Hamburg. Das von Frauen des FC St. Pauli organisierte Sport-Projekt feiert am 8. März zehnjähriges Bestehen. Fast 400 Spieler waren schon dabei.
Einmal in der Woche ist Training. In der Feldarena, unterhalb der Nordtribüne des Millerntor-Stadions. 20 bis 30 junge Männer kicken hier, kämpfen, laufen, lachen, fluchen – und folgen den Anweisungen ihrer insgesamt fünf ehrenamtlichen Trainerinnen.
„Gar kein Problem“, sagt Hagar Groeteke, eine der Frauen, die sich als Übungsleiterin und Mitorganisatorin beim FC Lampedusa St. Pauli engagiert, „jeder Mensch hat eine Mutter, jeder Mensch hört von Anfang an auf Frauen.“
Das Team spielte erstmals 2014 bei einem Turnier
So – dieses Vorurteil ist damit abgeräumt: Junge Machos und Frauen. Ist Quatsch, das läuft hier gut. Und wenn es doch mal zu Themen kommt, sind die schnell ausgeräumt: „Dahinter steht nur der Wunsch nach Aufmerksamkeit, die will schließlich jeder irgendwie“, so Groeteke.
Sie weiß sehr gut, wovon sie spricht. Vor zehn Jahren hat sie den FC Lampedusa mitgegründet. Am 8. März 2014
hat sie gemeinsam mit ihren ehemaligen Fußball-Kolleginnen entschieden, das bis dahin selbst organisierte Team zu coachen und zu organisieren. Das gilt als offizielle Geburtsstunde des Projekts am internationalen Frauentag.
Knapp 400 Spieler waren in zehn Jahren dabei
Groß gefeiert wird über mehrere Tage vom 21. bis 24. März. Training für alle mit internationalen Gästen, unter anderem
unter anderem mit einem ehemaligen Trainer von Celtic Glasgow, Feier im Jolly Roger, ein Hallenfußballturnier in der Thadenstraße, Party in den Fanräumen, ein Brunch und Talk im Clubheim St. Pauli – volles Programm also.
Es gibt ja auch viel zu erzählen und zu erinnern. „Etwa 400 Spieler hatten wir in den zehn Jahren“, schätzt Nico Appel, die ebenfalls von Anfang an als Trainerin dabei ist, „da erlebt man die unterschiedlichsten Schicksale und Geschichten. Es ist auch für uns immer wieder ein emotionales Auf und Ab.“
Lampedusa-Gruppe kam 2013 nach Hamburg
Kurzer Rückblick: Nach dem Ende des Bürgerkrieges in Libyen wurden dort afrikanische Arbeitsmigranten verfolgt. Sie flohen zur Insel Lampedusa. Etwa 300 von ihnen gelangten über Italien ab März 2013 nach Hamburg.
Sie kämpften um ein Bleibe- und Arbeitsrecht als Gruppe und wurden dabei von Kirchenverbänden und Vereinen, Künstlern, Fußballfans sowie Partei- und Gewerkschaftsmitgliedern unterstützt. Die St. Pauli-Kirche gewährte einigen Obdachlosen der Gruppe im Juni 2013 Unterkunft und Schlafgelegenheiten.
Aus einer Lampedusa-Soligruppe entstand schließlich der FC Lampedusa Hamburg. „Da waren wir, Leute aus der Hafenstraße und vom Frauenfußball, und die meinten ‚Ihr könnt doch Fußball spielen, macht doch mal was mit denen“, erinnert sich Hagar. Das Angebot schlug ein, Fußball eint, Fußball schafft Ablenkung.
FC St. Pauli nahm die Gruppe 2016 auf
Nach einigem Hin und Her fand sich schließlich eine Trainingszeit in der Feldarena, dank der Fußball-Herrenabteilung des FC St. Pauli, dessen Amateurabteilung der FC Lampedusa seit 2016 angegliedert ist. Den Namen „Lampedusa“ behielt das Fußballteam in Erinnerung an die Herkunft der ersten Geflüchteten, seit dem Frühjahr 2015 ist jedoch jeder willkommen, der seine Heimat verlassen musste.
„Sie alle eint eine ähnliche Erfahrung, da weiß jemand aus Syrien ebenso wie jemand aus der Ukraine, wie es ist, seine Heimat aufgeben zu müssen“, sagt Nico Appel. Der Fußball schafft Verbindungen über das Kicken hinaus.
Viele Spieler sind untereinander vernetzt
„Viele ehemalige Spieler sind noch untereinander vernetzt“, erzählt die Grafik-Designerin. Sie und ihre Mitstreiterinnen haben auch noch viele Kontakte. Da gibt es dann auch die menschlich anrührenden Momente, wie von dem jungen Kosovaren, der abgeschoben dennoch sein Glück fand und ein Foto von seinem Baby schickte.
Aber es gibt eben auch die Geschichten des Scheiterns. Bis hin zum Tod. „Einer unserer Spieler ist mit den Umständen seines Lebens nicht klar gekommen“, erzählt Hagar Groeteke, „er ist immer tiefer in eine Drogenabhängigkeit geraten und hat das nicht überlebt.“
Finanzierung durch Spenden
Die Fluktuation im Team ist groß. Spieler ziehen um in eine andere Stadt, finden Arbeit und haben keine Zeit mehr. Andere haben ein Bleiberecht und schließen sich einem „richtigen“ Fußballverein an, um Punktspiele bestreiten zu können, andere werden abgeschoben. Konstant ist die Idee – und die Menschen, die sie tragen.
„Wir finanzieren uns durch Spenden“, erklärt Hagar Groetecke. Die „Kiezhelden“ des FC St. Pauli unterstützen regelmäßig, Einzelpersonen überweisen ab und an für einzelne Projekte, es gab auch schon mal Fußballschuhe zum Einkaufspreis. „Und wir lassen uns einladen“, so Nico Appel.
FC Lampedusa bestreitet keine Punktspiele
Ehrenamtlichkeit ist dennoch ganz essentiell für solch ein soziales Projekt. Der FC Lampedusa St. Pauli konzentriert sich auf Fußball. Es gibt ermöglicht durch die Ultras und die Fanräume aber auch alle zwei Wochen eine kostenlose Rechtsberatung für Geflüchtete in den Fanräumen des Millerntor-Stadions.
Punktspiele bestreitet der FC Lampedusa St. Pauli nicht. Dazu müsste man Spielerpässe beantragen. Und das ist nicht so einfach. Denn beim FC Lampedusa wird nicht gefragt, wer einer ist, ob er sich ausweisen kann, ob er bleiben darf oder nicht. Auch nicht, wie alt er ist – 16 muss er sein, das ist die einzige Voraussetzung. Neben dem Spaß am Fußball.
Reise nach Barcelon „Champions League“
Das Team bestreitet deswegen Freundschaftsspiele, wird eigeladen von befreundeten Mannschaften. Auch in anderen Städten und Ländern gibt es Teams, die großteils aus geflüchteten Spielern bestehen. Bei einem Testspiel der Profis 2016 gegen den FC Sevilla durfte Lampedusa die Mannschaften beim Einlaufen ins Millerntor begleiten.
Im gleichen Jahr gab es eine Einladung nach Barcelona ins Rathaus zur Bürgermeisterin Ada Colau. Der FC Lampedusa hatte den zweiten Platz bei einem internationalen „City to City-Award“ belegt. Der FC Barcelona hat diue Flüge bezahlt. „Das war unsere Champions League“, sagt Nico Appel. Ein Highlight.
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Dagegen steht, dass die genaue Trainingszeit nicht veröffentlich werden soll. Man weiß ja nie, wer da möglicherweise vorbeischauen möchte. Denn dass die Einstellung in der Gesellschaft gegenüber Migranten insgesamt feindseliger geworden ist, ist auch nicht zu leugnen.
Um so wichtiger ist die Unterstützung für Menschen in Not. Wobei die Trainerinnen vom FC Lampedusa St. Pauli es ablehnen, das Wort „Helfen“ zu nutzen. „Dass erfordert immer Dankbarkeit“, erklärt Nico Appel, „wir machen das aber nicht für andere, sondern für uns alle– weil wir eine bessere Welt durch einen anderen Fußball erschaffen wollen.“