Hamburg. Handballtrainer Bennet Wiegert spricht im Abendblatt-Interview über die Belastung beim SC Magdeburg, Innovationen und den HSV Hamburg.

Hinter Bennet Wiegert liegt mal wieder eine stressige Woche. Nach der bitteren 33:34-Heimniederlage im Bundesliga-Spitzenspiel gegen den THW Kiel am vergangenen Wochenende hatte der Trainer des deutschen Handballmeisters SC Magdeburg keine Verschnaufpause. Am Dienstagabend gewann der amtierende Club-Weltmeister in der zweiten DHB-Pokalrunde bei Zweitligist Eulen Ludwigshafen (35:30), am Donnerstagabend besiegte der SCM den FC Porto in der Champions League 41:36.

Vor dem Gastspiel in der Barclays Arena beim HSV Hamburg (HSVH) am Sonntag (16.05 Uhr/Sky) nahm sich der 40 Jahre alte Familienvater trotz des engen Terminplans Zeit für ein Gespräch mit dem Abendblatt.

Hamburger Abendblatt: Herr Wiegert, drei Spiele in sechs Tagen dürften selbst für Sie eine ungewohnte Herausforderung sein, oder?

Bennet Wiegert: Ja, drei Spiele in einer Woche sind selten, zwei allerdings fast schon normal. An einem Tag um fünf Uhr morgens aus dem Bus auszusteigen und am nächsten Tag wieder Champions League zu spielen, ist hart. Reguläres Training ist so fast nicht möglich, da beschränken wir uns auf die Theorie. Unser Training sind die Spiele. Bevor wir gegen Porto gespielt haben, hatte ich schon das Spiel in Hamburg im Kopf. Die Videoanalyse mache ich meistens im Bus.

Normalerweise wird die Debatte um die Belastung immer erst im Frühjahr geführt. Bei Ihnen scheint das jetzt schon ein Thema zu sein ...

Grundsätzlich kommt diese Belastungsdiskussion immer erst auf, wenn der Erfolg ausbleibt. Wenn man erfolgreich ist, spricht sowieso keiner darüber. Die Mannschaften, die europäisch spielen und noch im Pokal dabei sind, sind es nicht anders gewohnt, sie spielen und spielen und spielen. Das ist einfach das Geschäft.

Was sagen Ihre Spieler zu diesem Geschäft?

Ich glaube nicht, dass die Spieler während der Saison so viel darüber nachdenken. Die werden diese Belastung im Zweifel erst später mitbekommen. Die Bundesliga, der DHB-Pokal, die Club-WM und die Champions League sind ja nur die Wettbewerbe, die sie mit dem SC Magdeburg bestreiten. Wir haben aber elf Nationalspieler, die im Januar keine Verschnaufpause haben, sondern eine Weltmeisterschaft spielen. Das ist ein echter Hammer.

Nach dem Auswärtsspiel bei den Eulen Ludwigshafen sind Sie noch in der Nacht mit dem Bus zurückgefahren. Für die Regeneration ist das nicht gerade optimal, oder?

Nein, aber wir sind nun mal Handballer. Da kann und will ich mich nicht mit König Fußball vergleichen, wo es nach dem Spiel vielleicht direkt mit dem Charterflieger zurückgegangen wäre. Wir müssen auf die Kosten achten.

Ihre Mannschaft ist für ein sehr körperliches Spiel mit vielen Eins-gegen-eins-Duellen bekannt. Kommt das beim körperlichen Verschleiß erschwerend hinzu?

Das ist klar. Wir haben keinen Spieler, der dreimal ohne Körperkontakt im Rückraum kreuzt und außerhalb der Neun-Meter-Markierung auf das Tor wirft. Da kann man vielleicht in zwei, drei Jahren bewerten, ob uns das am Ende eines Spiels oder einer Saison körperlich beeinträchtigt. Zum aktuellen Zeitpunkt ist diese Spielweise für uns aber alternativlos. Da sage ich eher: Egal, was morgen ist – wir gehen jedes Spiel all in. Dann müssen wir halt am nächsten Tag die Folgen bewerten.

In der Bundesliga-Spitzengruppe haben die Rhein-Neckar Löwen in dieser Saison als einziges Team keine Doppelbelastung durch internationale Spiele. Ist das ein Vorteil für die Löwen?

Das kann ich zu diesem Zeitpunkt der Saison nicht beurteilen. Manchmal sind die vielen Spiele auch ein Vorteil, um sich nicht den Kopf kaputt zu denken. Im Nachhinein kann man immer sagen, dass das eine Spiel mehr oder weniger entscheidend war.

Wie wichtig ist die genaue Auswertung von Leistungsdaten der Spieler für Sie?

Mittlerweile haben fast alle Bundesligaclubs Partnerschaften mit Firmen, die sie mit Tracking-Daten versorgen. Wir machen das auch, merken allerdings auch an dieser Stelle, dass wir Handballer und keine Fußballer sind. Wir haben nicht zehn Analysten, die unsere Daten auswerten. Wir sind im Trainerstab zwei hauptamtlich tätige Leute, der Rest arbeitet auf Honorarbasis, da kann man nicht alles perfekt ausarbeiten. Wir sind nicht in der NFL oder NBA.

Wären Sie es gerne?

Ja, definitiv. Wer mich kennt, der weiß, wie perfektionistisch ich arbeiten möchte. Dazu gehört eine immer weiter voranschreitende Professionalisierung. Ich möchte noch mehr Wissensvorteile haben. Im Spitzensport wird, egal in welcher Sportart, die Leistungsdichte an der Spitze immer höher. Wenn man den Gegnern mit Akribie oder Innovationen ein, zwei Prozentpunkte voraus sein kann, wäre es fahrlässig, das nicht zu nutzen.

Wie viele Stunden gehen bei Ihnen pro Woche für Video- und Datenanalysen drauf?

Zu viele – und das ist nicht spaßig gemeint. Ich muss immer wieder überprüfen, ob mir das noch guttut. Meine Work-Life-Balance ist manchmal nur noch eine Work-Work-Balance. Die Spieler merken übrigens auch sehr genau, wenn ich überarbeitet bin. Meine Zündschnur wird dann sehr kurz. Das hilft uns dann auch nicht weiter.

Sehen Sie auch die Gefahr, dass es irgendwann einen Overkill an Daten und Informationen gibt?

Natürlich. Man muss sehr stark selektieren, was wichtig und unwichtig ist. In der Vorbereitung auf einen Gegner geht es um ein kompaktes Gesamtpaket aus Videostudium und Datenanalyse. Trotzdem versuchen wir immer, auch bei uns zu bleiben. Es ist vor allem wichtig, dass wir unser Ding machen und der Gegner gar keine große Rolle spielt.

Wie bewerten Sie die Arbeit von Ihrem Trainerkollegen Torsten Jansen in Hamburg?

Ich kenne Toto schon relativ lange. Es ist kein Geheimnis, dass ich ihn extrem schätze. Ich mag seine coole, besonnene Art. Manchmal beobachte ich ihn in hitzigen Situationen und frage mich, wie er da so ruhig bleiben kann. Bei mir schlägt die emotionale Seite deutlich mehr aus. (lacht) Ich schätze auch sehr, wie er den Wiederaufbau beim Verein vorangetrieben hat. Die Stabilität, die seine Mannschaft gerade zeigt, ist fantastisch.

Gibt es Hamburger Spieler, die Ihnen in der Analyse besonders aufgefallen sind?

Nein, die Mannschaft zeichnet das Gesamtkonstrukt aus. Da wäre es ungerecht, den einen oder anderen hervorzuheben. Wenn ich jetzt Johannes Bitter sagen würde, wäre das zwar nicht falsch. Nur auf Jogi zu achten, wäre aber auch nicht der richtige Ansatz. Dominik Axmann hat sich mega entwickelt, Jacob Lassen spielt für seine erste Bundesligasaison echt gut. Über Casper Mortensen und Frederik Bo Andersen muss man nicht viel sagen, das sind sehr gute Außen. Am meisten beeindruckt mich in Hamburg die Entwicklung der lokalen Spieler. Spieler wie Leif Tissier oder Niklas Weller haben es von unten nach ganz oben geschafft. Ich mag einfach solche Cinderella-Storys.