Hamburg. Beim 81:78 nach Verlängerung brillierte der US-Amerikaner vor 3400 Zuschauern in der Offensive und in der Verteidigung.

Es hätte der Abend des großen Abers werden können. Aber der FC Bayern München hatte ja sein viertes Spiel in sieben Tagen absolviert. Aber die Münchener mussten die Ausfälle sechs verletzter Leistungsträger verkraften. Aber die Partie war vielleicht spannend, aber wirklich nicht attraktiv anzusehen. Das interessierte nach dem Spitzenspiel aber alles nicht. Denn ohne Wenn und Aber haben die Veolia Towers Hamburg verdient mit 81:78 (25:13, 7:24, 24:13, 11:8) gegen den FC Bayern München gewonnen.

Den Tabellenführer gestürzt, im dritten in Wilhelmsburg ausgetragenen Nord-Süd-Gipfel daheim weiterhin ungeschlagen, sich mindestens bis zum Sonntag vorübergehend auf Platz sechs verbessert. Und das alles auch noch in der in dieser Saison mit 3400 Zuschauern erstmals ausverkauften edel-optics.de Arena.

Veolia Towers konnten sich auf "Balldieb" McCullum verlassen

Es war symbolisch für die Ermüdungserscheinungen der Bayern, wie sie das Spiel begannen: mit einem sogenannten Airball von Corey Walden, der nur durch die Luft glitt, aber zwei Meter vor dem Korb schon wieder aufkam. Es sollte nicht das letzte Münchener Missgeschick sein, das die Towers zu Beginn erzwangen. Allen voran Kendale McCullum knöpfte sich die Aufbauspieler des Vizemeisters rotzfrech vor, klaute ihnen gleich dreimal den Ball, um dann ungehindert mutterseelenallein auf den Korb zuzulaufen. Mit Erfolg, versteht sich.

Es dauerte so auch nur gute sechs Minuten, dass die Mannschaft von Cheftrainer Raoul Korner mit 14:6 führte, und sich Bayerns Andrea Trinchieri, ein Enfant terrible unter den Trainern, wegen Motzens ein technisches Foul abholte. Hin und wieder benutzen Coaches dieses Stilmittel, um ihre Mannschaft wachzurütteln. Die Bayern wurden zwar durchgeschüttelt, aber nicht von Trinchieri, sondern den Towers – und wach war weiterhin auch nur das mutig auftretende Heimteam, das sich förmlich in einen Rausch spielte (21:8/9.). Auch Center Yoeli Childs hatte nach zuletzt einigen leiseren Partien wieder einen Paukenschlag mit acht Punkten im Auftaktviertel, das die Wilhelmsburger mit 25:13 gewannen.

Das Danceteam während einer Auszeit auf dem Parkett ist ja nett anzusehen – kann sich fürs Publikum aber auch als Pyrrhussieg erweisen. Dann nämlich, wenn die Pausenminute durch eine Schwächephase ihrer Mannschaft notwendig geworden ist. Genau das war direkt zu Beginn des zweiten Abschnitts der Fall, den München mit einem 9:0-Lauf begann. Es schien, als hätte der EuroLeague-Club nun begriffen, dass in Hamburg ein wenig mehr Einsatz nötig ist, als gegen die vergleichsweise schwachen Gegner, die in der Schwarzbrot-Geschäft Bundesliga bislang aufwarteten.

Towers mit Power – FC Bayern mit Geduld

Auffällig waren die unterschiedlichen Spielstile, die im Inselpark aufeinanderprallten. Während Hamburg jede Gelegenheit nutzte, ins Rennen zu kommen, um den Gästen das letzte verbliebene bisschen Saft aus den Waden zu saugen, gingen die Süddeutschen viel geduldiger und methodischer vor. Und das mit fortschreitender Spieldauer mit zunehmendem Erfolg. EM-Bronzemedaillengewinner Andreas Obst, der beste Distanzschütze der Liga, brachte Bayern – natürlich per Dreier zum 32:30 – erstmals in Führung (18.). Auf der Gegenseite von einem offensiven Offenbarungseid zu sprechen, wäre gegen ein europäisches Spitzenteam zu viel des Guten. Allerdings gelang es Korners Schützlingen kaum noch, konsequente Aktionen zum Korb durchzuführen.

Schon nach der Niederlage im EuroCup gegen Ankara am Dienstag hatte der Trainer gesagt, es gelte nun, Lösungen darauf zu finden, dass die Kontrahenten sich auf das homogene Kollektivspiel der Towers eingestellt hätten. Diese Lösung fand Hamburg – zugegeben gegen einen der schwerstmöglichen Gegner – auch am Sonnabend noch nicht. Punkte kamen nach Ballgewinnen, Überzahlsituationen und Offensivrebounds zu Stande. Aus dem normalen Spiel heraus gab es kaum Impulse und gezielt wirkende Ideen. So war der 32:37-Rückstand zur Halbzeit zu erklären.

Bayern war allerdings auch weit von der Perfektion entfernt. Besonders, wenn man parallel die begeisternden Auftritte des deutschen Meisters Alba Berlin in der Bundesliga und EuroLeague sieht, muss ernsthaft die Frage gestellt werden, ob das Titelrennen in die Saison ähnlich spannend wird wie das in der Formel 1. Was sich in Wilhelmsburg abspielte, hatte mit dem Tempo aus dem Motorsport hingegen wenig zu tun. München schleppte sich nur noch übers Feld, waren es jetzt seinerseits, das nicht mehr in Ringnähe abschloss. Die Towers legten durch den herausragenden McCullum, der sagenhafte sieben Ballgewinne erzielte, wieder vor (49:42/27.).

Der US-Amerikaner hatte sich die Begegnung ganz sicher im Kalender rot markiert. „Ich bin mir bewusst, dass in München und Berlin kommenden Sommer eine Menge Verträge auslaufen“, hatte er vor einigen Wochen gesagt. Mit diesem Empfehlungsschreiben sollte zumindest ein Vorstellungsgespräch bei FCB-Sportdirektor Daniele Baiesi herausspringen.

Beide Teams lieferten sich umkämpftes, aber wenig schönes Spiel

Eine zweistellige Führung wiederum sprang für die Towers Ende des dritten Viertels durch einen Dreier von Kapitän Seth Hinrichs heraus (56:46/28.). Anschließend häuften sich jedoch wieder die Probleme, gegen eine stehende Defensive zu punkten. Immerhin verteidigten die Gastgeber weiterhin effektiv. McCullum war es selbstverständlich, der eine 5:20-minütige Phase ohne Punkte, in der Bayern neun Zähler aufholte, beendete. Doch im direkten Gegenzug konterte Cassius Winston, mit Abstand bester Gästeakteur, per Dreier (57:58/35.).

In den Schlussminuten lautete die Losung auf beiden Seiten schlicht, den Ball irgendwie im Korb unterzubringen. Auf welche Weise, war mittlerweile völlig egal. Ihn reinzuwürgen, erwies sich angesichts völlig leerer Energiespeicher noch als beste Option. Selten war ein Spiel zweier guter Mannschaften so spannend und so hässlich zugleich.

FC Bayern rettete sich gegen die Towers in die Verlängerung

Žiga Samar besorgte exakt eine Minute vor Ende per Dreier eine erneute Towers-Führung (65:63.). Es blieb nicht dabei. Winston zog im nächsten Angriff von der Dreierlinie nach. Aber Samar hatte noch nicht fertig. Der erst 21-jährige Slowene setzt nun Childs mustergültig am Korb in Szene – 67:66, und nur noch 30,4 Sekunden für die Bayern. Die wusste der bis dato völlig blasse Topstar Vladimir Lučić per Dreier zu nutzen, und abermals war es der schwer beeindruckende Samar, der erst mit einer Korblegervariante der Höchstschwierigkeit zum 69:69 ausglich und dann Winston entscheidend genug störte, sodass dieser seinen siegbringenden Wurf nur auf den Ring setzte – Verlängerung.

Oder aber: Willkommen zur Kendale-McCullum-Show. Was auch immer dem 26-Jährigen in der Viertelpause neues Leben eingehaucht hatte, es wirkte. Flink wie in den Anfangsminuten tanzte er seine Gegenspieler aus, stellte Bayern-Center Freddie Gillespie bloß. Lučić versuchte alles, sein Dreier zum potenziellen 79:78 drehte sich mehrfach durch den Ring und fiel letztlich raus. Stattdessen stellten Christoph Philipps und Lukas Meisner den Erfolg an der Freiwurflinie sicher.

Die Towers feierten. Und die Bayern reisten mit einer Feststellung nach Hause: Wilhelmsburger Nächte sind lang. Erst fangen sie ganz langsam an. Aber dann, aber dann …

  • Veolia Towers Hamburg: McCullum (31 Punkte), Childs (13), Samar (12), Wohlfarth-Bottermann (6), Meisner (5), Philipps (4), Schoormann (4), Hinrichs (3), Clark (3).