Hamburg. Der Basketballer spielte in der Ukraine, Russland, Belarus und Israel. Sonntag tritt er mit Oldenburg in Hamburg an. Seine Geschichte.
Den Humor hat sich Aleksandar Zečević bewahrt. Trotz allem, was er erlebt und gesehen hat. „Ich hoffe mal, dass ich kein Unheil über Deutschland bringe. Bislang schaut es so aus, als würde ich ein riesiges Chaos nach mir ziehen, Jesus Christus“, sagt der Serbe, der am Sonntag (18 Uhr/Dyn) mit den EWE Baskets Oldenburg in der Inselpark Arena bei den Veolia Towers Hamburg gastiert, und lacht.
Und dann redet Zečević. Zwölf Minuten und acht Sekunden non-stop. „Sorry, ich bin ein bisschen emotional geworden“, sagt der 28-Jährige, nachdem er seine Erinnerungen hat Revue passieren lassen. Zečević spricht vom Krieg in der Ukraine, von einem kleinen Balkon, einem Nissan Micra und davon, dass Anfang und Ende des Dramas für ihn nicht abzusehen waren.
Aleksandar Zečević, der Kriegsreporter der Basketball-Bundesliga
Warum auch? Bis dato hatte er eine recht klassische Basketballerkarriere geführt. Aufgewachsen in Serbien, vier Jahre College in den USA an der Florida Atlantic University, erste Profistation in der Slowakei. Im Sommer 2021 wechselt er nach Charkow in die Ostukraine. „Alles war super. Um den Jahreswechsel gab es Gerede über Spannungen mit Russland, aber uns wurde gesagt, wir müssen uns keine Sorgen machen“, sagt Zečević. Als im Februar russische Truppen an der Grenze aufmarschieren, macht sich Zečević Sorgen. Die US-Amerikaner seines Clubs verlassen das Land, auch er will weg.
„Meine Eltern hatten mich gewarnt, mir schon viel früher geraten, zu fliehen. Sie haben das im Jugoslawien-Krieg schon durchgemacht“, sagt Zečević. Dass er tagelang nicht auf seine Eltern hört, beschäftigt ihn noch heute. Erst für den Abend des 24. Februars bucht er einen Flug von Charkow nach Belgrad. „Ich konnte in der Nacht davor nicht schlafen und stand auf dem Balkon meines Wohnblocks. Dann...“, stockt Zečević erstmal die Stimme, „… schlug nicht weit entfernt die erste Rakete ein.“
Russische Raketen schlagen neben Oldenburger Basketballer ein
Dann noch eine und noch eine. Der 2,07-Meter-Gigant steht wie angefroren da. „Ich konnte mich keinen Millimeter bewegen“, sagt er und atmet tief durch. „Warum habe ich nicht auf meine Familie gehört?“, ist das Erste, was ihm durch den Kopf geht. Das Zweite? Nichts wie raus hier!
„Ich habe alles liegen lassen, bin nach unten gestürmt, wo schon eine riesige Panik ausgebrochen war. Zum Glück bin ich in einen Freund hineingelaufen, dessen Auto direkt vor der Tür stand“, sagt Zečević. Die beiden hatten die Wahl: Hinab, wie die meisten, in die U-Bahn-Station, um sich vor den Einschlägen zu schützen, oder weg. „Wir waren uns sofort einig, dass wir raus aus der Stadt müssen und sind im Höchsttempo in seinen winzigen Nissan Micra gesprungen.“
Zečević über seine Flucht aus der Ukraine
Sie sind nicht die Einzigen, die auf diese Idee kommen. Die Autobahnen in Richtung Südwesten, hin zur rumänischen und moldawischen Grenze, füllen sich rapide. „Überall war Militär, Panzer, irgendwelche total verrückten Fahrzeuge. Ein Gefährt hatte Raketen aufgeladen und diese mitten auf der Straße ausgerichtet, um feuerbereit zu sein“, erinnert sich der Center, dessen erstes Etappenziel die Hafenstadt Odessa ist.
Auf dem Weg dorthin kommen weitere Schwierigkeiten dazu. Die Freunde haben nichts zu essen, der Tank ist fast leer. „An Benzin zu kommen, war ein großes Problem. Alle wollten weg, manche Tankstellen hatten nichts mehr. Wir sind von einer zur nächsten und mussten stundenlang anstehen, um noch etwas zu bekommen.“ Zur Stärkung gibt es lediglich noch ein paar Tomaten vom Vortag.
„Alle zehn Minuten war Raketenalarm“
Als Zečević schließlich Odessa erreicht, stehen auch die Russen schon vor der Stadt. Keine Zeit zum Verschnaufen. Ein Familienangehöriger des Freundes, mit dem er geflüchtet ist, beschafft ein größeres Auto, geleitet beide zur Grenze. „Über die normalen Straßen war das kaum noch möglich, die Polizei hat einen aufgehalten“, Zečević hat Glück, sein Bekannter kennt aus alten Armeezeiten Schleichwege.
Alle zehn Minuten heulen die Sirenen. Raketenalarm. „Es war ein Hin und Her. Wir sind aus dem Auto gesprungen, gerannt, haben uns versteckt, und sind nach Verstummen des Alarms zurück zum Auto gestürmt, um wieder ein Stück vorwärts zu kommen.“ Irgendwann geht es trotzdem nicht weiter. Die letzten Meter nimmt Zečević zu Fuß. Vier Tage dauert die Odyssee, ehe der Basketballer endlich die Grenze passiert, die Ukraine verlassen kann.
Das Basketballteam und die Arena in Charkow gibt es nicht mehr
Nicht jedem gelang dies. „Gott sei Dank ist niemand von meinen Freunden und Mitspielern umgekommen“, sagt Zečević. Seinen Verein dort, die „Falken“, gibt es nicht mehr. Der Sportpalast Lokomotiw, der einst 4000 Zuschauer fasste, wurde im September 2022 von Raketen zerstört.
Zečević setzt seine Laufbahn noch in der gleichen Saison fort. Spieler, die in der Ukraine unter Vertrag standen, durften nach Kriegsausbruch frei wechseln. Der Big Man geht ins damals noch ruhige Israel zu Bnei Herzeliya. Im Folgesommer unterschreibt er beim polnischen Spitzenclub Zielona Góra. Zečević spielt gut. So gut, dass ihn eine ebenso lukrative wie diabolische Offerte erreicht. Eine aus Russland.
Aus der Ukraine wechselt Zečević nach Russland
Seit Kriegsausbruch sind die russischen Vereine von den internationalen Wettbewerben ausgeschlossen, die Liga ist relativ isoliert. Dementsprechend viel müssen es sich die überwiegend in Besitz von Oligarchen befindlichen Teams kosten lassen, wenn sie ausländische Akteure beschäftigen wollen. Nicht jeder Profi ist bereit, in Russland zu spielen. Zečević ist es.
Aber er hat moralische Bedenken. „Meine Eltern haben mich das auch gefragt, ob ich wirklich in einem Land spielen möchte, aus dem ich beschossen worden bin? Für mich ging es dabei ausschließlich um Basketball, um auf dem höchstmöglichen Niveau zu spielen“, sagt er. Nach der Unterschrift in Nischni Nowgorod habe er einige Freunde in der Ukraine verloren. „Es ist traurig, aber ich verstehe das auch“, sagt Zečević, „für mich ist es nichts Persönliches.“
Der Basketballer setzt seine Karriere in Belarus fort
In Russland sei die Lage so normal, wie man es sich nur vorstellen könne. Allerdings bekommt der 111-Kilo-Mann lediglich einen kurzen Eindruck. Es passt nicht für ihn in der Mannschaft, nach drei Spielen zieht der Rechtshänder weiter – nach Belarus zum Serienmeister Tsmoki Minsk. Auch im Land des engen russischen Verbündeten gebe es wenig Auffälligkeiten. „Es wird kaum über den Krieg gesprochen, die Leute leben ein normales Leben. Meinen Eltern habe ich die Sorge genommen, indem ich sie eingeflogen habe. Hier haben sie mir erstmalig bei einem Profispiel zugesehen“, sagt Zečević.
Ansonsten sagt er relativ wenig über die Monate in Russland und Belarus. Das kann daran liegen, dass es ihm unangenehm ist, ebenso aber, dass zumindest Leistungssportler dort tatsächlich ein weitgehend unbehelligtes Leben führen. „Die Clubs stellen sicher, dass du dich wohlfühlst und schotten dich weitgehend ab“, sagt Zečević.
Wieder Sirenen, wieder Krieg: Zečević heuert in Israel an
Da die Saison für Minsk bereits im Frühjahr endet, das Transferfenster in einigen Ländern noch geöffnet ist, wechselt der Serbe erneut. „Um das verrückte Jahr passend zu Ende zu bringen, bin ich nach Israel gegangen“, sagt er lachend. Ganz so witzig ist es in Herzeliya jedoch nicht. Inzwischen tobt der Krieg mit den Terroristen der Hamas und Hisbollah. Zečević ist gerade ein paar Tage da, als das iranische Mullah-Regime hunderte Drohnen in Richtung Israel entsendet.
Die Sirenen heulen auf. Sofort fährt es Zečević durch den Magen, das gleiche Gefühl wie zwei Jahre zuvor in der Ukraine. „Ich habe mich gefragt, warum das immer mich ereilt, warum ich überall Krieg erleben muss?“ Eine Antwort darauf zu finden, ist simpel. Das Schicksal ist zu Teilen selbstgewählt. Aber ganz so einfach ist es eben doch nicht.
Nach Drohnenangriff in den Schutzraum – und dann zum Training
Denn Zečević definiert sich in erster Linie als Basketballer. „Der Sport hat mir aus Futog, einem kleinen Vorort von Novi Sad, heraus dieses wunderbare Leben ermöglicht. Ich will einfach nur spielen und mich für keine Seite entscheiden“, sagt er. Die Kriegserlebnisse verändern aber. „Ich bin erwachsen geworden. Weiß, was wichtig ist und was nicht“, sagt Zečević.
Basketball ist ihm wichtig und vermutlich auch eine Möglichkeit, das Erlebte zu verarbeiten. So geht Zečević auch die Momente nach dem Drohnenangriff in Israel an: „Ich bin in den Schutzraum gegangen, den dort jedes Apartment hat, bis die Sirenen verstummt sind, habe geschlafen und bin zum Training gefahren.“
Bei den EWE Baskets Oldenburg ist Zečević glücklich
Das macht er jetzt immer noch. In Oldenburg geht das sogar mit dem Fahrrad gefahrlos. Als Gastspieler hatte Zečević dort vor Saisonbeginn angeheuert. Cheftrainer Pedro Calles, der von 2020 bis 2022 die Towers trainierte, gefiel, was er sah. Der Spanier bot ihm einen Vertrag bis Saisonende an.
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Zečević ist sprachlos. Wie schon bei den Raketeneinschlägen in der Ukraine. Nur auf eine ganz andere Weise. „Ich liebe alles hier, ich bin überglücklich, in Oldenburg gelandet zu sein. Jeder Tag ist ein großes Geschenk und ein Genuss, ich werde alles für den Verein geben“, sagt er. Nun überschlägt sich seine Stimme beinahe. Aleksandar Zečević hat seinen Frieden gefunden.
Sportliches: Sind die Veolia Towers Hamburg nun Favorit oder Außenseiter? Aus der Vorbereitung sind jedenfalls keine Erkenntnisgewinne vor dem Aufeinandertreffen mit den EWE Baskets Oldenburg in der Basketball-Bundesliga am Sonntag (18 Uhr/Dyn) in der Wilhelmsburger Inselpark Arena zu erzielen. Im ersten Testspiel hatte die Mannschaft von Cheftrainer Benka Barloschky (36) daheim noch mit 78:77 gewonnen, im zweiten war sie in Oldenburg mit 88:115 untergegangen. Defensiv ähnlich schwach präsentierten sich die Towers unlängst auch im EuroCup. In beiden bisherigen Partien kassierten sind dreistellig, unterlagen Bourg-en-Bresse mit 80:100, Valencia mit 78:105. Demgegenüber stand die Verteidigung in der Bundesliga bislang exzellent, gestattete den Topclubs Alba Berlin (97:80) und FC Bayern München (80:81) kaum etwas. Das spricht für den Fokus der Spielvorbereitung Barloschkys, dem Zsombor Maronka (22/Knöchel) fehlt, auf die Bundesliga – und könnte die Towers zum leichten Favoriten machen.