeit auf hohem Niveau erhält als in Deutschland, weil man sich in der Bundesliga keine Fehler erlauben darf. Die Füchse Berlin mit ihrem Kooperationspartner VfL Potsdam und auch wir beim HSV Hamburg zeigen in den vergangenen Jahren dennoch, dass man auch mit jungen Spielern erfolgreich sein kann.

Anna Bitter: In Dänemark habe ich als Spielerin in Holstebro selbst erlebt, wie viel Spielzeit junge Talente dort bekommen. Michael Damgaard, der heute beim SC Magdeburg spielt, hat als 17-Jähriger bei den Männern von Holstebro unglaublich viel Einsatzzeit bekommen. Er durfte so viele Fehler machen, wie er wollte - der Trainer konnte trotzdem an ihm festhalten. Das liegt auch daran, dass es in der dänischen Liga einen Play-off-Modus gibt, wodurch die wichtigsten Spiele der Saison erst am Ende warten und man vorher noch ein paar Dinge ausprobieren kann.

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Bevor die Männer loslegen, läuft momentan noch die Frauen-WM in Skandinavien. Mit einem Sieg gegen Serbien am Sonnabend (18 Uhr) wäre das Viertelfinale bereits sicher. Was trauen Sie der deutschen Auswahl zu?

Anna Bitter: Ich weiß, dass die Olympischen Spiele das Ziel sind, dafür muss es bis ins Viertelfinale gehen, um sich einen Platz in einem Olympia-Qualifikationsturnier zu sichern. Gegen den vermeintlich schwersten Vorrundengegner Polen gab es beim 33:17 schon ein richtiges Ausrufezeichen. Man hat gesehen, dass sich das Team in den vergangenen Jahren weiterentwickelt hat und auch breiter aufgestellt ist. Das Viertelfinale traue ich ihnen auf jeden Fall zu. Darüber bräuchte das deutsche Team einen richtig guten Tag (so wie gegen Polen) und insgesamt auch etwas Glück, weil andere Nationen noch stärker sind.

Ärgert es Sie Ex-Spielerin, dass die WM ausschließlich im kostenpflichtigen Stream bei sportdeutschland.tv zu sehen ist?

Anna Bitter: Die Entwicklung finde ich tatsächlich schade. Der breiten Öffentlichkeit kann man das Turnier so nicht präsentieren, dafür braucht es das lineare Fernsehen. Meiner Meinung nach haben auch die öffentlich-rechtlichen Sender den Auftrag, dieses Turnier mehr in den Fokus zu rücken und nicht nur den Fußball.