Hamburg. Am Sonntag soll gegen den VfL Osnabrück die Saison gekrönt werden. Welche Kuriositäten bei den Aufstiegen 1977 und 1995 passierten.

  • Wenn der FC St. Pauli im Millerntor-Stadion gegen Osnabrück gewinnt, ist der Aufstieg sicher
  • Team und Fans des Kiez-Clubs sind heiß auf die Fußball-Bundesliga
  • Und die Verantwortlichen sorgen sich, dass es am Sonntag zu einem Platzsturm kommen könnte

Schon längst hat er sich einen Plan gemacht, wie er am Sonntag (13.30 Uhr, Sky und Liveticker abendblatt.de) das Spiel des Jahres verfolgen will, in dem sich der FC St. Pauli nach seiner festen Überzeugung mit einem Sieg gegen Schlusslicht VfL Osnabrück den Aufstieg in die Fußball-Bundesliga sichern wird.

„Ich mache es mir zu Hause vor dem Fernseher gemütlich und feiere dann mit einem guten Glas Wein“, sagt Rolf-Peter Rosenfeld (67), den alle, inklusive ihm selbst, „Buttje“ nennen. Alle bisherigen fünf Bundesliga-Aufstiege des Kiezclubs hat der frühere Außenverteidiger und Mittelfeldspieler intensiv erlebt – vier als Sportreporter, und am ersten 1977 war er aktiv als Spieler des FC St. Pauli beteiligt.

St. Pauli stieg 1977 schon am drittletzten Spieltag auf

„Es war ein holpriger Start in die Saison gewesen mit einer neu zusammengestellten Mannschaft“, erinnert sich Rosenfeld im Abendblatt-Podcast „Millerntalk“. Tatsächlich war sein Team damals nach elf Spieltagen nur Elfter unter den 20 Mannschaften der damaligen 2. Bundesliga Nord gewesen. „Danach sind wir aber in 27 Spielen hintereinander ungeschlagen geblieben und haben meistens gewonnen“, weiß er noch genau. Das hat jetzt nicht einmal der aktuelle Erfolgstrainer Fabian Hürzeler geschafft. „Ich war erst 20 Jahre alt, habe aber gemerkt, dass die Chemie im Team einfach stimmte“, sagt Rosenfeld und nennt Kapitän Rolf Höfert und Torjäger Franz Gerber („ein ähnlicher Spielertyp wie Gerd Müller“) sowie Torwart Jürgen Rynio als die wichtigsten Leitwölfe des Erfolgsteams.

Der ehemalige St.-Pauli-Profi Rolf-Peter „Buttje“ Rosenfeld (67) war Gast im Abendblatt-Podcast Millerntalk.
Der ehemalige St.-Pauli-Profi Rolf-Peter „Buttje“ Rosenfeld (67) war Gast im Abendblatt-Podcast Millerntalk. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Ein umjubelter Sieg zum Aufstieg im eigenen Stadion aber war der 1977er-Mannschaft nicht vergönnt. Am drittletzten Spieltag hatte es einen 1:0-Auswärtssieg beim SC Herford gegeben, der ärgste Verfolger Arminia Bielefeld spielte erst tags darauf beim Abstiegskandidaten Bonner SC. Es trat ein, was kaum einer für möglich gehalten hatte: Bielefeld verlor 1:2 in der Hauptstadt. St. Pauli hatte damit fünf Punkte Vorsprung, war wegen der damaligen Zwei-Punkte-Regel nicht mehr einholbar und direkt aufgestiegen.

St. Paulis Aufstiegsfeier in der Kneipe eines HSV-Stars

„Die meisten hatten es am Radio verfolgt. Wir haben uns zusammentelefoniert und im Bierbrunnen in Eppendorf getroffen“, erzählt Rosenfeld. Bonmot am Rande: Die beliebte Kneipe wurde von HSV-Profi Horst Blankenburg, der drei Tage später mit den Rothosen Europapokalsieger der Pokalsieger wurde, betrieben. All das ist heute völlig undenkbar.

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Es mutet kurios an, dass der FC St. Pauli nur einen seiner bisherigen fünf Aufstiege in die höchste Liga bei einem Heimspiel feiern konnte. Neben dem 1977er-Aufstieg auf dem Sofa gelangen die entscheidenden Siege dreimal auswärts: in Ulm (1988), Nürnberg (2001) und Fürth (2010). Was allerdings 1995 im Millerntor-Stadion geschah, werden alle Augenzeugen nie vergessen. St. Pauli durfte an diesem letzten Spieltag am 18. Juni 1995 nicht gegen den als Absteiger feststehenden FC Homburg verlieren, um auf einem der drei festen Aufstiegsplätze zu bleiben.

Platzsturm hatte keine negativen Auswirkungen

Das war sportlich kein Problem, bis zur 84. Minute hatte das Team von Trainer Uli Maslo ein 5:0 herausgeschossen und noch immer nicht genug. Dicht gedrängt standen die Zuschauer, die es nicht mehr auf ihren Plätzen gehalten hatte, direkt am Spielfeldrand, zehn Minuten vor Schluss waren die Außentore des Stadions geöffnet worden, eine zusätzliche Menschenmenge war ins Stadion geströmt. Als Schiedsrichter Bodo Brandt-Chollé (66) in der 87. Minute gar nicht anders konnte, als nach einem Foul an Jens Scharping auf Strafstoß für St. Pauli zu entscheiden, glaubten die meisten an den Schlusspfiff und stürmten das Spielfeld.

Der vor genau zwei Jahren verstorbene legendäre Stadionsprecher Rainer Wulff versuchte vergeblich, die Menschenmenge zur Rückkehr hinter die Auslinien zu animieren. In seiner Not rief er: „Der FC St. Pauli ist nicht aufgestiegen.“ Tatsächlich hätte ein Spielabbruch eine Niederlage am grünen Tisch zur Folge gehabt.

Diesmal soll der Rasen im Stadion verschont bleiben

Die frohe Kunde überbrachte der im Dezember 2021 verstorbene damalige Vize-Präsident Christian Hinzpeter, der in der Kabine mit dem Schiedsrichter gesprochen hatte. Dieser verkündete später auch öffentlich, dass er nicht etwa auf Strafstoß entschieden, sondern abgepfiffen habe. Er habe dabei auch nicht auf den Elfmeterpunkt, sondern zum Ausgang gezeigt, versicherte der Berliner Brandt-Chollé. Nur gut, dass der Spielertunnel tatsächlich auf derselben Seite des Stadions war.

Einen Aufstieg im Heimspiel will der FC St. Pauli jetzt endlich wieder feiern, wenn es am Sonntag gegen Absteiger Osnabrück geht. Ein Platzsturm wie 1995 aber soll möglichst vermieden werden. Der heute deutlich besser als damals gepflegte Rasen soll noch für Spiele des U-23-Teams und des Frauenteams erhalten bleiben.

Trainer Hürzeler spricht über Arschtritt als Motivation

Zunächst aber ist die Mannschaft von Cheftrainer Fabian Hürzeler gefordert, nach der ernüchternden 0:1-Niederlage im Stadtderby beim HSV wieder in die Spur zu kommen. „Ich habe in dieser Woche gemerkt, dass jeder einzelne Spieler individuelle Bedürfnisse im Sinne der Motivation hat“, verriet Hürzeler und ging auch ins Detail: „Du musst zum einen für die Mannschaft insgesamt die richtige Worte finden, zum anderen aber auch jeden Einzelnen versuchen abzuholen. Ist das eher einer, dem man einen Arschtritt geben muss oder einer, den man positiv unterstützen sollte.“

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Und dann ist da ja noch die Option, dass Tabellenführer Holstein Kiel am Sonnabendabend gegen den Dritten Fortuna Düsseldorf gewinnt, sich damit selbst und auch den FC St. Pauli in die Bundesliga hievt. „Wenn es so kommt, nehmen wir es mit. Aber unser Fokus liegt darauf, was wir beeinflussen können“, betont Hürzeler.

FC St. Pauli will auch Kiel noch von Platz eins verdrängen

Weder danach noch am Sonntag nach dem Spiel am Millerntor wird es eine ausgiebige Feier der Mannschaft in den Lokalitäten des Viertels geben. Der Grund ist ein einfacher: Am Pfingstsonntag (15.30 Uhr) steht noch das letzte Saisonspiel beim SV Wehen Wiesbaden auf dem Plan, für das es auch nach einem vorzeitigen Aufstieg ein sportliches Ziel gibt: die Saison als Meister abzuschließen. So wie 1977 mit Buttje Rosenfeld und Co.