Hamburg. Hamburger verpassen gegen Ludwigsburg historischen ersten Einzug ins Viertelfinale. Das Spiel begann mit einem schlechten Omen.

Raoul Korner wusste schon im Vorweg ganz genau, wo die Problemfelder seiner Veolia Towers Hamburg liegen. Oder lagen, so glaubte der Cheftrainer zumindest die Problematik einer horrend hohen Anzahl an Ballverlusten aus den Vorwochen überwunden. Problemzone zwei: „Wir rebounden zu schlecht, da müssen wir besser werden“, hatte Korner am Freitag gesagt. Diese Aussage gilt auch am Sonnabendabend noch.

Denn Ballverluste und hergeschenkte zweite Chancen brachten die Wilhelmsburger Basketballer um einen fast schon sicher geglaubten Einzug ins Viertelfinale des deutschen Pokals.

Veolia Towers Hamburg erfahren ersten Dämpfer der Saison

Die 86:92-Niederlage (21:22, 23:21, 25:18, 17:31) gegen die MHP Riesen Ludwigsburg ist der erste Dämpfer der Saison. Auch im zweiten Anlauf seit Teilnahme am Pokal gelang es den Hamburgern nicht, in die zweite Runde einzuziehen. Dazu gelang es sogar im siebten Anlauf nicht, Ludwigsburg erstmals zu besiegen.

Das Spiel begann mit siebenminütiger Verzögerung, da die Zeitanlage zunächst nicht funktionierte. Es offenbarte sich als schlechtes Omen, denn auch danach mussten sich die 2287 Zuschauer in der Wilhelmsburger edel-optics.de Arena, die traditionell bis zum ersten Punkt der Towers stehen, gedulden. Und zwar ganze 2:17 Minuten – im Basketball eine Ewigkeit. Ludwigsburg konnte es dagegen nicht eilig genug haben, in Richtung Viertelfinale zu stürmen und hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mit 9:0 vorgelegt, ehe Kendale McCullum per Freiwurf erfolgreich war.

Apropos Freiwürfe: Wenn überhaupt etwas ging für die Gastgeber, dann von der Benefizlinie. Die ersten sechs Würfe aus dem Feld versemmelte Hamburg, und musste in der Konsequenz mit dem höchsten Rückstand der bisherigen Saison leben. Im fünften Pflichtspiel erlebte das Team die erste Krise innerhalb einer Partie.

Towers-Toptalent Žiga Samar erziehlt acht Punkte

Coach Korner reagierte zunächst wie in der Psychotherapie: Er sah sich die Situation von außen an und ließ die spielerisch Gestörten selbst auf die Lösung des Problems kommen. Was in der Therapie nur bedingt klappt, ist im Mannschaftssport ein beliebtes Mittel von Trainern, um ihre Akteure im Saisonverlauf zu schulen und widerstandsfähiger zu machen.

Und hier offenbarte sich auch, weswegen Korner – im Übrigen Landsmann des österreichischen Psychoanalytikers Sigmund Freud – in 23 Jahren Arbeitsleben noch nie gekündigt wurde: Die zuvor wild agierenden Towers fanden von allein zu einem strukturierteren Spiel und waren vor allem dank Toptalent Žiga Samar, der acht Punkte erzielte, zur Viertelpause wieder auf auf 21:22 dran.

Überhaupt waren es die Spieler, die von der Bank kamen, die den Norddeutschen Stabilität verliehen. Neben Samar waren es der frisch gebackene Vater James Woodard, der gegen seinen Ex-Club mit aggressiver Verteidigung überzeugte, sowie Kapitän Seth Hinrichs, der in dieser Saison nicht mehr nur die Kleinigkeiten auf dem Spielfeld erledigt, sondern in verantwortungsvollerer Rolle auch mit einem gesteigerten Wurfvolumen Gefahr ausstrahlt. Auch die erste Führung der Towers (37:35/16.) ging aufs Bankkonto, als Woodard den freistehenden Marvin Clark unter dem Korb bediente.

Marvin Clark bekommt noch die Kurve

Clark besaß in der bisherigen Serie die größten Probleme, sich an den Spielstil der Bundesliga anzupassen. Der US-Amerikaner fand oft keine Balance zwischen seinem in der Theorie verlässlichen Distanzwurf und einer fluiden Ballbewegung. Intern gab es bereits Überlegungen, den 27-Jährigen gegen einen in Deutschland erfahreneren Profi auszutauschen.

Doch Clark scheint die Kurve – im Gegensatz zur Zeitanlage, die bis zur Halbzeit nur per Ersatzuhr an den Spielfeldecken notdürftig funktionierte – gerade noch rechtzeitig bekommen zu haben. Jedenfalls war das Pokalduell die bislang beste Partie des bulligen Linkshänders.

So entspannt die sportlichen Entscheidungsträger in seiner Personalie blieben, so locker konnten auch die Fans der Wilhelmsburger das Spiel, wenngleich immer noch knapp, nach dem Seitenwechsel verfolgen. Man hat schon früh in der Saison den Eindruck, dass diese fast komplett neu zusammengestellte Mannschaft keineswegs ein zusammengewürfelter Haufen, sondern ein sauber konstruiertes Bauwerk ist.

Die Towers wirken gefestigt, kohäsiv, leistungsfähig und zumeist in der Lage, neue Lösungen auf die Taktiken ihrer Kontrahenten zu finden. Im dritten Viertel war es das uneigennützige und schnelle Aufbauspiel von McCullum, Samar und Woodard, dass Hamburg zweistellig davonziehen ließ (67:56/28.).

Fehlt den Towers Hamburg der Superstar?

Was in jedem Spiel aufs Neue auffällt: Es ist nahezu unmöglich, einen Star des Teams zu identifizieren. Gleich neun Akteure verfügen über das Potenzial, eine Partie entscheidend zu prägen. Ohne Superstar zu agieren, ist in den Play-offs ein immenses Defizit. Der Marathon der regulären Saison lässt sich mit dieser Formation allerdings sehr gut bewältigen.

In einem Pokalspiel wiederum sind in kritischen Phasen Führungsspieler gefragt, die auch aus ausweglosen Lagen etwas kreieren können. Daran mangelte es den Towers im Schlussviertel, als Ludwigsburg die Offensivsysteme früher zu erlahmen brachte als zuvor. Hamburg passte zwar weiter geduldig und bemüht den Ball herum, ein mutiger Abnehmer für die finale Attacke fand sich allerdings zu selten. Zudem trat das gelöst geglaubte Ballverlustproblem der Vorbereitung wieder auf. Als die Schwaben mit 75:71 (36.) in Führung gegangen waren, konnte auch Korner nicht mehr entspannt bleiben und wollte seine Auswahl per Auszeit neu einstellen.

Es gelang nicht. McCullum riss den Angriff nun an sich – mit überschaubarem Erfolg. Zumal die als Außenseiter angereisten Gäste solange Chancen erhielten, bis sie endlich punkteten. Ludwigsburg traf nicht mal besser als die Towers – aus dem Feld sogar 3,9 Prozent schlechter. Dafür hatte es acht Abschlüsse mehr wegen der 19 abgegebenen Rebounds und 21 Ballverlusten.

Immerhin: Lange betrauern müssen die Towers ihre Niederlage nicht. Schon am Dienstag (19.30 Uhr) empfangen sie Telekom Turk Ankara im EuroCup. Korner weiß, was bis dahin zu tun ist.

Veolia Towers Hamburg: Meisner (19 Punkte), Hinrichs (14), Samar (10), Woodard (10), Clark (9), Childs (8), McCullum (7), Schoormann (5), Wohlfarth-Bottermann (4), Philipps.