Hamburg. Eigentlich aussortierter Herbst rettet HSV das Saisonende. Trotzdem müssen die Hamburger erkennen, dass sie kein Spitzenclub mehr sind.

Da kam noch einmal mächtig Stimmung in der O2 World auf. Die 7401 Zuschauer hatten sich längst von ihren Sitzen erhoben, als das letzte Saisonspiel der HSV-Handballer gegen den VfL Gummersbach seine ultimative Wendung nahm. Max-Henri Herrmann, der zuletzt viel gescholtene Torhüter, parierte 57 Sekunden vor Schluss einen Siebenmeter, und im Gegenzug warf ausgerechnet der aussortierte Kevin Herbst den Siegtreffer zum 32:31 – der dann auf den Rängen Glücksgefühle wie bei einem Titelgewinn auslöste. Der Jubel war berechtigt. Zur Halbzeit hatten die Hamburger 13:21 zurückgelegen, in der 39. Minute mit 16:25. Danach war es vor allem dem in dieser Saison überragenden Kentin Mahé zu verdanken, dass diese so schwierige Spielzeit ein versöhnliches Ende fand. Zehn Tore warf der französische Weltmeister, einmal mehr war er der beste Spieler seines Teams.

Dennoch: Es war ein schmerzvolles Jahr, in mancherlei Hinsicht. Schmerzvoll deshalb, weil die Hamburger erkennen mussten, dass sie vier Jahre nach der deutschen Meisterschaft und zwei nach dem Champions-League-Sieg nicht mehr zur Elite des deutschen und europäischen Handballs gehören. Sechs Weltklassespieler hatten den Verein in den Lizenzwirren des vergangenen Sommers verlassen, auch Martin Schwalb, der Erfolgstrainer über fast eine ganze Dekade, musste trotz Vertrages gehen. Von diesem Umbruch hat sich der HSV bis heute nicht erholt.

Denkbar schlechte Voraussetzungen

Die Saison hatte schon schlecht begonnen, weil viel zu spät. Nachdem der HSV erst in dritter Instanz einen Startplatz erstritten und die Liga in der Folge zwei zusätzliche Spieltage einbauen musste, blieben Schwalbs Nachfolger Christian Gaudin nur vier Wochen Vorbereitungszeit, um aus einer neuen Mannschaft eine Einheit zu bilden. Der zweite Spielmacher Richard Hanisch und der Halblinke Alexandru Simicu stießen sogar erst unmittelbar vor dem Saisonauftakt in Gummersbach zum Team. „Diesen Rückstand gegenüber der Konkurrenz haben wir nie ganz kompensieren können“, sagt Geschäftsführer Christian Fitzek.

Dabei kann man der Mannschaft nicht vorwerfen, dass sie enttäuscht hätte. Ein Klassenziel war nie ausgeschrieben worden, inoffiziell lautete es: irgendwo zwischen Platz fünf und Platz 15, dem letzten Nichtabstiegsplatz. Es entsprach dem Leistungsspektrum dieses Überraschungsensembles, das immer zwischen Entzücken und Enttäuschung schwankte und selten dazwischen. Konstanz also fehlte. Gegen drei der vier Absteiger hat es verloren, gegen Lemgo die höchste Niederlage der Vereinsgeschichte (26:45) kassiert. Dafür wurde in Magdeburg und Melsungen gewonnen und gegen die Übermannschaften Kiel und Rhein-Neckar Löwen die besten Heimspiele gemacht, die unglücklich verloren gingen.

„Ohne diese Ausreißer nach oben hätten wir gegen den Abstieg gespielt“, sagt Fitzek, „aber ohne die Niederlagen bei den Kleinen wären wir auch nächste Saison wieder im Europapokal.“ Stattdessen ist der HSV nach zehn Jahren erstmals nicht mehr international aktiv. Die letzte Qualifikationschance verwarf die Mannschaft am 17. Mai in Berlin, als sie dem Gastgeber im Finale des EHF-Cups mit viel Pech unterlag.

Absurde Verletzungsserie

Es war unter den Umständen – einer absurden Verletzungsserie, der allein drei Rechtsaußen langfristig zum Opfer fielen – ein großer Erfolg. „Wir können eigentlich ein positives Saisonfazit ziehen, wenn auch einige der letzten Ergebnisse diesen Gesamteindruck trüben. Die finalen 20 Minuten gegen Gummersbach haben mich aber halbwegs versöhnt“, sagt Jens Häusler. Er war am 16. Dezember nach Gaudins Entlassung als Cheftrainer eingesprungen, wie schon drei Jahre zuvor, als Per Carlén nach nur einem halben Jahr abgesetzt wurde. Am 2. Juli, wenn die Vorbereitung auf die 14. Saison der Clubgeschichte beginnt, will Häusler wieder ins zweite Glied rücken und sich vornehmlich um das U23-Nachwuchsteam in der Oberliga kümmern.

Sein Nachfolger Michael Biegler braucht sich zumindest nicht daran messen zu lassen, dass er ein Erfolgsteam übernommen hat. Erstmals kam der HSV mit einem Punkteminus ins Ziel. Rang neun ist der zweitschlechteste Saisonabschluss nach Platz zehn 2006. Biegler, 54, will das Trainingspensum erhöhen und individuell anpassen – trotz seiner Doppelbelastung als polnischer Nationalcoach, der er noch bis mindestens zur EM im Januar 2016 bleibt. So sollen künftig Spieler, die nicht oder nur kurz eingesetzt wurden, auf Regenerationseinheiten verzichten und stattdessen in der Halle Versäumtes nacharbeiten. Es kann nächste Saison nur besser werden. Und das wird es auch, davon ist Fitzek überzeugt: „Wir werden eine stärkere, ausgeglichenere Mannschaft haben, in der alle Positionen doppelt besetzt sind.“

Großer Umbruch steht bevor

Allerdings gilt es erneut einen Umbruch zu bewältigen, nicht nur auf der Trainerposition. Sieben Spieler wurden am Freitagabend stimmungsvoll verabschiedet: Herrmann (Karriereende), Linksaußen Torsten Jansen nach Kiel, Rechtsaußen Kevin Herbst (Ziel unbekannt), Kreisläufer Henrik Toft Hansen und der Halblinke Petar Djordjic nach Flensburg, Hanisch nach Kristianstad und Simicu nach Saint-Raphaël. Für sie kommen Torwart Jens Vortmann (Minden), die Kreisläufer Ilija Brozovic (Zagreb) und Piotr Grabarczyk (Kielce), Spielmacher Allan Damgaard (Holstebro), der Halblinke Tom Wetzel (Rostock), der Halbrechte Dener Jaanimaa (Eisenach) und Linksaußen Felix Mehrkens aus der U23.

Die Personalkosten werden somit um zwei Millionen unter denen der Saison 2013/14 liegen, 750.000 Euro unter dem Etat der zu Ende gegangenen Serie. Einschnitte sind auch notwendig, weil der HSV rund ein Viertel seiner Fans verlor – durchschnittlich kamen 6700 zu den Heimspielen, nach 8845 im Vorjahr. Auf der Geschäftsstelle wird ebenfalls gespart, Fitzek hat Ressorts neu geordnet und Stellen gestrichen. Der Gesamtetat aber soll bei etwa sechs Millionen Euro bleiben. Erstmals könnten dann Verbindlichkeiten abgebaut werden, die sich in den fetten Jahren 2004 bis 2014 angehäuft haben, als Hauptsponsor Andreas Rudolph den HSV mit Millionen päppelte. Ein bis zwei Jahre wird es laut Fitzek noch dauern, bis die Konsolidierung abgeschlossen ist. Bis dahin dürfte diese Saison vergessen sein.