Manila/Hamburg. Die Mannschaft von Trainer Gordon Herbert besiegt im Endspiel Serbien mit 83:77. Wie der DBB-Auswahl der historische Sieg gelang.
Als alles um ihn herum vor Feierstimmung explodierte, an einem Endorphincocktail zu ersticken drohte, war es ganz einsam um den Vater von all dem geworden. Völlig in sich zusammengesackt und einem Schwächeanfall nahe, kauerte Gordon Herbert in einer Ecke hinter der Tribüne der Mall of Asia Arena in Manila.
Basketball-Weltmeister war er soeben geworden. Doch der Bundestrainer brauchte einen Moment für sich, das monumentale Ausmaß zu begreifen. Geschichte, Sensation, nichts scheint zu hoch gegriffen für den ersten Weltmeistertitel der deutschen Basketballer, der am Sonntag durch ein 83:77 (23:26, 24:21, 22:10, 14:20) in einem spektakulären und nicht minder dramatischen Finale gegen Serbien gewonnen wurde.
Basketball-WM: Von ganz unten zum WM-Titel
Die Geschichten dahinter sind fast zu schmalzig, so unwahrscheinlich, um sie glaubhaft zu erzählen. Sie beginnen nicht alle mit Herbert, aber er war als Co-Autor an den meisten beteiligt.
So oft lag alles in Brüchen. Am 8. September 2013 schied Deutschland nach einer Niederlage gegen die Basketball-Entwicklungsnation Großbritannien in der EM-Vorrunde aus. Exakt zehn Jahre später gewann es gegen Basketballübermacht USA in einem WM-Halbfinale.
Bei der Potenzialanalyse (PotAS) des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) landete Basketball 2021 auf dem 26. und letzten Platz. Ein Jahr später feierte der Deutsche Basketball-Bund (DBB) die Bronzemedaille bei der EM, ein weiteres Jahr danach ist man auf dem Dach der Welt angekommen.
Weichenstellung bei DBB-Auswahl schon vor vielen Jahren
Die Weichen für diese Triumphe wurden bereits Mitte der 2000er-Jahre gestellt, als der DBB in Kooperation mit der Bundesliga die Nachwuchsförderung priorisierte. Ein wichtiger Zwischenschritt war Olympia 2021 in Tokio, damals unter Henrik Rödl als Bundestrainer, wo sechs der zwölf Weltmeister bereits teilnahmen. Im Anschluss holte der DBB den erfahrenen Herbert, einen Meistertrainer, aber keinen der ganz großen Namen im europäischen Basketball.
Er predigte von Beginn an den Begriff „Commitment“ (sich etwas verschreiben) auf fast nervige Art und Weise. Alle sollten an einem Strang ziehen, diesem Team treu sein oder zu Hause bleiben. Einige blieben daheim, für manche wurden Ausnahmeregelungen getroffen, die meisten zogen durch.
„Das ist wie eine Klassenfahrt, die Atmosphäre ist unglaublich“, sagte der Hamburger Justus Hollatz, der sich nun Weltmeister nennen darf. „Es war die ganze Mannschaft. Das macht uns aus“, begründete Kapitän Dennis Schröder, mit dem Herbert von Tag eins an eng kommunizierte, den Titel.
"Zähme lieber einen Löwen, als einem Kätzchen Brüllen beizubringen"
Herbert ist ein Mann, dessen Ausstrahlung von ganz tief innen kommt. Äußerlich wirkt der 64-Jährige wegen seiner chronischen Rückenbeschwerden gebrechlich. Vor einer Pressekonferenz zum Supercup 2022 in Hamburg mussten ihm sogar die Reisekoffer durchs Rathaus getragen werden. Aber sobald der Kanadier mit finnischem Pass dem Timbre in seiner Stimme Ausdruck verleiht, hört jeder hin.
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Seine Gleichnisse haben Witz wie Tiefgang. „Lieber zähme ich einen Löwen, als einem Kätzchen das Brüllen beizubringen“ ist eines davon. Rudelchef Schröder zähmte Herbert, studierter Sportpsychologe, indem er ihm und dem Team die lange Leine gewährte, auf die Eigenverantwortung der mit intelligenten Menschen besetzten Truppe setzte.
Center Voigtmann lobt Bundestrainer: "Waren so gut vorbereitet"
Den Kätzchen brachte er trotzdem das Brüllen bei, vertraute allen zwölf Akteuren, von denen jeder seine titelentscheidenden Momente im Turnierverlauf hatte. „Ich liebe Gordie“, sagte David Krämer, der kaum eingesetzt wurde.
Bei all seinen menschlichen Qualitäten wird fast übersehen, welch hervorragender Coach Herbert ist. Während der Vorbereitung und bei der WM sah er mitunter drei Tage in Folge nicht die Sonne, weil er tagsüber und bis nachts um drei Uhr mit Arbeit beschäftigt war. „Wir waren so gut vorbereitet, dass wir zu keiner Sekunde das Gefühl hatten, das Feld nicht als Sieger zu verlassen“, sagte Center Johannes Voigtmann, einer der genialsten Passgeber der Welt.
Basketball-WM: Weltmeister umschifft alle Klippen
Dabei hätte es für den 2,11 Meter großen gebürtigen Eisenacher und seine Kollegen jede Menge Ausreden und Entschuldigungen gegeben. Mindestens fünfmal hätte das deutsche Team zerbrechen können.
Schon vor der EM, als Schröder durch kritische Aussagen in einem Interview seinen NBA-Kollegen Maxi Kleber verprellte; als Franz Wagner sich im ersten Spiel am Knöchel verletzte und die nächsten vier Partien verpasste; als es in einer Auszeit Streit zwischen Schröder und Herbert gab; als Schröder im Viertelfinale nur vier von 26 Würfen traf; und als Basketball-Mutterland USA im Halbfinale als hoher Favorit im Weg stand. Nichts davon erschütterte das DBB-Team nur im Keim.
Triumph bei Basketball-WM :Nichts als Respekt für Schröder
Auch im Finale, als Serbien alles versuchte, Trainerlegende Svetislav Pesic (74), der 1993 Deutschland zum EM-Triumph führte, seine Zaubertricks anwandte. Als sich der Rivale im Duell der beiden besten Teams dieser WM einfach nicht abschütteln ließ. Als es der brillante Schröder, der als bester Spieler des Turniers ausgezeichnete wurde, war, der das Endspiel entschied.
Ja, ja, es war nicht immer einfach mit ihm. Es gibt die Geschichten von der verpatzten WM 2019, bei der Deutschland 18. wurde, vom eigensinnigen und unreifen Möchtegern. Aber: Vor allem gibt es nun die Geschichte eines herausragenden Reifeprozesses, eines Menschen, der an sich und seinen Herausforderungen gewachsen hat.
Kapitän wird wertvollster Spieler der WM
Schröder verdient nichts mehr als Respekt, hat seinen Platz als zweitbester deutscher Basketballer der bisherigen Geschichte hinter Dirk Nowitzki (45) zementiert. „Wir haben bei der EM 2022 Bronze gewonnen, sind nun Weltmeister geworden. Ich möchte nichts mehr über meinen Namen hören“, sagte Schröder. Ausrufezeichen!
Deutschland: Schröder (28 Punkte), F. Wagner (19), Voigtmann (12), M. Wagner (8), Obst (7), Bonga (7), Theis (2), Thiemann, Lo, Giffey, Hollatz (nicht eingesetzt), Krämer (n.e.). Spiel um Platz drei: Kanada – USA 127:118 n.V.