Hamburg. Im Play-off-Halbfinale warten die Raiders Tirol. In der Hauptrunde brillierte die Verteidigung. Doch was macht sie so stark?
Das Herz eines durchschnittlichen Erwachsenen hat die Größe einer Faust und wiegt zwischen 250 und 300 Gramm. Das Herz der Hamburg Sea Devils ist 181 Zentimeter groß, wiegt 88 Kilogramm und hört auf den Namen Miguel Boock.
Zumindest ist das die Meinung von Kasim Edebali, und die Inbrunst, mit der der Topstar des Hamburger Teams aus der American-Football-Europaliga ELF seine Ansicht vertritt, lässt keinen Zweifel daran, dass auch die Mannschaft so denkt. „Miguel ist der wichtigste Mann in unserer Defensive. Er will einfach immer weitermachen, niemals aufgeben. Und diese Einstellung färbt aufs gesamte Team ab“, sagt also der 33-Jährige, der zwischen 2014 und 2019 in der US-Eliteliga NFL aktiv war und in dieser Zeit eine Menge höchsttalentierter Defensivkünstler kennenlernen konnte.
American Football: Sea Devils treffen im Halbfinale auf Raiders Tirol
Wenn die Seeteufel an diesem Sonnabend (14.45 Uhr, Stadion Hoheluft) im Halbfinale gegen die Raiders Tirol versuchen, auch im zweiten Jahr des ELF-Bestehens das Finale zu erreichen, das am 25. September in Klagenfurt (Österreich) ausgespielt wird, dann wird es erneut in erster Linie auf die Defensive ankommen.
Viel ist im Verlauf der Hauptrunde gesprochen worden über Glen Toonga (27), den britischen Runningback, der mit 21 Touchdowns und 1468 Rushing Yards die Ligawertung anführt. Über die beiden Hamburger Quarterbacks Salieu Ceesay (24) und Moritz Maack (25), die sich die Spielzeit brüderlich teilen und damit die Vorbereitung der Konkurrenz auf den Spielstil der Sea Devils erschweren.
Doch das Prunkstück der Mannschaft von US-Headcoach Charles Jones ist die Defensive. Dieses Bollwerk, das in zwölf Hauptrundenspielen nur 160 gegnerische Punkte zuließ und damit den ligaweiten Topwert erzielte. „Was diese Jungs bislang geleistet haben, das ist überragend. Sie haben uns in jeder Partie die Chance gegeben, den Sieg zu holen“, sagt Jones, der die Arbeit seines Defensive Coordinators Kendral Ellison besonders hervorhebt. „Kendral hat die Jungs im Griff und zu einer verschworenen Einheit geformt, die füreinander durchs Feuer geht“, sagt er.
Das sieht auch Kasim Edebali so. „Alles fängt mit Kendral an. Er war lange selbst Spieler und weiß genau, worauf es ankommt, um eine Gruppe zu motivieren und zu unterstützen. Er hat den größtmöglichen Respekt von jedem von uns“, sagt er. Ellison selbst grinst, auf derlei Lobpreisungen angesprochen, ein wenig verlegen, ehe er die Lorbeeren weiterreicht. „Ich arbeite hier mit einer Gruppe von Topleuten zusammen, die mich großartig unterstützen“, sagt der 34 Jahre alte US-Amerikaner, der beim Zweitligisten Hamburg Huskies vor der Corona-Pandemie Erfahrung als Cheftrainer gesammelt hatte, ehe er Anfang des vergangenen Jahres in den Trainerstab der Sea Devils einscherte.
Das Geheimnis der Sea-Devils-Defensive
Das Geheimnis der Defensivstabilität sei im Grunde genommen gar keins. „Es geht nur über extrem harte Arbeit, die ich vorzuleben versuche. Ich erwarte von den Jungs nichts, was ich nicht selbst schon gemacht habe. Jeder kennt das gemeinsame Ziel, und niemand darf auf dem Weg dorthin auch nur einen Zentimeter nachlassen“, sagt er. Zufriedenheit sei schließlich der größte Feind des Erfolgs. „Wir sind zwar Erster in der North Division und stehen wieder im Halbfinale, aber wir haben noch gar nichts erreicht. Zufrieden dürfen wir erst sein, wenn dieser verdammte Meisterring an unseren Fingern steckt.“
Recht habe sein Coach, sagt Kasim Edebali, der als Defensive End und Outside Linebacker agiert. „Unsere Mentalität ist, immer auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Man darf Siege feiern, aber schon in der nächsten Sekunde muss es darum gehen, es beim nächsten Mal noch etwas besser zu machen. Das ist der Unterschied zwischen einem starken und einem sehr starken Team.“ Miguel Boock glaubt, dass die Finalniederlage gegen Frankfurt Galaxy im vergangenen Jahr entscheidende Kräfte freigesetzt hat. „Wenn du einmal gefühlt hast, wie sehr so eine Niederlage schmerzt, dann willst du alles dafür tun, um es nicht noch einmal zu erleben“, sagt der 30 Jahre alte Linebacker.
Gegner Innsbruck ist für die Sea Devils eine Wundertüte
Weil in negativen Erfahrungen oftmals mehr Lerninhalt steckt als in Siegen, halten Boock und Edebali das Heimspiel gegen die Istanbul Rams vom 31. Juli für den wichtigsten Moment der bisherigen Saison. 0:17 stand es nach indiskutabler Defensivleistung zur Halbzeit, 29:26 am Spielende. „Da haben wir gesehen, dass wir auf Negativerlebnisse richtig reagieren, ruhig bleiben und unser Spiel umstellen können“, sagt Miguel Boock. Um die Lernkurve der Defensive zu veranschaulichen, verweist Kasim Edebali auf die beiden Partien gegen die Barcelona Dragons, die am Sonntag (14.45 Uhr) im zweiten Halbfinale bei den Vienna Vikings spielen. „In Woche zwei hatten wir gegen sie zwei Sacks und 21:24 verloren. In Woche 13 waren es 13 Sacks und ein 24:21.“
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Was das Team am Sonnabend gegen die Gäste aus Innsbruck erwartet, weiß niemand aus eigener Erfahrung, schließlich waren die Raiders erst zu dieser Saison in die ELF gekommen, ein direktes Duell gab es noch nicht. „Aber sie haben in jedem Bereich gefährliche Waffen. Ich erwarte ein hochklassiges Footballspiel, das wir gewinnen können, wenn alle ihre Leistungsgrenze erreichen“, sagt Kendral Ellison, der weiß, dass er sich auch in dieser Hinsicht auf die Herzkammer der Hamburg Sea Devils verlassen kann.