Hamburg. Warum der dringendste Bedarf an Verstärkungen im zentralen Angriff herrscht, und was Aufstiegsexperten dem Club jetzt raten.
Ganze elf Punkte fehlen dem FC St. Pauli noch, um ganz sicher und ohne Mithilfe der Konkurrenten wieder in die Fußball-Bundesliga zurückzukehren – 13 Jahre nach dem bisher letzten Abstieg. Aus den verbleibenden sieben Punktspielen der laufenden Zweitligasaison würden also vier Siege oder drei Siege und zwei Unentschieden dafür reichen – ein absolut machbares Unterfangen. Nie zuvor hat ein Zweitligist einen Elf-Punkte-Vorsprung auf Relegationsrang drei zu diesem Zeitpunkt der Saison noch verspielt und den Aufstieg verpasst.
FC St. Pauli plant längst die neue Saison
Auch wenn die sportlich Verantwortlichen am Millerntor, allen voran Trainer Fabian Hürzeler, von all diesen Rechenspielen nichts wissen wollen und stoisch darauf beharren, sich nur auf das nächste Spiel beim Karlsruher SC zu fokussieren, ist die Personalplanung für die kommende Saison natürlich längst im Gange. Davon zeugen nicht zuletzt die jüngsten Vertragsverlängerungen mit Torwart Nikola Vasilj, dem zuverlässigen und vielseitig verwendbaren Abwehrspieler Adam Dzwigala und natürlich – allen voran – Erfolgstrainer Fabian Hürzeler.
Dem 31 Jahre alten Coach trauen längst nicht nur ausgewiesene St.-Pauli-Anhänger, sondern auch etliche externe und neutrale Beobachter zu, seinem Team auch in der Bundesliga ein Spielkonzept zu vermitteln, das erfolgreich sein kann und sich in Nuancen den jeweiligen Stärken und Schwächen der Gegner anpasst.
Individuelle Klasse und geschlossene Mannschaft
Bleibt die entscheidende Frage nach der Qualität der Spieler, die Hürzeler für dieses Vorhaben zur Verfügung stehen werden. Wie bundesligatauglich ist der aktuelle Kader des souveränen Zweitliga-Tabellenführers? Ist womöglich ein großer personeller Umbruch und die Verpflichtung etlicher erstligaerfahrener und namhafter Akteure nötig, um überhaupt eine Chance auf den Klassenverbleib zu haben?
Die Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. FC St. Pauli 34 / 62:36 / 69
2. Kiel 34 / 65:39 / 68
3. Düsseldorf 34 / 72:40 / 63
4. HSV 34 / 64:44 / 58
5. Karlsruhe 34 / 68:48 / 55
6. Hannover 34 / 59:44 / 52
7. Paderborn 34 / 54:54 / 52
8. Fürth 34 / 50:49 / 50
Die zweite Frage ist zweifellos zu verneinen. Die aktuelle St.-Pauli-Mannschaft besitzt zwar vor allem in Person von Topscorer Marcel Hartel (15 Treffer, zehn Torvorlagen), Abwehrchef Eric Smith sowie Mittelfeldspieler und Kapitän Jackson Irvine einige individuell herausragende Spieler. Die entscheidenden Gründe aber, warum das Millerntorteam – wie schon in der Rückserie der vergangenen Saison (41 Punkte aus 17 Spielen) – in dieser Spielzeit die mit Abstand erfolgreichste Mannschaft der Zweiten Liga ist, sind das kollektive und disziplinierte Defensivverhalten sowie der einstudierte Kombinationsfußball bei eigenem Ballbesitz. Alle Spieler kennen die dafür nötigen Abläufe.
Aufstiegstrainer Stanislawski lobt Kern der Mannschaft
Stürmer Johannes Eggestein bestätigte dies erst jetzt wieder. Nach dem 2:1-Sieg gegen den SC Paderborn verriet er, dass die von hinten rechts gestartete Kombination, die letztlich in der 1:0-Führung durch Hartel endete, genauso mehrfach im Training geübt worden war. Ein größerer personeller Umbruch wäre eher eine Gefahr für diese Geschlossenheit als eine Chance auf eine höhere individuelle Klasse.
Auch St. Paulis bisher letzter Aufstiegstrainer Holger Stanislawski (54) schätzt die Situation ähnlich ein. „Wenn der Kern der Mannschaft so bleibt, hat man ein eingespieltes Team, bei dem der Trainer gar nicht mehr so sehr auf das Grundlegende achten muss, weil es die Jungs aufgesogen haben. Es ist nicht so, dass du als Aufsteiger in der Bundesliga chancenlos bist“, sagt er. „Man sieht ja am 1. FC Heidenheim, dass man mit seinen eigenen Qualitäten, die man schon in der Zweiten Liga hatte, auch in der Bundesliga bestehen kann“, stellt Stanislawski weiter fest.
1. FC Heidenheim dient als aktuelles Vorbild
Tatsächlich haben sich die Heidenheimer, deren Merkmal vor allem körperliche Physis und hohes Tempo sind, nach dem Aufstieg nur punktuell verstärkt, wobei der einzige bundesligaerfahrene Neuzugang der von Werder Bremen ausgeliehene Stürmer Eren Dinkci (22) war. Als Tabellenelfter hat der FCH aktuell beste Chancen auf den Klassenverbleib.
Auch in den Jahren zuvor hatten sich immer wieder einmal vergleichsweise kleinere Clubs wie der VfL Bochum, Arminia Bielefeld und nicht zuletzt Union Berlin mindestens das erste Jahr nach dem Aufstieg in der Bundesliga halten können. „Ich denke, diese St.-Pauli-Mannschaft kann sich schon jetzt mit einigen Bundesligateams messen. Es wird auch in der kommenden Saison sechs, sieben Mannschaften geben, für die es nur darum geht, 40 Punkte für den Klassenerhalt zu holen“, sagte kürzlich St. Paulis viermaliger Bundesliga-Aufsteiger André Trulsen (58).
Zoller, Albers und Maurides spielen praktisch keine Rolle
Ganz ohne Veränderungen im Kader aber wird es auch beim FC St. Pauli nicht gehen. Der größte Handlungsbedarf ist eindeutig im zentralen Angriff auszumachen, wo es schon jetzt de facto keine Alternative zum spiel- und lauffreudigen, kombinationssicheren Johannes Eggestein gibt. Die drei nominellen Mittelstürmer Andreas Albers, Maurides und Simon Zoller haben in der gesamten bisherigen Saison aus verschiedenen Gründen praktisch keine Rolle gespielt.
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Es wäre fahrlässig, auf einen von ihnen auch noch eine Liga höher zu setzen. Ein torgefährlicher „Brecher“ wie ihn aktuell der VfL Bochum in Philipp Hofmann (1,95 Meter) und der 1. FC Heidenheim in Tim Kleindienst (1,94 Meter) besitzen, sollte zumindest als Option für bestimmte Momente, etwa für einen Rückstand in der Schlussphase eines Spiels, hinzugeholt werden.
„Wenn du dich sinnvoll mit nur drei, vier verschiedenen Spielertypen verstärkst, die diesen Kader in der Breite stärker machen können, um gegen Ausfälle gewappnet zu sein, kann es was werden“, sagt Stanislawski, der mit St. Pauli auch 1995 und 2001 als Spieler aufgestiegen war.
Auch auf den offensiven und defensiven Außenbahnen, im zentralen Mittelfeld und im Tor als Alternative zu Stammkeeper Nikola Vasilj könnte jeweils ein neuer Spieler als Verstärkung zielführend sein, um auch die interne Konkurrenzsituation auf einem hohen Niveau zu halten. Doch erst einmal müssen bis spätestens 19. Mai die noch fehlenden, maximal elf Punkte her.