Kiel. Hamburgs Bundesligahandballer sind bei der 23:34-Niederlage beim Rekordmeister ohne echte Chance. Beim THW überragte der Torhüter.

Jacob Lassen war etwas sprachlos, als er am späten Sonntagnachmittag in den Katakomben der Wunderino Arena stand. „Wow“, sagte der Rückraumspieler des HSV Hamburg (HSVH), als er nach der 23:34 (15:19)-Niederlage beim THW Kiel auf den überragenden gegnerischen Torhüter Samir Bellahcene angesprochen wurde.

16 Paraden, eine Weltklassequote von 44,44 Prozent gehaltener Bälle – der Franzose ließ den HSVH vor allem in der zweiten Halbzeit verzweifeln. „16 Paraden? Das hat sich heute nach noch mehr angefühlt“, sagte Lassen. „Er war heute der Schlüssel zum Kieler Sieg.“

HSVH-Torwart Bitter ohne Glück

Mit zuvor drei Liga-Niederlagen in Folge und einem blamablen DHB-Pokal-Aus gegen die HSG Wetzlar waren vor der Partie nicht wenige Experten davon ausgegangen, dass der deutsche Handball-Rekordmeister gegen den mit fünf Pflichtspielsiegen in Folge angereisten HSVH Probleme bekommen könnte.

„Es gab eine Menge Meldungen, dass der THW nicht in der Spur ist. Wir haben aber auch gesagt, dass wir sie nicht ins Spiel kommen lassen dürfen, weil sie uns dann heute zerreißen werden“, sagte HSVH-Keeper Johannes Bitter, dem bis zu seiner Auswechslung Mitte der ersten Halbzeit keine Parade gelang. „Wir wissen alle, wie stark der Kader ist. Sie waren nur nicht so selbstbewusst vor dem Spiel.“

Der für Bitter eingewechselte Jens Vortmann machte es mit elf Paraden ordentlich, stand aber dennoch völlig im Schatten von Bellahcene – was nicht an dessen 120 Kilogramm Körpergewicht lag. „Samir hat mit seiner Emotionalität und seinem Willen ein Sonderlob verdient. Er hat sich nach Bällen, die er eigentlich hätte halten können, sogar entschuldigt“, sagte THW-Coach Filip Jicha über den Franzosen, der das krankheitsbedingte Fehlen seines Gespannpartners Tomas Mrkva vergessen ließ.

Auch THW-Abwehrchef Hendrik Pekeler hatte sich krank abgemeldet. „Heute Morgen hat mir Tomas eine Nachricht geschrieben, dass ich den Job machen soll. Ich werde ihm gleich antworten, dass er eine große Unterstützung war“, sagte Bellahcene und grinste.

HSVH macht „Kinderfehler“

Gar nicht zum Grinsen zumute war den HSVH-Profis, die wie in der vergangenen Saison (28:40) beim Meister unter die Räder kamen. „Das Hauptproblem heute war, dass wir zu viele Fehler gemacht haben und Kiel leichte Kontertore machen konnte“, sagte Lassen.

Eine unterirdische Wurfquote von 49 Prozent sowie 13 technische Fehler waren Ausdruck einer vor allem in der zweiten Halbzeit schwachen Angriffsleistung des HSVH, bei dem Linksaußen Casper Mortensen mit elf Toren bester Werfer war. Zum Vergleich: Der THW hatte eine Wurfquote von 74 Prozent, leistete sich nur acht technische Fehler.

„Mich enttäuscht nicht die Niederlage an sich, sondern die Art und Weise. Wir haben 35 Minuten lang ein gutes Spiel gemacht, danach lief alles falsch“, sagte Lassen. „Manche Fehler sind einfach Pech, manche sind Kinderfehler. Manchmal hat man aber solche Spiele.“

Wechselt HSVH-Spielmacher nach Paris

Auch Spielmacher Dani Baijens, der in den kommenden Tagen eine Entscheidung zu einem möglichen Wechsel zu Paris St. Germain treffen wird, war selbstkritisch. „Viele Spieler, die zuletzt gut gespielt haben, haben heute nicht geliefert. Ich mache mir auch Gedanken über meine eigene Leistung“, sagte der Niederländer. „Man hat gesehen, dass Kiel auch Fehler gemacht hat. In der zweiten Halbzeit verwerfen wir aber alle Bälle. Dann wird es schwierig.“ Nur acht Tore in der zweiten Halbzeit, wovon vier in der Schlussphase des entschiedenen Spiels fielen, waren deutlich zu wenig.

Abgesehen von Bellahcene war es vor allem THW-Kreisläufer Patrick Wiencek, der emotional voranging, die 10.285 Zuschauer in der ausverkauften Arena mitriss. Mal hielt der erfahrene Profi einen Hamburger Spieler nach dem gepfiffenen Foul eine halbe Sekunde länger fest als es nötig gewesen wäre, mal fiel er bei vergleichsweise harmlosen Aktionen einen Hauch zu theatralisch zu Boden.

Manche HSVH-Fans mögen das unfair oder dreckig nennen – Wiencek („Wir haben so ein Spiel gebraucht.“) wusste aber genau, wie er damit das Spiel beeinflussen konnte. Jeder einzelne dieser kleinen Momente peitschte ihn und den THW emotional weiter nach oben. „Wiencek ist immer topmotiviert, wir wussten, dass Kiel sich heute beweisen muss“, sagte Lassen.

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Obwohl sich der HSVH nach einem frühen Fünftorerückstand kurz vor der Pause wieder auf 14:14 herangearbeitet hatte, hatte bei den Kielern niemand Probleme mit mangelndem Selbstbewusstsein. „Nach dem 14:14 machen wir drei abenteuerliche Fehler und helfen dem THW wieder auf das Pferd rauf“, sagte HSVH-Coach Jansen. Und dieses galoppierte dann über die Hamburger hinweg.