Hamburg. Der Vertragspoker um den Cheftrainer des Kiezclubs nähert sich dem Ende – der Ausgang lässt mehrere Optionen offen.
15 Jahre ist es mittlerweile her, dass RTL letztmalig den „Domino Day“ ausstrahlte. Das Format, bei dem per Kettenreaktion möglichst viele Dominosteine in möglichst hübschen Bildern fallen sollten, war einst überaus erfolgreich, wurde letztlich aber wegen finanzieller Schwierigkeiten eingestellt.
Die Neuauflage namens Trainer-Domino scheint ohnehin die wesentlich spannendere und, da wir uns im Profifußball befinden, längst lukrativere zu sein. Doch einer der Dominosteine scheint nicht umzufallen. Die Herausforderer beim Domino Day hätten, optisch immer sehr bemüht, vermutlich ein kleines Konterfei von Fabian Hürzeler darauf geprintet.
Hürzeler verlängert offenbar bei St. Pauli
Wenn Xabi Alonso zum FC Bayern München geht, dann habe Bayer Leverkusen Hürzeler auf dem Schirm – so lautete eine Meldung der vergangenen Tage. Der designierte deutsche Meister habe für diesen Fall Sebastian Hoeneß auf dem Zettel, der VfB Stuttgart würde diesen dann durch Hürzeler ersetzen, war ein anderes häufig zitiertes Gerücht. Und womöglich brauchen ja – bitte durchatmen – Borussia Dortmund, RB Leipzig, Eintracht Frankfurt, die TSG Hoffenheim, der VfL Wolfsburg und Borussia Mönchengladbach auch noch neue Übungsleiter, und Hürzeler müsste sich eigentlich mindestens fünfteilen.
Alle wollen ihn, der FC St. Pauli hat ihn, und darf ihn theoretisch wohl auch behalten. Denn nach Abendblatt-Informationen bleibt die heißeste Aktie des deutschen Trainermarktes bis auf Weiteres in Besitz des Kiezclubs.
Vollzug dürfte bald vermeldet werden
Nach langwierigem Verhandeln sind nun offenbar beide Seiten übereingekommen, die überaus erfolgreiche Zusammenarbeit fortzusetzen und den zum Saisonende auslaufenden Vertrag zu verlängern. In den kommenden Tagen dürfte offiziell Vollzug vermeldet werden.
St. Pauli war von Anfang an Hürzelers präferierte Option. Mit anderen Vereinen wurde zu keinem Zeitpunkt aktiv verhandelt. Die Hamburger strecken sich wiederum gewaltig, um den vermutlich besten Coach der bisherigen Vereinsgeschichte an sich zu binden.
Ausstieg bei Nichtaufstieg
Der Punkteschnitt des 31-Jährigen liegt bei sensationellen 2,17 Zählern pro Zweitligapartie, seit er am 23. Dezember 2022 als damaliger Assistent des freigestellten Timo Schultz befördert wurde. Bei zehn ausstehenden Begegnungen der aktuellen Saison ist St. Pauli auf Aufstiegskurs, hat als Tabellenführer sieben Punkte Vorsprung vor dem HSV auf Relegationsrang drei. Alles andere als ein Aufstieg in die Bundesliga wäre eine massive Enttäuschung und zugleich der nahezu sichere Abschied von Hürzeler.
Denn selbstverständlich bedeutet es bei großen Dominobildern nicht, dass ein stehen gebliebener Stein den gesamten Prozess zum Erliegen bringt. In den vergangenen Wochen drehte sich bei den Vertragsverhandlungen, die mal als zäh, mal als fast gescheitert, mal als vielversprechend beschrieben wurden, vieles um eine Ausstiegsklausel für diesen Sommer. Dass Hürzelers neues Vertragswerk eine beinhaltet, dürfte gewiss sein. Das Minimalkriterium: Bei einem verpassten Aufstieg dürfte der Erfolgscoach gehen.
Wahl: "Thema beschäftigt die Mannschaft nicht"
Bislang beeinflussten die Vertragsgespräche um ihren Trainer die Mannschaft nicht. Zu groß ist der Ehrgeiz aufzusteigen, die einmalige Chance zu ergreifen.
„Mit dem Thema beschäftigen wir uns als Mannschaft nicht. Das ist die Aufgabe der sportlichen Leitung. Wir haben genug mit unseren Aufgaben zu tun, es hat keinen Einfluss auf die tägliche Arbeit“, sagte Innenverteidiger Hauke Wahl am Mittwoch. Die vorherrschende Klarheit dürfte nun allenfalls für zusätzliche Motivation sorgen.
Agentur Roof berät Hürzeler
Aber wie klar ist die Situation eigentlich? Um dies zu ergründen, ist ein Blick in Richtung des Münchener Vororts Grünwald nötig. Dort ist der Geschäftssitz von Roof, der Agentur, die Hürzeler berät. Ein „big player“, marktführend in Deutschland mit einem Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro.
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139 Spieler, darunter Kai Havertz, Serge Gnabry und Marc-André ter-Stegen, mit einem Gesamtwert von rund 720 Millionen Euro hat Roof unter Vertrag. Dazu neun Trainer. Die bekanntesten: 2014er-Weltmeister Per Mertesacker, Argentiniens Weltmeistercoach Lionel Scaloni, Marco Rose, Oliver Glasner und Fabian Hürzeler.
Die Spielervermittler genießen einen guten Ruf
Geschäftsführer Thorsten Wirth (45) beschrieb sein Unternehmen 2022 in einer „Sportschau“-Dokumentation als „Personalvermittler“, der allerdings längst über das bloße Transfergeschäft hinausgeht. „Wir kümmern uns um Performance, Vermarktung, Pressearbeit und Social Media unserer Spieler“, sagt Wirth.
Der Ruf von Roof (haha) in der Szene ist gut. Die Bayern arbeiten seriös, diskret, aber natürlich auch mit maximalem Fokus auf ihre Klienten. Bei Hürzeler ging die Agentur weit, sehr weit. Die Gespräche sollen überwiegend sachlich geblieben, am vorvergangenen Wochenende dennoch gefährlich nahe am Scheitern gewesen sein.
Hürzeler ist eng mit seinem Berater befreundet
Einige in der Szene rieten Hürzeler dazu, die Agentur zu wechseln, wenn er doch eigentlich bleiben wolle, sich gegen seine Berater aber nicht durchsetzen kann. Abgesehen davon, dass der Wahrheitsgehalt dessen in Abrede gestellt werden muss, gibt es zwei weitere Gründe, weswegen diese Option nie bestand.
Zum einen ist Hürzeler mittlerweile vertrauensvoll mit seinem Berater Hannes Winzer befreundet. Beide kennen sich, seit der Trainer ein 15 Jahre altes Talent des FC Bayern München war, das Winzer in seiner damaligen Funktion für den Sportartikelhersteller Adidas gewinnen konnte.
Ausstiegsklauseln im Vertragswerk enthalten
Zum anderen, weil Roof „sich nichts ergaunert“. Das sagte wiederum David Raum in der „Sportschau“-Doku. Roof habe ihn damals nicht mit Schuhen und Materiellem geködert, sondern mit Perspektive und Blick auf die sportliche sinnvollste Situation.
Zurück zu Hürzeler und wo diese für ihn liegt. Auf St. Pauli? Die Unterschrift unter dem neuen Vertrag bedeutet eine „Ja, aber“-Verlängerung. Nebst Ausstieg bei Nichtaufstieg ist es wahrscheinlich, dass der wohl mit einer hohen sechsstelligen Summe dotierte Kontrakt diverse weitere Klauseln enthält.
Unterschrift bedeutet keine Garantie
Wie aus Vereinskreisen zu hören war, sei es möglich, dass bei einer entsprechenden Anfrage bis in den April hinein eine Ausstiegsoption infrage kommen könnte, die allerdings auch eine gepfefferte Ablösesumme in mehrfacher Höhe von Hürzelers Jahresgehalt beinhaltet.
St. Pauli würde dadurch zwar einerseits die unmittelbare Kontrolle verlieren, behält aber andererseits die Chance, mit Hürzeler mindestens eine Saison in der Bundesliga zu bestreiten oder gegebenenfalls reich dafür entlohnt zu werden, ihm vor eineinhalb Jahren die Chance gegeben zu haben. Der zeitliche Vorlauf, dann einen Nachfolger zu finden, wäre noch akzeptabel. Um im Bild zu bleiben: Der letzte Dominostein muss noch nicht gefallen sein.