Hamburg. HSVH-Torhüter verrät vor der Partie gegen die Rhein-Neckar Löwen seine Tricks. Dazu gehört nicht nur der Austausch mit sich selbst.

Der englische Schriftsteller Herbert George Wells sagte einst: „Interessante Selbstgespräche setzen einen klugen Partner voraus.“ Es ist zwar eher unwahrscheinlich, dass sich Johannes Bitter diesen Satz aus Leidenschaft für die englische Literatur des frühen 20. Jahrhunderts zu Herzen genommen hat, dennoch scheint der Torwart des HSV Hamburg (HSVH) in diesen Wochen ein kluger Gesprächspartner für sich selbst zu sein.

„Ich führe im Spiel Selbstgespräche“, sagt Bitter über sein Torwartspiel. Wohin wirft der nächste Schütze? Mit welcher Bewegung kann ich meinen Gegner irritieren? Welchen Plan lege ich mir für die nächste Aktion zurecht? All diese Fragen schwirren in Bitters Kopf umher, auch an diesem Sonntag (16.05 Uhr/Sky) im Heimspiel gegen den Bundesligazweiten Rhein-Neckar Löwen wird es so sein.

„Darüber kann ich viel steuern“, sagt der Handballprofi über seine Selbstgespräche, die kein Grund zur Sorge sind, sondern von Sportpsychologen empfohlen werden.

HSV Handball: Bitter fand häufig sinnvolle Lösungen

„Die 20, 30 Sekunden während unserer Angriffe nutze ich, um über Sachen nachzudenken und mir eine neue Strategie zurechtzulegen. Da darf man nicht alles zu Tode analysieren, sondern muss sinnvolle Lösungen finden“, sagt er.

In den vergangenen Wochen fand Bitter häufig sinnvolle Lösungen. Am vergangenen Sonntag etwa, als der HSVH-Schlussmann beim TBV Lemgo Lippe zu Beginn der zweiten Halbzeit keine Hand an den Ball bekam und kurze Zeit später mit mehreren Paraden am Stück den 32:28-Auswärtssieg einleitete.

„Ich bin mit mir zufrieden“, sagt Bitter über die bisherige Saison. „Auch wenn meine Quote nicht immer top war, habe ich in vielen Spielen Impulse zu den Siegen geliefert.“ Auch eine Woche vor dem Spiel in Lemgo, als der HSVH Aufsteiger VfL Gummersbach in der Sporthalle 34:31 besiegte, hielt Bitter in der vorletzten Minute einen entscheidenden Siebenmeter.

"Als Außenseiter das Torhüterduell gewinnen"

„Bei Mannschaften auf Augenhöhe liegt die Korrelation zwischen einem gewonnenen Torhüterduell und einem Sieg bestimmt bei 70 bis 80 Prozent“, glaubt der ehemalige deutsche Nationalkeeper. Gegen die Rhein-Neckar Löwen, die vor der Saison zwar zu den Teams im oberen Drittel, nicht aber zu den Meisterschaftsanwärtern gerechnet wurden, wird seine Leistung noch mal wichtiger sein.

„An diesem Wochenende müssen wir als Außenseiter das Torhüterduell gewinnen. Sonst haben wir keine Chance“, sagt Bitter. Mit 297 erzielten Treffern (im Durchschnitt 33 pro Spiel) stellen die Mannheimer die beste Offensive der Liga.

In dem Schweden Mikael Appelgren (33), der die Torhüterstatistik in der Bundesliga zurzeit mit einer durchschnittlichen Quote von 36,42 Prozent gehaltener Bälle anführt, müssen die Löwen in der Barclays Arena auf einen in dieser Saison entscheidenden Mann verzichten. Appelgren verletzte sich am vergangenen Sonntag an der linken Hand, fällt voraussichtlich noch eineinhalb Wochen aus.

„Mir tut es für Appelgren leid, dass er schon wieder verletzt ist. Er ist ein fantastischer Kerl, der dort ins Tor gehört und nicht ständig ausfallen sollte“, sagt Bitter, dem mit Joel Birlehm (25) immer noch ein Schlussmann der gehobenen Bundesligaklasse und mit immerhin vier A-Länderspieleinätzen in der Vita gegenüberstehen wird.

„Jaganjac ist für mich künftiger Weltstar“

Die Erinnerungen, die Bitter und der HSVH an die Löwen haben, sind derweil ausgezeichnet. In der vergangenen Saison konnten die Hamburger als Aufsteiger beide Spiele gegen den deutschen Meister von 2016 und 2017 gewinnen. „Natürlich hat man die vergangenen Spiele gegen sie noch im Hinterkopf, weil sich die Mannschaft auch nicht komplett verändert hat. Wir haben gesehen, wie es gehen kann“, sagt Bitter. „Wir haben sie in beiden Spielen mit unserem Willen überraschen können, haben uns nicht brechen lassen. Das war für sie verwunderlich, und das wollen wir in diesem Jahr genauso machen.“

Hoffnung auf ein gutes Spiel macht Bitter unter anderem der Spielstil der Löwen. „Es gibt Mannschaften, die einem vom Spielstil her mehr liegen. Wenn es viele bedrängte Rückraumwürfe gibt, ist das immer ein gefundenes Fressen für einen Torhüter“, sagt der 40-Jährige. Mit Niclas Kirkeløkke, Juri Knorr und Halil Jaganjac besteht der Löwen-Rückraum gleich aus mehreren Spielern, die gerne mal aus der Distanz werfen.

Während Knorr und Kirkeløkke Bitter bekannt sind, ist der im Sommer vom polnischen Meister KS Kielce verpflichtete Jaganjac neu in der Bundesliga. „Jaganjac ist für mich ein zukünftiger Weltstar“, sagt Bitter. „Bei ihm gucke ich in der Vorbereitung ein bisschen intensiver hin, welche Muster ich erkennen kann. Bei anderen Schützen prüfe ich mehr, ob sich das bestätigt, was ich schon im Kopf habe.“

„Kommunikation mit Toto findet ständig statt"

Abgesehen von Selbstgesprächen und intensivem Videostudium entscheide im Spiel letztendlich auch das Bauchgefühl. „In den ersten zehn Minuten bekomme ich schon ein grobes Gefühl, ob ich drin bin. Selbst wenn es nicht läuft, ist das kein Grund aufzugeben“, sagt Bitter. „Es fällt mir als älterer Spieler leichter, den Reset-Knopf im Kopf zu drücken und zu überlegen, was ich anders machen kann.“

Während seine Mitspieler im Angriff sind, sucht Bitter bewusst den Kontakt zu Ersatztorwart Ivan Budalic sowie den Trainern Torsten Jansen und Blazenko Lackovic. „Die Kommunikation mit Toto und Lac findet ständig statt. Wir überlegen dann, ob sich Ivan schon bereitmachen soll oder wir noch ein, zwei Angriffe bis zum Wechsel warten. Das kann auch noch einen Motivationskick geben.“

HSV Hamburg: Für Bitter ist mentale Müdigkeit entscheidend

Bei allen Entscheidungen hilft Bitter seine Erfahrung, gegen die Löwen bestreitet er sein 602. Bundesligaspiel. „Ich versuche jede Woche zu beweisen, dass ich noch mithalten kann. Körperlich merke ich während des Spiels nicht, dass ich 40 Jahre alt bin. Nur meine Regenerationszeit ist ein bisschen länger“, sagt der Weltmeister von 2007. „Für mich ist nicht die körperliche, sondern die mentale Müdigkeit entscheidend. Da hilft eine gute Nacht und ein halber Tag, bis das vergessen ist. Im Kopf darf kein Prozent fehlen.“

Die Trainingsumfänge habe er im Laufe der Jahre zudem so reduziert, dass er für die Spiele stets fit ist.

Schriftsteller Herbert George Wells wäre in diesem Jahr übrigens 156 Jahre alt geworden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Bitter in diesem Alter noch in der Bundesliga spielt, ist überschaubar – dass sich die Handballwelt auch in 156 Jahren noch an ihn erinnert, aber durchaus gegeben.

Der HSVH hat bisher rund 4400 Tickets für die Partie gegen die Löwen verkauft. Für Fußballfans des HSV, der am Sonntag (13.30 Uhr) im Volksparkstadion gegen den SSV Jahn Regensburg spielt, bietet der HSVH ein spezielles Ticketangebot an. Gegen Vorlage der HSV-Eintrittskarte erhalten Zuschauer Handball-Tickets in allen Preiskategorien für 15 Euro. Wegen des großen Andrangs rät der HSVH zudem, auf die Anreise mit dem Auto zu verzichten.