Hamburg. Der vorzeitige Aufstieg in die Bundesliga gelingt nicht – und das zumindest für diesen Tag verdient. Woran es lag.

Es hatte etwas von einem Schulterzucken, mit dem die Spieler, ja eigentlich der ganze Stab des FC St. Pauli samt Cheftrainer Fabian Hürzeler das quittierten, was normalerweise die maximale Demütigung sein müsste. 0:1 (0:0) im Stadtderby beim HSV verloren, dazu noch verdient. „Die Stadt gehört uns“ stand auf einem riesigen Banner der Nordtribüne des Volksparkstadions.

Und die Unterlegenen? Legten die Hände in die Hüften, klatschten fair ab und lieferten so ganz andere Szenen als bei den vorherigen Ausgaben dieses Duells. Die historische Chance verpasst, den Aufstieg in die Bundesliga beim Hauptkonkurrenten zu feiern. Ja und, dann eben nächsten Sonntag daheim im Millerntor-Stadion.

FC St. Pauli unterliegt HSV im Stadtderby

Ganz egal war es freilich nicht. St. Paulis Präsident Oke Göttlich hatte den Erfolg mit allen Mitteln erzwingen wollen. In einem seltenen Anflug von Aberglauben hatte er die selbe Sonnenbrille dabei, die er am 24. Mai 2015 trug, als die Kiezkicker mit 0:1 beim SV Darmstadt 98 verloren, wodurch die Hessen den Sensationsaufstieg in die Bundesliga schafften. „Die könnte heute noch eine Rolle spielen“, sagte der 48-Jährige nach seiner Ankunft im Tempel des großen Rivalen. Er hatte recht, allerdings nicht auf die Art, wie er es sich erhofft hatte. Gebraucht wurde sie trotzdem. Vielleicht um die milde Enttäuschung zu verbergen.

Mindestens aber, um vor dem Anpfiff das Glühen der roten Leuchtfeuern zu dimmen, dass die Gästefans der „Festung Volkspark“, die die HSV-Anhänger auf der Nordtribüne entrollten, entgegensetzten. So sehr wie Göttlich wollten die Kiezkicker ihr Glück nicht direkt erzwingen. Konnten sie anfangs auch gar nicht – weil direkt eine knapp dreiminütige Rauchpause nötig war, nachdem abermals gezündelt wurde. Und konnten sie danach auch nicht, weil die Gastgeber sie zeitweise maximal forderten.

Kiezkicker erleben Dramaturgie der Saison noch mal

Aber alles andere wäre doch auch dramaturgisch unwürdig gewesen nach einer Saison, in der die größtmögliche Herausforderung der Zweiten Liga gemeistert werden sollte: der Aufstieg. Leiden, noch mal richtig leiden sollten die Braun-Weißen, so schien es das Drehbuch vorgesehen zu haben. Ein geschicktes Verschieben und cleveres Positionsspiel in allen Ehren. Bewahrt einen in so mancher Situation vor dem Rückstand, selbst im großen Volksparkstadion. Aber an diesem Abend sollte die bisherige Serie ein weiteres Mal durchlebt werden.

Man dachte an all die herbeigeredeten Krisen, wie die Knipser-Kracher-Knaller-Diskussion zu Saisonbeginn über einen angeblich fehlenden Torjäger, als es vier Unentschieden in Serie gab. Längst vergessen, obwohl Johannes Eggestein einen freien Kopfball neben das Tor beförderte (41.) Man erinnerte sich an die Minikrisen wie die hergeschenkten Führung gegen den HSV (2:2), vor allem aber gegen die Aufsteiger VfL Osnabrück (1:1) und SV Wehen Wiesbaden (1:1). An die Ergebniskrise mit Niederlagen beim Karlsruher SC (1:2) und gegen die SV Elversberg (3:4). Alles gipfelnd mitten im auf Dauerflamme brennenden Krisenherd der Zweiten Liga, wo es schon in Durchgang eins mehrere brenzlige Situationen zu überstehen gab.

Vasilj hält St. Pauli erst im Spiel und patzt dann

In allen Lagen waren die Hamburger cool geblieben. Gegen den HSV waren es Torwart Nikola Vasilj, Karol Mets und der mit seinem Biss für solche Derbys geborene Manolis Saliakas (zumindest bis zum Platzverweis), die mit ihren Rettungstaten untermauerten, dass es nicht Göttlichs Sonnenbrille bedarf, um zu zeigen: Der Erfolg der bisherigen Saison ist kein Blendwerk. Mal war der FC St. Pauli an den Widrigkeiten gewachsen, mal mogelte er sich irgendwie durch, selten strauchelte er.

Diese Partie fiel in die dritte Kategorie. Die Elf vom Millerntor hatte Glück, nicht nur beim annullierten 1:0 von Robert Glatzel (20.), das wohl hätte zählen müssen. Vor allem in der zweiten Halbzeit musste die Mannschaft von Hürzeler einen weiteren Stresstest bewältigen. Gar nicht unbedingt durch die Vehemenz oder (mangelnde) Durchschlagskraft der HSV-Attacken, vielmehr durch die Penetranz. Wenn es wirklich mal eng wurde, wie nach einem Fehlpass des wackligen David Nemeth, den Ransford Königsdörffer aus der Distanz ins linke untere Eck hämmerte, war Vasilj auf dem Posten (77.).

Glatzel köpft den HSV zum Derbysieg gegen St. Pauli

Und dann war es der Bosnier einmal nicht. Die Ecke von Miro Muheim unterlief der seit Wochen herausragende Keeper. Hinter ihm lauerte Glatzel mit dem Kopf. Nicht mal mehr Kapitän Jackson Irvine konnte retten, was nicht mehr zu retten war (80.). Auch Tiefschläge können Herausforderungen sein. Und vermutlich wird das Derby dann sogar eines, aus dem die Kiezelf wachsen und emporsteigen kann. Bester Beleg hierfür: Vasilj stand schon in der Nachspielzeit wieder, als er fiel. Nämlich, um den Elfmeter von Ludovit Reis zu parieren (90.+7)

Durch den 3:1 (2:0)-Sieg des Tabellendritten Fortuna Düsseldorf im Parallelspiel gegen den 1. FC Nürnberg muss das finale Kapitel des Aufstiegsepos noch geschrieben werden. Dass der HSV sich nun Stadtmeister nennen darf, interessiert beim FC St. Pauli nur die Wenigsten und selbst die vermutlich nur ein paar Tage. Denn für mindestens ein Jahr wird der Erzrivale keine Gelegenheit bekommen, um den Titel in der Hansestadt zu spielen.

Göttlich wird die Sonnenbrille auch am kommenden Sonntag gegen Osnabrück ganz nah bei sich haben. Dann, wenn die Kiezkicker die Herausforderungen einer Saison bewältigt haben dürften, wird das Modeaccessoire auf ihre ultimative Probe gestellt: Tränen der Rührung zu verdecken und Bierduschen abzuwehren.

HSV: Raab - Reis, Hadzikadunic, Schonlau, Muheim - Poreba (70. Suhonen), Meffert (86. Van der Brempt), Pherai - Königsdörffer (86. Okugawa), Glatzel (90.+2 Németh), Dompé (90.+2 Öztunali).
FC St. Pauli: Vasilj - Nemeth, Wahl, Mets - Saliakas, Irvine, Kemlein (86. Saad), Metcalfe (86. Ritzka) - Afolayan (89. Albers), Eggestein (78. Amenyido), Hartel.
Tor: 1:0 Glatzel (85.). Schiedsrichter: Jöllenbeck (Freiburg). Zuschauer: 57.000 (ausverkauft). Besonderes Vorkommnis: Vasilj hält Foulelfmeter von Reis (90.+7). Gelbe Karten: Muheim (6), Meffert (11) - Metcalfe (6). Gelb-Rote Karte: Saliakas. Statistiken: Torschüsse: 12:10; Ecken: 5:1; Ballbesitz: 48:52 Prozent; Zweikämpfe: 111:91; Laufleistung: 116,1:113,6 Kilometer.