Kiel. Beim Handball-Nordduell tat sich ein Klassenunterschied auf. In der Halbzeitpause kam es zu einem medizinischen Notfall.

Die leeren Blicke, die enttäuschten Gesichter, die hängenden Schultern sprachen Bände. Viel vorgenommen hatten sich die Bundesliga-Handballer des HSV Hamburg (HSVH), beim 28:40 (14:21) gegen den THW Kiel erlebten sie am Sonntagnachmittag aber eine Lehrstunde.

Es war die höchste Bundesliganiederlage des HSVH seit dem Aufstieg im Sommer 2021. Linksaußen Casper Mortensen und Kreisläufer Niklas Weller waren mit jeweils sieben Toren die besten Werfer einer hoffnungslos unterlegenen Hamburger Mannschaft.

„Man sollte niemals mit mehr als zehn Toren verlieren, egal wie schlecht man spielt“, sagte Mortensen enttäuscht. „Kiel hat einfach gezeigt, dass sie heute auf einem viel höheren Niveau gespielt haben als wir.“

Kiels Rückraum feuert Hamburgs Torhütern Bälle um die Ohren

Der HSVH begann aggressiv, spielte mit dem Körpereinsatz, wie es in einem Nordderby angebracht war. Selbst Rechtsaußen Frederik Bo Andersen, eigentlich ein schüchterner blonder Junge aus Dänemark, der niemandem etwas zuleide tun könnte, erhielt früh eine erste Zweiminutenstrafe, als er seinem Gegenspieler mit der Schulter einen mitgab. Zu diesem Zeitpunkt war es noch eine Begegnung auf Augenhöhe, die 7:6-Führung des HSVH (10.) sollte allerdings die letzte in der gesamten Partie bleiben.

Während die HSVH-Außen Casper Mortensen und Thies Bergemann begannen, falsche Entscheidungen bei Abschlüssen zu treffen, feuerte der THW-Rückraum im Minutentakt präzise aufs Tor der mitunter bemitleidenswerten Hamburger Schlussmänner Johannes Bitter (fünf Paraden) und Ivan Budalic (eine).

HSV Hamburg stellt Verteidigen ein

Kiels Starensemble, das auf die verletzten Leistungsträger Sander Sagosen (Sprunggelenksbruch und Syndesmoseriss), Hendrik Pekeler (Achillessehnenriss) und Steffen Weinhold (krank) verzichten musste, konnte ohne Qualitätsverlust durchwechseln, während die Hamburger beinahe ohne frische Kräfte bis zur Halbzeitpause durchhalten mussten. Dass die Gäste Mitte der ersten Halbzeit das Verteidigen beinahe einstellten, war mit fehlender Frische jedoch nicht zu erklären.

Auf die Kieler Rückraumschützen, die 16 Treffer zur 14:21-Machtdemonstration nach 30 Minuten beisteuerten, hatte der HSVH kaum Zugriff. Zeitweise wirkte die hilflose Blockarbeit, als hätte sich Kiels Zebra-Maskottchen „Hein Daddel“ mit seinem kegelförmigen Bauchansatz in ein HSVH-Trikot gequetscht. Die Wurfquoten von Kiel (84 Prozent) und Hamburg (48 Prozent) sprachen bereits beim Seitenwechsel eine deutliche Sprache.

Medizinischer Notfall auf der Tribüne

Die zweite Halbzeit begann mit einer halbstündigen Verzögerung, nachdem ein Zuschauer auf der Tribüne notfallmedizinisch versorgt und kurze Zeit später bei Bewusstsein ins Krankenhaus gebracht werden musste. Zwischenzeitlich hatten die Zuschauer rund um die betroffene Person einen Sichtschutz aufgebaut, um vor Blicken anderer Besucher zu schützen.

Fans schirmten den Rettungseinsatz mit einem Tuch vor neugierigen Blicken ab.
Fans schirmten den Rettungseinsatz mit einem Tuch vor neugierigen Blicken ab. © IMAGO/Holsteinoffice | Jörg Lühn

Die Mannschaften waren, während der Mann versorgt wurde, zwischenzeitlich in die Kabine zurückgekehrt. Kurz nachdem die Sanitäter den Mann unter Applaus herausbrachten, ging es weiter.

Am Spielgeschehen änderte sich wenig. Der gewohnt starke THW-Torwart Niklas Landin (17 Paraden) sorgte dafür, dass beim HSVH keine neue Hoffnung aufkam. Hinten versuchten die Hamburger zwar, ihre Gegenspieler früher aufzunehmen, der Rekordmeister war allerdings spielerisch und körperlich klar überlegen. Spielmacher Dani Baijens sah innerhalb weniger Minuten gleich zwei Zweiminutenstrafen, bis auf ein zerrissenes Trikot von Kiels Harald Reinkind sprang jedoch nichts heraus.

Obwohl sich auch der Rekordmeister nun offensiv ein paar Fehler leistete, kam unter den 10.285 Zuschauern in der erstmals in dieser Bundesligasaison ausverkauften Wunderino Arena keine Spannung mehr auf. Zu klar war der Spielstand, zu harmlos das Hamburger Offensivspiel. Schon in der vergangenen Saison hatte der HSVH beide Spiele gegen den THW deutlich verloren (23:32 und 22:29).

Am Sonntag wurde es noch deutlicher. Kiel dachte gar nicht daran, aufzuhören, der HSVH ergab sich. Egal ob THW-Nachwuchsspieler Luca Alexander Schwormstede oder Torhüter Landin ins leere Tor – am Ende durfte bis auf THW-Trainer Filip Jicha und „Hein Daddel“ fast jeder mal treffen.

Tore, THW Kiel: Johansson 7, Reinkind 7, Wallinius 5, Överby 5, Bilyk 4, Ekberg 3/2, Duvnjak 2, M. Landin 2, Wiencek 2, Battermann 1, N. Landin 1, Schwormstede 1.
HSV Hamburg: Mortensen 7/2, Weller 7, F. B. Andersen 6, Walullin 4, Baijens 2, Lassen 2
Schiedsrichter: Simon Reich (Fellbach)/Hans-Peter Brodbeck (Heppenheim)
Zuschauer: 10285 (ausverkauft)
Strafminuten: 6/8