Hamburg. Nach der Niederlage im Stadtderby muss das Millerntor-Team beweisen, dass es große Spiele gewinnen kann. Warum es daran Zweifel gibt.

Am Sonntagnachmittag mussten die Spieler des FC St. Pauli miterleben, dass ihre 0:1-Niederlage im Stadtderby beim HSV am Freitagabend nach dem ersten vergebenen Aufstiegs-Matchball eine weitere Folgewirkung hatte. Aufstiegskonkurrent Holstein Kiel zog mit seinem 1:0-Erfolg beim SV Wehen Wiesbaden in der Tabelle wieder am Kiezclub vorbei und geht nun als Zweitliga-Spitzenreiter in die beiden letzten Spieltage der Saison.

Damit haben die St. Paulianer zwar derzeit nicht mehr den Gewinn der Zweitliga-Meisterschaft, sehr wohl aber noch den direkten Bundesliga-Aufstieg in der eigenen Hand. Ein Sieg am Sonntag (13.30 Uhr) gegen den Tabellenletzten VfL Osnabrück würde in jedem Fall reichen.

St. Pauli hat direkten Aufstieg weiter selbst in der Hand

So eindeutig die sportliche Ausgangslage vor diesem Nordduell gegen eine Mannschaft, die in dieser Saison erst fünf Spiele gewonnen hat, so sehr stellt sich nach der vor allem offensiv mäßigen Leistung im Stadtderby die dringende Frage, ob es dem St.-Pauli-Ensemble auch einmal in einem Spiel von großer und entscheidender Bedeutung gelingt, seine in anderen Partien so oft gezeigte Top-Verfassung und Spielkunst auf den Rasen zu bringen.

Die Zweifel daran sind nach dem Derby gegen den HSV durchaus gewachsen. Schon im Hinspiel gegen den HSV im Millerntor-Stadion hatten die Kiezkicker eine 2:0-Führung noch verspielt und sich am Ende mit einem 2:2 abfinden müssen. Dieses als wichtigstes Spiel der Hinrunde empfundene Match wurde aufgrund des Verlaufs als Enttäuschung gewertet.

Schon im DFB-Pokal verlor St. Pauli ein bedeutendes Spiel

Noch intensiver in Erinnerung ist das Aus im Viertelfinale des DFB-Pokals ebenfalls im Millerntor-Stadion. Nur drei Tage nach einem überzeugenden 2:1-Auswärtssieg bei Fortuna Düsseldorf agierte das St.-Pauli-Team gegen denselben Gegner deutlich schwächer, erreichte zwar die Verlängerung und rettete sich hier durch einen Treffer in letzter Minute ins Elfmeterschießen, was aber 3:4 verloren ging, auch weil ausgerechnet Topscorer Marcel Hartel die Nerven einen Streich spielten.

Die personelle Rotation auf drei Positionen der Startelf, darunter der des Torwarts, wurde – teilweise auch vereinsintern – als zu gewagt bewertet und entsprechend Trainer Fabian Hürzeler angekreidet. Die Chance, mit dem Einzug ins Halbfinale sportlich etwas Großes zu erreichen und zudem das Vereinskonto mit 3,45 Millionen Euro an Pokalprämie zu befüllen, war gefühlt ziemlich leichtfertig vergeben worden.

St. Paulis zweiter Matchball gegen Osnabrück

Den St. Paulianern ist jetzt bewusst, dass sie zwar immer noch zwei Matchbälle für den direkten Aufstieg haben. Doch auf einen Showdown am letzten Spieltag beim SV Wehen Wiesbaden will es niemand wirklich ankommen lassen, auch wenn Trainer Hürzeler sagte: „Es ist positiv, dass wir noch zwei weitere Spiele in der Hand haben, die entscheiden, wie das Ding ausgehen kann.“

Keinen Zweifel aber ließ der 31 Jahre alte Coach daran, dass er überaus enttäuscht vom Resultat und vom Auftritt seiner Mannschaft in einem auch von ihm ganz persönlich als besonders wichtig empfundenen Match im Volkspark war. „Ich werde auf gar keinen Fall so tun, als wäre es nur irgendein Spiel gewesen. Auch mit einem 0:0 wäre ich nicht zufrieden gewesen“, sagt der so erfolgsverwöhnte Hürzeler, dessen Stadtderby-Bilanz als Cheftrainer jetzt ein Unentschieden und zwei Niederlagen aufweist.

Trainer Hürzeler: „Einige waren nicht am Maximum“

„Man kann jetzt wieder viel hineininterpretieren, aber wir werden das Spiel ganz genauso aufarbeiten wie Siege und andere Spiele auch und werden daran anknüpfen, mit Ball wieder bessere Lösungen zu finden und mutiger Fußball zu spielen“, sagte er und ergänzte: „Es gibt auch positive Aspekte. Wenn man verloren hat, heißt das nicht, dass alles schlecht war.“

Dann aber war es bei ihm vorbei mit der verbalen Diplomatie. „Wir werden ehrlich zu uns sein müssen und uns dabei ins Gesicht blicken. Einige Spieler waren nicht am Leistungsmaximum. Ich weiß nicht, warum das so war. Die Spieler waren nicht da, wo ich sie schon gesehen habe“, sagte er spürbar innerlich brodelnd.

Abwehrchef Wahl: „Niederlage wirft uns nicht um“

An Selbstkritik bei den Spielern selbst mangelt es offenbar nicht, was schon mal eine gute Voraussetzung für den nächsten Matchball ist. „Wir müssen es analysieren, damit wir gegen Osnabrück wieder deutlich besser spielen“, sagte Hartel, während Abwehrchef Hauke Wahl befand: „Es gibt ein paar Dinge, an denen wir schrauben müssen.“ Er stellte aber auch fest: „Wir sind gerade enttäuscht, aber ich glaube nicht, dass uns diese Niederlage umwerfen wird.“ Dies wird am kommenden Sonntag zu beweisen sein. Wahls Rezept dafür lautet: „Nicht so viele Gedanken machen, was nach dem Spiel sein könnte, sondern sich auf die 90 Minuten konzen­trieren.“

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Der Respekt vor dem kommenden Gegner ist trotz dessen nahenden Abstieg vorhanden. „Osnabrück ist eine eklige Mannschaft, wir haben das aus dem Hinspiel noch in Erinnerung“, sagte etwa Stürmer Johannes Eggestein. Im Dezember hatte es nach schwacher zweiter Halbzeit ein 1:1 an der Bremer Brücke gegeben.

Die in der vergangenen Woche verfügte Sperrung des VfL-Stadions führt jetzt zur kuriosen Situation, dass die Osnabrücker schon am Dienstag (18.30 Uhr, ohne Zuschauer) im Millerntor-Stadion ihr Nachholspiel gegen den FC Schalke 04 bestreiten. Für St. Paulis Trainerteam und die Spieler bietet sich somit die ungewöhnliche Chance, den kommenden Gegner live und aus der Nähe zu beobachten.

Holstein Kiel kann St. Pauli zum Aufstieg schießen

Es ist der Dramaturgie des Spielplans geschuldet, dass ausgerechnet Holstein Kiel am kommenden Sonnabendabend dem FC St. Pauli alle Ängste nehmen könnte, den vor wenigen Wochen noch sicher geglaubten, direkten Aufstieg noch zu verspielen. Gewinnen die Kieler „Störche“ das Topspiel gegen Düsseldorf, würden nicht nur sie selbst in die Bundesliga fliegen, sondern die Kiezkicker gleich mitnehmen, die dann selbst 15 Stunden nach dem Abpfiff in Kiel schon als feststehender Aufsteiger gegen Osnabrück antreten können. Sich auf ein solches Szenario zu verlassen, wäre allerdings fatal.