Hamburg/Berlin. Berliner Handball-Manager spricht vor dem Spiel gegen den HSV Hamburg über seine Jugendarbeit und Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft.

Am Sonntag hat Bob Hanning mal wieder eine Doppelschicht. Zunächst wird der Geschäftsführer der Füchse Berlin beobachten, wie sich der Tabellenzweite der Handball-Bundesliga in der heimischen Max-Schmeling-Halle (15 Uhr/Dyn) gegen den HSV Hamburg schlägt. Im Anschluss steht Hanning selbst als Trainer an der Seitenlinie, mit Zweitligist und Füchse-Kooperationspartner 1. VfL Potsdam empfängt er den VfL Lübeck-Schwartau (18 Uhr/Dyn).

Hanning (55) hat in der Hauptstadt ein Nachwuchs-Fördersystem nach seinen Wünschen geschaffen, mit der zweiten Mannschaft der Füchse in der Dritten Liga, haben die Berliner Talente ein perfektes Stufenmodell zur Entwicklung. Fast jede Saison entspringt diesem System ein Spieler von Bundesligaformat. Im Abendblatt spricht Hanning über seine Leidenschaft für die Jugendarbeit, gescheiterte Pläne in Hamburg und die deutsche Nationalmannschaft.

Handball: Bob Hanning gratulierte zum Sauter-Wechsel

Hamburger Abendblatt: Herr Hanning, als in der vergangenen Woche bestätigt wurde, dass Rückraumtalent Moritz Sauter (20) im kommenden Sommer aus Berlin nach Hamburg wechselt, haben Sie gratuliert. Haben Sie sich denn gar nicht geärgert, dass Sie den Spieler abgeben müssen?

Bob Hanning: Ich habe mich für Moritz gefreut, weil ich die Arbeit von Toto (HSVH-Trainer Torsten Jansen, d. Red.) seit vielen Jahren sehe und sehr schätze. Toto ist schon früh an mich herangetreten und hat gesagt, dass er Moritz gerne haben möchte. Zudem ist es für Moritz allerhöchste Eisenbahn, dass er die Zweite Liga verlässt, weil er die Klasse für die Bundesliga hat. Ich wollte ihn eigentlich schon im vergangenen Jahr zu einem Erstligisten ziehen lassen, er wollte aber noch ein Jahr in Potsdam bleiben, um noch mehr defensive Stärke und Führungsqualität zu erlangen.

Sie haben insgesamt sieben Jahre in die Entwicklung von Moritz Sauter investiert. Dieser Aufwand dient ja keinem Selbstzweck, sondern soll doch eigentlich neue Füchse-Profis hervorbringen, oder nicht?

Das eine schließt das andere nicht aus. Wenn Moritz sich weiterentwickelt, kann es für uns irgendwann wieder ein Thema werden, ihn zurückzuholen. Meine Jungs wissen, dass wir das Beste für den Spieler wollen, nicht das Beste für den Verein. Jeder Spieler, der uns verlässt, ist ein Botschafter für unser Handeln und unsere Philosophie. Und für Moritz ist Hamburg zu diesem Zeitpunkt seiner Entwicklung der passende Schritt.

Berliner Ausbildungssystem bietet Teams in jeder Liga

Mit Potsdam stehen Sie derzeit auf einem Aufstiegsplatz in der Zweiten Liga. Wenn Moritz Sauter geblieben wäre, hätte er womöglich auch dort bald Erste Liga spielen können…

Das stimmt, trotzdem denke ich, dass es ihm hilft, jetzt auch mit älteren Mitspielern zusammen zu spielen. Ganz unabhängig davon ist es nicht das Ziel des 1. VfL Potsdam, in die Erste Liga aufzusteigen, sondern Talente zu entwickeln. Der Abgang von Moritz schafft bei uns jetzt Platz für die nächste Generation, wir werden den Kaderplatz wieder mit einem jungen deutschen Talent auffüllen.

Wäre es für Ihr Ausbildungssystem nicht sogar schädlich, wenn Sie mit Potsdam in die Bundesliga aufsteigen sollten?

Es ist eindeutig kommuniziert, dass es nicht unser Ziel ist, in die Bundesliga aufzusteigen. Die Konstellation mit Jugend-Bundesligateams, der zweiten Füchse-Mannschaft in der Dritten Liga, Potsdam in der Zweiten und den Füchse-Profis in der Ersten ist momentan perfekt. Deshalb werden wir in Potsdam garantiert auch keine Spieler nachverpflichten, um die Chancen für einen Aufstieg zu erhöhen. Im Training konzentrieren wir uns ausschließlich auf die Entwicklung der Talente, die Gegnervorbereitung spielt in Potsdam im Gegensatz zu anderen Zweitligisten überhaupt keine Rolle. Ich habe dem Verein und den Spielern aber auch versprochen, dass wir den Aufstieg nicht aktiv verhindern würden. Das würde gegen jeden Wert verstoßen, den ich vermittle.

Bob Hanning kann als Trainer des 1. VfL Potsdam durchaus impulsiv sein.
Bob Hanning kann als Trainer des 1. VfL Potsdam durchaus impulsiv sein. © picture alliance / Marco Wolf | Marco Wolf

Steht es endgültig fest, dass Sie Ihr Traineramt in Potsdam im Sommer abgeben werden?

Ja, das ist für mich klar. Es war immer mein Ziel, den Verein zu stabilisieren. Potsdam war vor wenigen Jahren noch ein Amateursportverein, mittlerweile haben wir Rahmenbedingungen geschaffen, dass dort Profisport möglich ist. Am meisten Sorge bereitet mir noch, dass die Struktur auf der Geschäftsstelle noch nicht auf Zweitliganiveau ist. Da ging die sportliche Entwicklung zuletzt zu schnell. Ich werde dem Verein logischerweise als Sportdirektor erhalten bleiben, es wird aber einen neuen Trainer geben.

Hanning arbeitet ehrenamtlich als Trainer

Im Gegensatz zu Ihnen dürfte der neue Trainer aber nicht mehr ehrenamtlich tätig sein…

Ich mache es nicht nur ehrenamtlich, die Tätigkeit kostet mich sogar richtig Geld. Jede Fahrt, die ich zwischen Berlin und Potsdam mache, bezahle ich selbst. Und wenn ich die Mannschaft einlade, mache ich das auch aus meiner eigenen Tasche. Ich mache das aber aus einer Freude heraus, die Jungs geben mir mit ihrer Entwicklung unglaublich viel zurück. Allein die Corona-Phase hat uns enorm zusammengeschweißt. Wir hatten hier die Polizei vor der Tür stehen und ich zwei Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft, weil wir trotz Verbots trainiert haben. Ich habe damals einen ganzen Hotelflur gemietet, damit wir weiterhin trainieren konnten.

Leidenschaftlicher Nachwuchstrainer waren Sie bereits 1994 bei TUSEM Essen, als auch Torsten Jansen in Ihrer damaligen A-Jugend gespielt hat. Jansen sagt, dass Sie auch mal „richtig unangenehm“ im Training waren. Sind Sie das heute auch noch?

Ich bin nur unangenehm, wenn ich unangenehm sein muss. Die Jungs bekommen von mir alles, dafür erwarte ich aber, dass sie im Gegenzug dafür ihr Talent und ihr Privileg auch zu 100 Prozent nutzen. Oft kommen neue Spieler mit ein bisschen Angst zu mir, ehe aus der Angst Respekt und irgendwann Augenhöhe wird. Da kommt es auch mal vor, dass ich die Jungs als Belohnung für ihre Leistungen in den Urlaub nach Marbella einlade.

Als Sie einst beim HSV Hamburg tätig waren, sind Sie 2005 zurückgetreten, weil man nicht an Ihr heutiges Nachwuchskonzept geglaubt hat. Wie denken Sie an die Zeit zurück?

Ich wollte das, was ich jetzt in Berlin aufgebaut habe, in Hamburg aufbauen. Im Verein gab es damals aber zwei verschiedene Denkrichtungen. Zum einen den kurzfristigen Erfolg, für den Andreas Rudolph als Mäzen stand, und zum anderen die nachhaltige Nachwuchsarbeit, für die ich stand. Heinz Tiedemann, der mittlerweile leider verstorben ist, war damals als Stützpunktleiter in Hamburg auch sehr engagiert im Nachwuchsbereich. Leider konnten wir uns damals nicht durchsetzen.

Hanning freut sich über HSVH-Entwicklung

2016, nachdem der HSV Handball insolvent gegangen war, musste der Verein zwangsweise auf die Jugend setzen. Freut es Sie, dass Ihr früherer Ansatz so doch noch umgesetzt wurde?

Absolut. Toto und Stefan Schröder leisten eine tolle Arbeit und haben viel bewegt. In Hamburg ist es mittlerweile so, dass junge Spieler eine Chance bekommen. Das finde ich großartig.

Am Sonntag treten Sie mit den Füchsen gegen Jansens HSVH an, derzeit liegen Sie punktgleich mit Tabellenführer SC Magdeburg auf Platz zwei. Ist die Chance auf die Meisterschaft in dieser Saison so groß wie lange nicht?

Es ist auf jeden Fall möglich, dass uns das in dieser Saison gelingt. Wenn wir die nächsten Wochen bis zum Jahresende mit maximal zwei weiteren Minuspunkten überstehen, traue ich uns alles zu. Klar ist, dass wir uns in dieser Saison auf jeden Fall in Richtung der Champions-League-Qualifikation, also der ersten beiden Plätzen orientieren wollen.

Mehr zum Thema

Nach dem U-21-Weltmeistertitel der DHB-Junioren im vergangenen Juli haben Sie von den Verantwortlichen der deutschen A-Nationalmannschaft Mut gefordert, die vielen jungen Talente einzubinden. Ist Ihnen Bundestrainer Alfred Gislason mutig genug?

Ich finde es super, dass in Nils Lichtlein, Renars Uscins, Justus Fischer und David Späth zuletzt schon vier U-21-Weltmeister dabei waren. Entscheidend ist immer die richtige Mischung zwischen jungen und erfahrenen Spielern. Und da glaube ich, dass diese Mischung im Moment passt.

Die DHB-Auswahl zählt derzeit für viele Experten nicht mehr zur absoluten Weltspitze. Was trauen Sie der deutschen Mannschaft bei der Heim-EM im Januar zu?

Als wir 2016 Europameister geworden sind, hat auch niemand an uns geglaubt. Man muss immer berücksichtigen, dass auch das Heimpublikum viel bewirken kann. Wir müssen mit diesem Enthusiasmus in das Turnier finden. Wenn dann auch noch Andreas Wolff und David Späth das Tor zu machen, ist können wir uns alle auf eine tolle EM freuen.