Hamburg. Ammar Bikbashi kam aus Syrien nach Wismar. Seine sportliche Heimat hat der Basketballer aber im Norden Hamburgs gefunden.

Um die „100 shots“, Schüsse also, nehme er täglich – mindestens, sagt Ammar Bikbashi. Dass die korrekte Übersetzung des englischen „shot“ in diesem Zusammenhang eigentlich „Wurf“ lauten müsste, aber im schlampigen Basketballerjargon „Schuss“ bleibt, ist im Fall von Bikbashi perfide.

Denn es waren Schüsse, vor denen der heute 15-Jährige vor zwei Jahren aus Aleppo in Syrien geflohen ist. Keine auf einen Basketballkorb, sondern welche mit scharfer Munition.

Familie lebt seit zwei Jahren in Wismar

Bereits 2015 war sein Bruder dem Bürgerkrieg entkommen und in Deutschland gelandet. Die Eltern folgten, am Ende waren nur noch Ammar und seine Tante zurückgeblieben.

Seit 2021 ist die Familie in Wismar wiedervereint, und Bikbashi kann wieder seinem Ziel nacheifern: „Zu sein wie mein Vater.“ Der Rechtsanwalt war nämlich einst Erstligaspieler in Syrien, duelliert sich noch heute regelmäßig mit seinem Sohn, „und lässt mich nie gewinnen“, sagt Ammar.

Bikbashi aus Syrien nach Pinneberg

Der aber selbst ein großer Gewinner ist. „Ein Krieger“, wie ihn sein Trainer Levi Levine nennt. „Er sieht einen Weg, wo andere keinen sehen“, sagt der US-Amerikaner.

Und dieser Weg führte Bikbashi von Syrien über Wismar nach Pinneberg zur Natural Basketball Academy von Thorsten Fechner, einem Zusammenschluss der Holstein Hoppers aus Halstenbek und Pinneberg sowie der Wildcats des Niendorfer TSV, schnurstracks in die U-16-Bundesliga. Mindestens zweimal wöchentlich pendelt der Aufbauspieler drei Stunden pro Wegstrecke, lernt im Zug für seinen Realschulabschluss.

Konzept der Natural Basketball Acadamy überzeugt

Er hätte auch im wesentlich näheren Rostock erstklassig spielen können, „aber unser Konzept hat ihn und seinen Vater überzeugt“, sagt Fechner, der viel Wert auf die individuelle Ausbildung seiner Spieler legt. Die Academy entlastet Bikbashi finanziell teilweise, kostenneutral ist die Leidenschaft des Syrers für dessen Familie aber gewiss nicht.

Doch der hat hohe Ziele, soll trotz seiner nur 1,70 Meter die Academy zum Erfolg in deren erster Saison in der Jugend-Bundesliga führen. Auf dem Spielfeld hilft Bikbashi seine Vergangenheit als Kampfsportler, er ist für sein Alter äußerst kompakt und kräftig. Der Zug zum Korb, einfach durch die Wand zu rennen, sowie das Klauen von Bällen, zählen zu den Spezialitäten des Fans von LeBron James.

Bikbashi "für die Zweite Liga interessant"

„Mit seinem tiefen Körperschwerpunkt wird Ammar im Herrenbereich mindestens für die Zweite Liga interessant sein“, sagt Fechner. Über die Frage, ob eine Profilaufbahn tatsächlich realistisch erscheint, ist Levine geradezu brüskiert: „Natürlich, ja, ja, ja.“

Levine genießt nicht das höchste Ansehen in der Hamburger Basketballszene. Der 40-Jährige lacht, wenn er darauf angesprochen wird.

Coach war früher selbst Profi

„Er ist sehr emotional den Schiedsrichtern gegenüber“, sagt Fechner zu den Gründen. „Ich würde mir wünschen, dass sie genauso professionell arbeiteten wie ich“, sagt Levine.

Dann mitunter, auch um seine Spieler zu schützen, etwas über die Stränge zu schlagen, mag verständlich erscheinen aus Sicht eines Menschen, der im rauen New Yorker Stadtteil Harlem aufgewachsen ist und sich später als Profi unter anderem in Luxemburg und Rumänien verdingte, um sich über Wasser zu halten. Für den Basketball wirklich alles ist.

Basketball ist alles für Levine

Seine Spieler schwärmen jedoch in den höchsten Tönen von ihm, er sei immer für sie da. Basketball ist eben alles für Levine.

Genau wie für Bikbashi, der zumeist verschmitzt grinst, wenn sein Coach oder Fechner mal wieder eine eigentlich an ihn gerichtete Frage für ihn beantworten, bevor er selbst die passenden deutschen Worte dafür gefunden hat. Macht ja nichts, er will sowieso einfach nur spielen.

Bikbashi spielt jeden Tag Basketball

Und das am liebsten jeden Tag. Per Zweitspielrecht läuft der Rechtshänder bei den Wismar Bulls auf, und zwar überall.

„Ich spiele in der U 16, U 18, U 20 und bei den Herren“, sagt Bikbashi. „Wir müssen mittlerweile aufpassen, dass er nicht überspielt ist, aber Ammar lässt sich ungern ausbremsen“, sagt Fechner.

Nachvollziehbar, dass jemand, dessen Heimat zerstört wurde, der reihenweise Bombeneinschläge und Tote gesehen hat, versucht, das Erlebte über den Sport zu kompensieren. Und der täglich dafür Hunderte Schüsse nimmt, um zum großen Wurf anzusetzen.