Hamburg. Hamburgs Bundesliga-Handballer besiegen den Titelanwärter spektakulär – und müssen sich jetzt eine Frage gefallen lassen.

Als Jacob Lassen die Löwen erlegt hatte, genoss er den Erfolg mit seinem größten Schatz. Die Ränge der Barclays Arena schienen zu beben, als der Rückraumspieler des HSV Hamburg (HSVH) Sohn Conrad (2) auf dem Arm über das Feld trug. Mit elf Toren war der Däne neben Landsmann Casper Mortensen bester Werfer von Hamburgs Bundesliga-Handballern beim furiosen 40:37-Sieg (21:18) über die Rhein-Neckar Löwen. „Die Atmosphäre heute war verrückt“, sagte Lassen, während die Gäste bedröppelt davontrotteten. „Wenn wir wie heute alles geben, können wir jeden schlagen.“

Noch während sich die Spieler einwarfen, hatte sich in der Arena die erste überraschende Nachricht des Tages herumgesprochen. Tabellenführer Füchse Berlin hatte sich mit 27:32 beim zuvor punktlosen Tabellenletzten GWD Minden blamiert. Nachdem am Sonnabendabend bereits Rekordmeister THW Kiel dem TBV Lemgo Lippe nicht weniger sensationell mit 32:33 in eigener Halle unterlegen war, hätten die Löwen mit einem Sieg an die Tabellenspitze springen können. Die Betonung liegt auf hätten.

HSVH-Profi Mortensen wird Sieg gegen Löwen „nie vergessen“

In den ersten Minuten war nicht zu sehen, dass die Mannheimer diese Chance ergreifen wollten. Der HSVH begann hochmotiviert, führte auch dank zweier Paraden von Schlussmann Johannes Bitter schnell mit 3:0 (5.). Die Euphorie in der Halle war greifbar, die 5702 Zuschauer wurden früh mitgerissen. Vermutlich hätte es in dieser Phase selbst Szenenapplaus gegeben, wenn sich ein Hamburger selbstständig die Turnschuhe geschnürt hätte. „Ich habe schon viel erlebt in meiner Karriere. Aber wenn ich so was wie heute sehe, brenne ich einfach. So ein Spiel werde ich nie vergessen“, sagte Mortensen.

Das Tempo, mit dem beide Mannschaften nach Gegentoren in den Angriff sprinteten, war bemerkenswert. „Wir wussten, dass es heute ein Laktattest ohne Ende für uns wird“, sagte Mortensen. Dummerweise streuten die Hamburger im Angriff Mitte der ersten Halbzeit mehrere technische Fehler ein, die die Löwen eiskalt bestraften. Gleich dreimal trafen die Mannheimer ins leere Tor, nachdem der HSVH in Unterzahl Torhüter Bitter herausgenommen hatte (11:14/18.).

HSV-Fußballfans feuern mit an

Apropos Torhüter. Gerade als Bitter wieder aufs Feld zurückkehrte, warf ihm Nationalspieler Patrick Groetzki aus zwei Metern Entfernung mitten ins Gesicht. Der 2,05-Meter-Mann fiel wie ein ausgeknockter Boxer nach hinten um, blieb benommen liegen. Danach ging es für Bitter allerdings nicht zum Ringarzt, sondern in entschlossener Jetzt-erst-recht-Manier weiter. Parade Bitter, Ausgleich Frederik Bo Andersen (14:14/21.).

„Super Hamburg, olé“, hallte es durch die Arena, angestimmt von mehreren Hundert Fußballfans, die nach dem 3:1-Sieg des HSV gegen Jahn Regensburg kurzerhand die Straßenseite der Sylvesterallee gewechselt hatten. „Das war heute der größte Männerchor Hamburgs“, freute sich HSVH-Coach Torsten Jansen. „Die Jungs haben sich mitreißen lassen.“ Spätestens als Mortensen nach einem Kempa-Anspiel von Andersen zum 17:16 (25.) traf, hatte die sportartenübergreifende Party auf den Rängen ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht.

Die Löwen wirkten zeitweise eher wie schüchterne Kätzchen – und die HSVH-Spieler hatten eine diebische Freude daran, die Kätzchen immer wieder am Schwanz zu ziehen. Lediglich weil Lassens Wurf erst eine Sekunde nach der Halbzeitsirene ins Tor flog, ging es für die Hausherren „nur“ mit einer 21:18-Führung in die Kabine.

Dänemarks Natonaltrainer sieht Mortensen-Gala

21 Tore zur Halbzeit waren bisheriger Saisonrekord des HSVH – und eine gehörige Ansage gegen den Meisterschaftsanwärter. Auch danach sorgten die Hamburger Spieler dafür, dass sich die Fans den abendlichen Gang ins Fitnessstudio sparen konnten – genügend Kniebeugen hatten sie nach den unzähligen stehenden Ovationen schon gemacht.

Dem HSVH gelang vorne fast alles, die Sechstoreführung (27:21/40.) war hochverdient. Kempa-Tor Dani Baijens, Parade Bitter (insgesamt 17), die Party ging weiter. Obwohl die Löwen in den Schlussminuten noch mal auf zwei Tore herankamen (37:35/58.), blieb der HSVH cool. Im direkten Gegenzug machte Mortensen mit einem Treffer aus einem physikalisch „unmöglichen Winkel“ (Jansen) alles klar.

Vor den Augen von Dänemarks Nationaltrainer Nikolaj Jacobsen zeigte der Linksaußen wie Landsmann Lassen eine Weltklasseleistung. „Wenn so eine Leistung nicht reicht, um nominiert zu werden, weiß ich es auch nicht. Dann geht es nicht darum, was auf dem Feld passiert“, sagte Mortensen, als er auf Jacobsens Besuch angesprochen wurde. Zuletzt war er vom Nationaltrainer mehrfach nicht für die dänische Auswahl berücksichtigt worden.

Kollege Lassen hingegen war zuletzt immer dabei – und muss sich angesichts seiner Leistung auch keine Sorgen machen, dass es zukünftig anders kommen sollte. „Auch wenn er heute nicht hier gewesen wäre, hätte er bestimmt am Fernseher mitbekommen, was ich heute gemacht habe“, sagte Lassen über Jacobsens Besuch.

Auf die Frage, ob der Klassenerhalt das Ziel bleibe, antwortete Trainer Jansen nur: „Wir wollen das nächste Spiel gewinnen und Punkt.“ Auch Kapitän Niklas Weller wollte von einer Korrektur des Saisonziels nichts wissen. „Es ist noch so früh in der Saison, da korrigieren wir gar nichts“, sagte Weller. „Wie wir heute gesehen haben, kann jeder jeden schlagen. Also warten wir mal ab, was noch passiert.“

Tore HSVH: Lassen 11, Mortensen 11, Axmann 5, Baijens 4, Weller 4, Andersen 3, Schimmelbauer 1, Valiullin 1, Bergemann, Feit, Niemann, Theilinger, Magaard.
Tore Löwen: Gensheimer 10, Knorr 6, Jaganjac 5, Kohlbacher 5, Forsell Schefvert 4, Lagergren 4, Groetzki 2, Kirkelökke 1, Gislason, Helander, Michalski, Nilsson.
Schiedsrichter: Reich/Brodbeck (Fellbach/Heppenheim).
Strafminuten: 6 / 6