Riga. Im Achtelfinale des EuroCups treten die Hamburger Basketballer bei Prometey Zlobozhanske an und müssen dafür nach Riga reisen.
Wer am Ostermontag den BC Prometey Slobozhanske googelte, wurde von einem kleinen digitalen Feuerwerk empfangen. Eine Aufmerksamkeit der Online-Suchmaschine, zur am Ostersonntag gewonnen Meisterschaft in der lettisch-estnischen Basketballliga zu gratulieren. Eine, die allerdings nicht einer gewissen Situationstragik entbehrt.
Denn es waren Raketen, die überhaupt erst notwendig machten, dass Prometey den Titel im Baltikum feiern konnte. Oder präziser ausgedrückt: feiern musste. Denn Slobozhanske, das an diesem Dienstag (18 Uhr/MagentaSport) die Veolia Towers Hamburg zum K.-o.-Duell im Achtelfinale des EuroCups in der lettischen Hauptstadt Riga empfängt, wurde vor gut einem Jahr aus seiner Heimat vertrieben: der Ostukraine.
Die Geschichte des BC Prometey ist geprägt von Umzügen
Dmytro Palijchuk kann zumindest über die Feuerwerksgratulation schmunzeln. Noch vor einem Jahr hätte es der Geschäftsführer des Clubs nicht für möglich gehalten, in absehbarer Zeit überhaupt irgendetwas zu feiern. Aber ausgelassene Freude sieht anders aus, als sie dem Mann im roten Prometey-Trainingsanzug am Steuer seines Mercedes GLK ins Gesicht geschrieben steht. „Es ist schwierig.“ Diesen Satz wiederholt der 39-Jährige in gebrochenem Englisch fast gebetsmühlenartig bei jeder passenden Gelegenheit.
Schon die junge Geschichte des erst 2018 gegründeten Basketball- und Volleyballvereins ist schwierig und von Umzügen geprägt. Gestartet im zentral gelegenen Kamianske, siedelte das Team nach dem Gewinn der ersten und bisher einzigen ukrainischen Meisterschaft 2021 nach Slobozhanske um.
Die ukranische Liga ist nach Kriegsbeginn auf neun Vereine geschrumpft
Als die Folgesaison nach Kriegsbeginn abgebrochen wurde, setzte Präsident Wolodimir Dubinskyi zunächst andere Prioritäten als den sportlichen Erfolg. „Alles Geld und alle Ressourcen müssen jetzt in die Armee fließen. Erst den Krieg gewinnen. Alles andere später“, sagte er. Im Hintergrund arbeiteten die Verantwortlichen um Palijchuk dennoch an einem Fortbestand der Mannschaft, fanden einen Ausweg in Richtung Lettland dank guter Kontakte in die dortige Ligazentrale.
Die heimische Superliga ist auf neun Mannschaften geschrumpft. „Die Umstände, unter denen sie spielen, sind kaum vorstellbar. Spiele müssen wegen Raketenangriffen unterbrochen und später fortgesetzt werden. Aber wir sind ihnen dankbar, dass sie den Menschen vor Ort etwas geben“, sagt Palijchuk.
Prometey Zlobozhanske erwartet 5000 Zuschauer gegen die Veolia Towers Hamburg
Der Sport spendet in diesen Krisenzeiten Zerstreuung, daher sollte der Spielbetrieb weitergehen. „Es ist unsere große Motivation, unsere Familien und Freunde in der Heimat den Krieg zumindest für die zwei Stunden unseres Spiels vergessen zu lassen, dass sie sich über die Erfolge freuen“, sagt Palijchuk.
Immer mehr nach Lettland geflüchtete Ukrainer besuchen die Partien in der 10.226 Zuschauer fassenden Arena Riga, erhalten teilweise freien Eintritt. „Am ersten Spieltag waren es 300, zuletzt 2000. Gegen Hamburg hoffen wir auf 5000“, sagt Palijchuk. Die Ticketeinnahmen gegen die Towers sollen dafür verwendet werden, einen Krankenwagen für die Heimat zu kaufen.
Spieler des BC Prometey spenden Teile ihres Gehalts an die Ukraine
Die unmittelbaren Monate nach Ausbruch des Kriegs waren geprägt von Unterstützung hilfsbedürftiger Ukrainer durch die Basketballer. „Medizin beschaffen; Lokalitäten als Krankenlager zur Verfügung stellen; einfach machen, was notwendig ist“, zählt Palijchuk auf. Hilfe, das betont der aus Dnipro stammende, frühere Spieleragent, ende nicht durch die Migration nach Lettland.
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Auch Spieler spenden Teile ihres Salärs. „Wir versuchen, eigentlich nicht über den Krieg zu reden. Aber es lässt sich einfach nicht vermeiden. Zum Glück stehen wir wie eine Familie zusammen“, sagt Palijchuk, der dahinter die Erfolgsformel vermutet.
Finanzstarkes ukrainisches Team dominiert die Saison im EuroCup
Denn die „Feuergötter“ brannten in dieser Saison beinahe alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Durch die Hauptrunde der nationalen Liga pflügten sie mit 25 Siegen aus 26 Spielen, beim im K.-o.-Modus ausgetragenen Finalturnier gewannen sie überzeugend gegen das estnische Team Tartu Rock sowie im Endspiel gegen den lettischen Topclub VEF Riga. Ihre EuroCup-Gruppe schlossen die Ukrainer mit einer 14:4-Bilanz auf dem ersten Platz ab. Lediglich der CB Gran Canaria holte in der Parallelgruppe einen Sieg mehr.
Der vom Israeli Ronen Ginzburg trainierte Kader konnte auf Basis eines allein 2,7 Millionen Euro schweren Spielerbudgets prominent zusammengestellt werden, darunter mit vier ehemaligen Bundesligaprofis. Nach Abendblatt-Informationen verdient kein ausländischer Spieler weniger als 200.000 Euro. Einheimische Akteure spielen eine untergeordnete Rolle.
Veolia Towers Hamburg mit Notbesetzung nach Riga
Die Gelder stammen zumeist von Großsponsoren, häufig wohlhabende Unternehmer. Teile der Einnahmen werden aber stets in die Grundversorgung der ukrainischen Bevölkerung reinvestiert, versichert Palijchuk.
Eine Mammutaufgabe für die Towers, die nach der 78:112-Klatsche am Sonntag bei ratiopharm Ulm, der zweithöchsten Saisonniederlage, die höchste in vier Jahren Bundesliga nach kassierten Punkten, und dem Ausfalls ihres Topscorers Anthony Polite (Fußverletzung im Training) am Montagnachmittag mit einer Notbesetzung nach Lettland flogen.
Cheftrainer Benka Barloschky verbreitet vor EuroCup-Achtelfinale Optimismus
Spielmacher Harrison Cleary und Center Michal Kozak vom drittklassigen Kooperationspartner SC Rist Wedel füllen deshalb abermals den Kader auf. Ryan Taylor, in Ulm mit 19 Punkten bester Werfer, ist im EuroCup nicht spielberechtigt.
Trainer Benka Barloschky verbreitet dennoch Optimismus: „Was die Performance meiner Mannschaft angeht, habe ich keine Bedenken. Wir haben schon bewiesen, dass wir von deutlichen Niederlagen gestärkt zurückkommen können. Wir brauchen bei der Qualität des Gegners sicherlich eine besondere Leistung, aber wir sind dazu imstande.“
BC Prometey träumt von Titelgewinn in der Ukraine und EuroLeague-Teilnahme
Aber eben krasser Außenseiter in Riga. wo Prometey vorerst bleiben möchte, jedoch künftig ein Farmteam in der ukrainischen Liga antreten lassen will. Die Halle dafür hätte im August fertig sein sollen. Es kam bekanntlich etwas dazwischen. Es ist schwierig.
Auch im EuroCup soll die Reise weitergehen – sofern die ausrichtende EuroLeague keine russischen Vertreter wieder aufnimmt. „Solange der Krieg andauert, ist es unvorstellbar, dass wir gegen Russen spielen. Wenn Frieden herrscht, kann sich das ändern“, sagt Palijchuk, dessen gutmütiges Antlitz sich hinter der Sonnenbrille bei diesem Satz verhärtet.
Dann setzt er die Brille ab und erzählt von seinem Wunsch: „Dass wir eines Tages daheim einen Titel feiern und in der EuroLeague spielen.“ Dass es ein Feuerwerk gibt, wenn die Raketen verglüht sind.