Nach dem 1:1 gegen Russland und dem Einzug ins Achtelfinale wollen die Algerier für die Schmach von Gijon 1982 Revanche nehmen. Interessant: Deutschland konnte noch nie gegen die Nordafrikaner gewinnen.
Curitiba. Die Freudengesänge der algerischen Fan-Massen hallten immer noch bis in die Katakomben des WM-Stadions von Curitiba, als Vahid Halilhodzic weit nach Schlusspfiff die alte Rechnung mit dem kommenden Gegner aufmachte: „Wir haben 1982 nicht vergessen, nicht Gijon, nicht Deutschland“, sagte der Nationalcoach der Nordafrikaner: „Es ist lange her, aber jeder Algerier weiß noch, was damals passiert ist.“
Auch wenn Algerien dem deutschen Team keine Angst einflößt, ist der Respekt da. „Bei einer Weltmeisterschaft gibt es keine Wunschgegner, auch keine einfachen Gegner, schon gar nicht in den K.-o.-Spielen“, sagte Bundestrainer Joachim Löw nach dem 1:0-Sieg gegen die USA und mahnte: „Dass die Algerier unbequem sind, haben sie bewiesen.“
Während auf den Straßen der Hauptstadt Algier Zehntausende nach dem 1:1 (0:1) im entscheidenden Gruppenspiel gegen Russland tiefnachts den historischen Achtelfinal-Einzug der Wüstenfüchse feierten, erinnerte der stets mürrische Bosnier im 9000 km entfernten Brasilien an das, was vor 32 Jahren bei der WM in Spanien vom Triumph zur nationalen Katastrophe geworden war: Das sensationelle 2:1 gegen die DFB-Elf, deren anschließenden Nichtangriffspakt mit Österreich, der Algeriens Goldene Generation um Rabah Madjer aus dem Turnier beförderte.
Am Montag (22 Uhr) erhält Algeriens Team, nein, Algeriens Volk in Porto Alegre gegen Deutschland endlich die Gelegenheit zur Revanche. Und Halilhodzic sieht seine krassen Außenseiter im ersten Achtelfinale der Landesgeschichte nicht chancenlos: „Wir haben heute gegen Russland ein tolles Spiel gezeigt. Aber wir können noch viel besser spielen. Und warum sollten wir das nicht gegen Deutschland zeigen“, sagte der 61-Jährige.
Auch das deutsche Team weiß, dass sich die Schlagzahl im Turnier nach der mit zwei Siegen und einem Unentschieden souverän erfüllten Vorrunden-Pflicht nun noch einmal erhöht: Im Vier- statt Fünf-Tages-Rhythmus geht es ab sofort weiter. „Jetzt geht es um alles oder nichts. Entweder man gewinnt oder man fährt nach Hause. In den K.o.-Spielen ist natürlich eine erhöhte Dynamik und Brisanz“, erklärte Löw voller Vorfreude und versprach für das erste „Endspiel“ gegen die Algerier: „Wir werden uns gut vorbereiten und freuen uns auf das Achtelfinale in Porto Alegre.“
Die Historie warnt: Gegen Algerien hat Deutschland erst zwei Länderspiele bestritten, beide gingen verloren, zuletzt 1982 mit 1:2 bei der WM-Vorrunde in Spanien. „Man kennt ja die nordafrikanischen Mannschaften“, kommentierte Torwart Manuel Neuer: „Sie sind sehr agil, sie rennen rauf und runter, sind auch vom Einsatz her da. Am Ball können sie eigentlich alles.“
Dass die Wüstenfüchse vor Selbstbewusstsein förmlich platzen, wurde im denkwürdigen Gruppenfinale von Curitiba deutlich. Russland musste gewinnen, Algerien reichte ein Remis. Und obwohl die Sbornaja wie ein Hornissenschwarm angriff und bereits in der sechsten Minute durch Alexander Kokorin in Führung ging, zeigten sich die Algerier unbeeindruckt.
„Ich war zur Halbzeit fest davon überzeugt, dass wir den Ausgleich schaffen. Und das habe ich der Mannschaft auch gesagt“, meinte Halilhodzic. Ismal Slimani (60.) traf schließlich zum 1:1, die Russen bissen sich danach die Zähne an den mit Leib und Seele verteidigenden Algeriern aus. Die drehten nach Schlusspfiff vor völlig euphorisierten Fans Runde um Runde mit ihren Landesfahnen. „Ein Traum ist wahr geworden“, sagte Siegtorschütze Slimane.
Und nicht nur ein algerischer. „Es gibt so viel Liebe für das algerische Team. Und das nicht nur in unserem Land“, sagte Halilhodzic : „Wir haben in den letzten Tagen so viele Sympathie-Botschaften aus der ganzen arabischen Welt bekommen. Die Menschen merken, dass wir Großes leisten. Und auch die Brasilianer mögen uns. Vor allem in Porto Alegre haben sie uns beim 4:2 gegen Südkorea gefeiert.“
Dort geht es eben nun gegen Deutschland, und Halilhodzic baut wieder „auf riesige Unterstützung von den Rängen“. Fragen zur deutschen Mannschaft blockte der Bosnier indes komplett ab. „Darf ich darüber vielleicht später reden? Wir haben doch jetzt das Recht zu feiern, oder etwa nicht“, sagte Halilhodzic.
Es war nicht das letzte Mal, dass er auf der Pressekonferenz nach dem Spiel barsch wurde. Als wiederholt die Frage nach dem am Sonnabend beginnenden Ramadan und die Auswirkungen der muslimischen Fastenzeit auf die algerischen Spieler aufkam, blaffte der Coach: „Wie oft denn noch? Es geht hier um Sport! Wir reden nicht über Relgion und Politik, ist das klar? Ende!“
Sprach's und stürmte aus dem Saal. In Halilhodzic glüht das Feuer, in seinen Spielern auch. Das sollte das DFB-Team nicht vergessen. Besonders 32 Jahre nach Gijon nicht.