Hamburg. Das Bundesligaspiel gegen den FC Bayern vor 11.700 Besuchern in der Barclays Arena ist der bisherige Höhepunkt der Clubgeschichte.
Bevor am Sonntag (15.30 Uhr/Dyn) in der mit 11.700 Zuschauern ausverkauften Barclays Arena im Bundesligaspiel gegen Pokalsieger Bayern München die sportliche Gegenwart ansteht, tauchen die Veolia Towers Hamburg in ihre Vergangenheit ein.
Im Umlauf der Mehrzweckhalle am Volkspark informieren „History Walls“ über die ersten zehn Jahre des Wilhelmsburger Basketballvereins. Im Vorlauf zum Spiel sprechen ehemalige Towers-Profis über ihre Zeit im schwarz-weißen Trikot, 128 Spieler trugen es seit 2014, den Anfängen in der 2. Bundesliga Pro A. Und kurz vor dem Tip-off stellt sich auch noch ein Stück Zukunft vor: das neue Maskottchen, das Fans und Premium-Partner Kellogg’s entwickelten.
Hamburg Towers: Es begann am Küchentisch
Das alles war nicht abzusehen, als die heutigen geschäftsführenden Gesellschafter Marvin Willoughby (46) und Jan Fischer (43) 2006 den Verein Sport ohne Grenzen gründeten. Die Idee war in Willoughbys Wohnung am Küchentisch entstanden. Ein eingeschossiger Flachbau auf dem Gewerbegelände an der Rotenhäuser Straße 8 fungierte ein paar Jahre später als erste Geschäftsstelle. Das Haus, in dem heute eine Baufirma residiert, gilt als Keimzelle der Bundesligamannschaft.
Kindern und Jugendlichen über Sport, über Basketball Werte wie Fairness, Respekt und Toleranz zu vermitteln, trieb damals den Ex-Nationalspieler Willoughby und den Soziologen Fischer an, die zuvor Basketball-Camps in Wedel organisiert hatten: „Wir wollten in Wilhelmsburg einen Ort schaffen, an dem die Kids zu uns kommen können. Und im Rückblick dürfen wir sagen: Vieles, was wir uns vorgenommen hatten, ist uns auch gelungen.“
Hollatz-Karriere als Exempel für Towers-Ziele
Ein Kilometer südöstlich ist zu sehen, was aus der privaten Initiative wurde. Statt wie anfangs geplant in einer umgewidmeten Lagerhalle zu spielen, präsentierte der 2013 gegründete Folgeverein Hamburg Towers in der für 14 Millionen Euro umgebauten ehemaligen Blumenhalle der internationalen Gartenschau (igs) ab 2014 Basketball der nationalen Spitzenklasse, jetzt im fünften Jahr in der Bundesliga, im dritten Jahr im EuroCup, dem zweitwichtigsten europäischen Vereinswettbewerb.
Den Zielen von einst folgten drei weitere: Talente zu finden, zu fördern, sie möglichst lange in Hamburg zu halten. Bei Justus Hollatz (22) gelang dies exemplarisch. Der Spielmacher durchlief die Jugend-Bundesligamannschaften der Towers, startete seine Profikarriere 2018 in der 2. Liga, stieg mit dem Team 2019 in die Bundesliga auf, wurde 2021 Nationalspieler und 2023 Weltmeister. Ein Werdegang aus der Mustermappe des Clubs.
Towers-Fernziel EuroLeague
2022 konnten ihn die Towers nicht mehr angemessen bezahlen. Hollatz wechselte ins Ausland, erst nach Spanien, heute spielt er in Istanbul EuroLeague, in jener privatwirtschaftlich organisierten Top-Liga, der auch Bayern München und Alba Berlin angehören – und irgendwann vielleicht auch die Towers.
Das professionelle Umfeld für Laufbahnen wie die von Justus Hollatz zu schaffen, darin sehen Fischer und Willoughby weiter ihre Hauptaufgabe. Mit dem Trainingszentrum beim TuS Harburg am Bostelbeker Damm gelang ein großer Wurf in Richtung moderner Infrastruktur.
Die Towers sind trotz eines Saisonetats von 5,5 Millionen Euro aber ein Start-up geblieben, das vor allem US-Profis als Durchgangsstation für ihre Karrieren in Europa nutzen. Das Spiel gegen Bayern München vor der bisher größten Kulisse eines Basketballspiels in Hamburg ist der vorläufige Höhepunkt in der Vereinschronik.
Als den Towers 300.000 Euro im Etat fehlten
Erfolgsgeschichten lesen sich oft wie eine Abfolge zwangsläufiger Ereignisse, die Wirklichkeit sieht meist anders aus; auch bei den Towers. Ihre Cinderella-Story wäre vor zehn Jahren beinahe beendet gewesen, bevor sie überhaupt begann. Im Spätsommer 2014, vor dem Start zur 2. Bundesliga, fehlten im 1,4-Millionen-Etat 300.000 Euro.
Der Spielbetrieb war in Gefahr, bis der spätere Hauptgesellschafter Tomislav Karajica beschloss, das Delta auszugleichen sowie als Sponsor (bis 2023) und Anteilseigner einzusteigen.
Inzwischen jedoch wankt sein Unternehmenskonstrukt, mehrere seiner Firmen meldeten zuletzt Insolvenz an. An seinem vor sieben Jahren mit Willoughby und Fischer gefassten Plan, den Towers eine Multifunktionsarena für bis zu 9000 Zuschauer zu bauen, hält Karajica dennoch fest. Als möglicher Standort ist das neue Gewerbegebiet des Huckepackbahnhofs Rothenburgsort im Gespräch. Der Hamburger Senat will sich im April mit dem Projekt befassen.
Auch HSV hatte Interesse an Basketball-Team
Die Towers hatten verschiedene Väter. Ende 2011 fassten der Münchner Marketingexperte Gunnar Klink und der Hamburger Unternehmer Wolfgang Sahm, beide Zeit ihres Berufslebens mit Sport in Kontakt, den Entschluss, in Hamburg ein Basketball-Bundesliga-Team aufzubauen. Klink holte den ehemaligen Nationalspieler Pascal Roller als Berater hinzu. Mut machte ihnen Hamburgs früherer Bürgermeister Ole von Beust (CDU), der sein politisches Netzwerk öffnete, Gespräche mit dem damaligen Innen- und Sportsenator Michael Neumann (SPD) und Hans-Jörg Schmidt-Trenz, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer, vermittelte.
Auch die Basketball-Bundesliga (BBL) stand hinter den Plänen. Hamburg fehlte der Liga – vor allem deren Sponsoren – im Portfolio. Seit Jahren versuchte die BBL, Unterstützer für das Projekt zu gewinnen, war bereit, dem neuen Team eine Wildcard zu geben oder einen norddeutschen Erstligaclub nach Hamburg zu verlegen. Sahm und Roller wurden 2013 auch bei HSV-Präsident Carl Jarchow vorstellig. Dem gefiel die Vorstellung, einer HSV-Basketball-Mannschaft, „doch wir haben gerade ganz andere Probleme“, sagte er.
Towers-Gründung: von Beust vermittelte
Die Wege Sahms, Klinks und Rollers sollten sich alsbald mit denen von Willoughby, Fischer und Jochen Franzke, damals Geschäftsführer der InselAkademie Sport- und Schulungszentrum Wilhelmsburg GmbH, dem Betreiber der Inselpark Arena, kreuzen. Bereits von Beust empfahl den Inselpark als Standort. Neumann und der 2020 verstorbene Visionär Thomas Beyer, Direktor des Sportamtes, führten die Parteien im Frühjahr 2013 zusammen.
Gemeinsam gründeten die sechs am 6. August 2013 die Hamburg Towers Basketball Betreibergesellschaft mbH, Blatt 128511 im Handelsregister. Stammkapital: 60.000 Euro. Heute heißen die nur noch vier Gesellschafter Karajica, Fischer, Willoughby und Sven Putfarken. Der Traum von der Ersten Liga musste Anfang 2014 indes vertagt werden.
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Ein Hauptsponsor fehlte. Für 75.000 Euro erhielten die Towers aber eine Wildcard für die 2. Bundesliga ProA. Die Mannschaft musste mit vier Auswärtsspielen in Folge starten, von denen sie drei gewann.
Erst am 19. Oktober 2014 folgte die siegreiche Heimpremiere gegen Bayer Leverkusen (74:64) in der immer noch unfertigen Inselparkhalle. 2000 Zuschauer kamen zur Premiere, mehr wurden von der Feuerwehr aus Sicherheitsgründen nicht zugelassen. Erst von April 2015 an durfte die heutige Kapazität von 3400 Besuchern ausgeschöpft werden. Von Ende 2018 bis zum Beginn der Corona-Pandemie Ende Februar 2020 gelang das 25-mal in Folge.
Hamburg Towers brauchen neue Halle
Fünf Trainer betreuten die Towers in den vergangenen zehn Jahren. Hamed Attarbashi, heute Chefcoach bei Kooperationspartner Rist Wedel, machte 2014 den Anfang, bis er nach einer Niederlagenserie im Februar 2018 vom heutigen Cheftrainer Benka Barloschky abgelöst wurde. Der kehrte zur Saison 2018/19 beim US-Amerikaner Mike Taylor in die Rolle des Assistenten zurück. Und wenn Taylor bei seinem Amtsantritt auch sagte, „I can’t guarantee an Aufsteig“, schaffte er ihn am 30. April 2019 in Chemnitz.
In der folgenden Spielzeit rettete die Towers als Tabellenletzter der Saisonabbruch vor dem drohenden Abstieg. Der Spanier Pedro Calles übernahm, führte die Hamburger in den nächsten beiden Serien jeweils als Tabellensiebter erstmals in die Play-offs, wechselte dann nach Oldenburg. Der Österreicher Raul Korner konnte die jetzt höheren Erwartungen nicht erfüllen, musste seinen Platz im Januar 2023 für Barloschky räumen, der seit 2015 im Verein arbeitete.
Zwei Daten waren für die wirtschaftliche Entwicklung entscheidend: Das Hamburger Eisenbahn-Logistik-Unternehmen VTG wurde im Januar 2019 erster Hauptsponsor, zur Saison 2022/23 kaufte der Abfallent- und Energieversorger Veolia für mehr als eine Million Euro pro Jahr die Namensrechte an der Bundesliga-Mannschaft. Der nächste Meilenstein wäre eine größere Spielhalle, um den Etat in den nächsten zehn Jahren verdoppeln zu können. Dass die Towers eine Arena dieser Größenordnung füllen können, beweisen sie an diesem Wochenende.