Hamburg. Der frühere HSVH-Profi Jan Kleineidam spielte bei Hapoel Ramat Gan in Israel. Mehrere Teamkollegen wurden vom Militär eingezogen.
Dieses Gespräch, das wird gleich mit den ersten Sätzen des Telefonats deutlich, fällt Jan Kleineidam alles andere als leicht. Immer wieder stockt die Stimme des 24-Jährigen, immer wieder sucht er nach der richtigen Formulierung – und ist mit dem Gesagten dann doch nicht richtig zufrieden. Der Handballprofi, der mit dem HSV Hamburg vor zwei Jahren in die Bundesliga aufgestiegen war, spielte bis zum Angriff der Terrororganisation Hamas für rund sechs Wochen beim israelischen Erstligisten Hapoel Ramat Gan. Er wohnte in der nahe gelegenen Großstadt Tel Aviv, verbrachte Abende am Strand, erkundete das Nachtleben.
Am 7. Oktober, einem Sonnabend, begann der Tag für den gebürtigen Elmshorner jedoch nicht mit Handball, sondern mit Sirenen. „Es ist nicht ungewöhnlich, dass dort mal Raketen fliegen. Deshalb war am Anfang nicht klar, dass es schlimmer sein würde als die Male zuvor“, erinnert sich Kleineidam. Weil in der israelischen Ligat ha’Al, in der die Qualitätsspanne der Teams etwa von der Zweiten bis zur Vierten Liga in Deutschland reicht, die Anzahl ausländischer Spieler im Kader begrenzt ist, war Kleineidam mit einem kroatischen Mitspieler der einzige Nichtisraeli im Team.
Handball: Kleineidam kam beim Manager des Clubs unter
Nach dem Raketenalarm holte der Manager des Clubs beide Ausländer zu sich und seiner Frau. Im Fernsehen wurden die Nachrichten immer düsterer, es ging um die Hunderten Toten, Entführungen, den Angriff auf das Supernova-Musikfestival. Als Kleineidam und der Manager irgendwann eine Pizza holen gingen, gab es wieder Alarm, im Schutzraum des Restaurants warteten sie auf das Ende der Sirenen.
Im Laufe dieses Tages wuchs bei Kleineidam und seinem kroatischen Teamkollegen der Entschluss, einen Flug nach Hause zu buchen. „Ich hatte das Glück, dass mich meine Mitspieler und unser Manager bekräftigt haben, nach Deutschland zu fliegen. Wobei es sich für mich nicht gut anfühlt, von Glück zu sprechen, wenn ich weiß, was die Israelis gerade erleben müssen“, sagt Kleineidam.
Manche Airlines hatten bereits Flüge gestrichen, letztendlich fand er über ein Online-Portal noch einen freien Platz auf einem Flug nach Berlin. Der Umstand, dass zumindest er am 8. Oktober wieder in Sicherheit war, löste jedoch keine Freude aus. „Ich dachte noch, dass ich in ein paar Tagen wiederkommen würde, wenn sich alles beruhigt hat“, sagt Kleineidam.
Kleineidam belastet die Situation seiner Mitspieler
Das Gefühl, das ihn seit vier Wochen begleitet, kann Kleineidam kaum in Worte fassen. Einerseits sei er froh gewesen, wieder in Deutschland zu sein. Andererseits belastet ihn diese Ungerechtigkeit. Er kann zwar nichts für seine eigene Privilegiertheit, im Vergleich zu seinen israelischen Mitspielern einfach wegfliegen zu können, doch irgendwie fühlt er sich doch dafür verantwortlich. Wenige Tage vor dem Angriff der Hamas saß er mit seinen Teamkollegen noch in einer Kabine, nun wurde rund ein Viertel des Kaders vom israelischen Militär eingezogen.
„Ich will mich nicht darstellen als derjenige, der da rausgekommen ist und sich darüber freut. Das fühlt sich für mich sehr heuchlerisch an“, sagt er. „Gefühlt klingt es bei allem, was ich sage, als wäre ich hier das Opfer. Das will ich aber überhaupt nicht ausdrücken. Mir geht es gut, mein Lebensmittelpunkt ist in Deutschland. Wenn man in Israel aufgewachsen ist, kann man sich nicht so einfach in den Flieger setzen.“
Rückkehr nach Israel erscheint unwahrscheinlich
In Hamburg schläft der Rückraumspieler derzeit bei seinem Bruder auf dem Sofa. Es ist nicht besonders gemütlich, aber was ist das schon für ein Problem im Vergleich zur aktuellen Lage seiner Mitspieler? „Am vergangenen Montag habe ich noch mal mit dem Manager telefoniert. Es fiel mir da schon schwer zu fragen, wie es ihm geht“, sagt Kleineidam. „Was soll er darauf antworten?“
Um mit der Situation bestmöglich umzugehen, aber auch aus Respekt vor seinen Mitspielern, habe er in den ersten Tagen nach seiner Rückkehr daran geglaubt, bald wieder zurück zu sein. „Ich habe mir selbst verboten, an etwas anderes als eine baldige Rückkehr zu denken“, sagt er. „In dieser Woche hat bei mir der Prozess angefangen, dass ich verstehe, dass es woanders für mich weitergehen muss. Das hat mir auch der Manager gesagt, so traurig diese Einsicht auch ist.“
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Wo und was genau er machen will, ist noch unklar. Vielleicht beginnt er ein Philosophie-Studium, an der Universität Wien war er bereits im vergangenen Sommer eingeschrieben, nachdem er die Saison beim portugiesischen Erstligisten Vitoria Setúbal beendet hatte. Dann kam die Möglichkeit, nach Israel zu wechseln, Kleineidam verschob das Studium. „Am liebsten würde ich heute darüber sprechen, wie schön Tel Aviv ist. Wie ich dort aufgenommen wurde, wie nett alle Menschen sind“, sagt Kleineidam. „Aber das ist jetzt der falsche Zeitpunkt dafür.“