In der Kreisklasse geht es um mehr als Fußball. Auf dem Trainingsplan stehen Gemeinschaft, Heimat, Integration und gegenseitige Hilfe. Auch Gehörlose kicken mit. Und eine Mannschaft hat ausschließlich Heimspiele
Ganz unten, wo die Plätze noch oft aus Grand sind, die Kabinen mit PVC ausgelegt und das Duschwasser kalt. Wo die Zuschauer die Freundinnen sind und die paar alten Männer, die schon immer da waren. Ganz unten, wo der Schiedsrichter alleine pfeift – und manchmal gar keiner kommt. Aber das Bier oder das Wasser hinterher umso besser schmecken. Ganz unten, wo der Fußball noch vor allem Spaß ist und weniger Leistungsdruck, hier in der Kreisklasse liegt die Basis des Sports. 205 Mannschaften nehmen im Hamburger Fußballverband an den Punktspielen der Kreisklasse A und B teil. Aufgeteilt in sechs und acht Staffeln, das allerunterste Ende der Hierarchie – neunte und zehnte Liga von oben.
Meilenweit weg von Bundesliga ist das, eine andere Welt. Ewig entfernt selbst von der Oberliga, Hamburgs höchster Klasse, in der schon richtig Geld fließt. Die Spielqualität mag also überschaubar sein, der alte Schmähbegriff von der „Fußlümmelei“ tatsächlich zutreffen. Dafür sind viele Typen und Teams umso spannender. Der Filmtitel „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ scheint wie gemacht für Hamburgs Kreisklasse.
Na klar, von Eintracht Fuhlsbüttel hat inzwischen sogar bundesweit fast jeder schon gehört. Seit 1980 nimmt die Gefängnisauswahl am regulären Spielbetrieb teil, das ist deutschlandweit einmalig. Nur Heimspiele – alle lächeln wissend. Aber kein Witz. Seit 2008/09 werden die Spiele regulär gewertet. Mehrmals hat die Mannschaft aus „Santa Fu“ die Meisterschaft gewonnen, aufsteigen kann sie trotzdem nicht – der ewige Heimvorteil steht dagegen. Gerhard Mewes trainierte das Team seit 1980 und hat sogar ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben. „Ich sehe immer zuerst den Fußballer – und nicht den Straftäter“, sagte Mewes. Gastmannschaften berichten von dem etwas beklemmenden Zugang zur Spielstätte hinter Mauern: Handys abgeben, Pässe vorzeigen, Leibesvisitation. Die Umkleidekabine wird abgeschlossen. Aber auch daran gewöhnt man sich. Sonst geht es hart zu, fieser Grandplatz, Pöbeleien von den Zuschauern, Revanchefouls. Insgesamt aber bleibt alles fair. Kreisklasse eben. Dritter sind die Fuhlsbütteler derzeit in Staffel sechs – drei Plätze vor dem Gehörlosen SV.
Ein Weltrekordversuch im Straßendribbling
Auch das ist ein Traditionsclub im Hamburger Fußball. Schon 1904 wurde der „Taubstummen-Turnverein zu Hamburg“ gegründet, aus dem 1949 der immer noch bestehende GSV hervorging. „Bei uns spielen circa 70 bis 80 aktive Fußballer, alte Herren, Senioren und 1. Herren. Der Punktspielkader hat etwa 20 Spieler“, erzählt Geschäftsführer Horst-Peter Scheffel mithilfe einer Gebärdendolmetscherin. Die Hamburger Andre Rohwedder und Nick Biyakoglu gehörten zum Kader der deutschen Nationalmannschaft, die 2017 den fünften Platz bei den Deaflympics belegte.
Die Spieler kommen aus ganz Norddeutschland zu dem Club, denn die Hamburger sind im Norden der einzige Gehörlosensportverein, der am Fußball-Ligabetrieb teilnimmt. Viele haben vorher auch in „normalen“ Clubs gekickt, sind aber zu den Gehörlosen gewechselt, weil die Verständigung im Training oder bei Teambesprechungen eben schwierig war. Das ist beim GSV anders, „das Training bei uns läuft natürlich in der eigenen Sprache“, sagt Scheffel. Bei den Punktspielen sind Flaggensignale durch den Schiedsrichter wichtig, es sind aber auch immer einige Hörende dabei, die unterstützen. „Wir haben etwa zehn, elf Leute im Club, die Gebärdensprache beherrschen oder lernen. Zum Beispiel Kinder von gehörlosen Eltern“, berichtet Scheffel.
Die Gehörlosen bestreiten ihre Punktspiele auf dem Rasenplatz an der Memellandallee, direkt gegenüber ist ein Trainingsplatz des FC Hamburger Berg. Im vierten Jahr gibt es den Verein erst, der 2016 mit seinem Weltrekord im Dauerfußball über 111 Stunden Schlagzeilen und auf sich aufmerksam machte. Die Erste spielt in der Kreisklasse A 7. Aus einer Schnapsidee von Türstehern der Kneipenszene auf St. Pauli ist ein Vorzeige-Integrationsprojekt geworden. Aus 20 Mitgliedern wurden über 300 aus 22 Nationen. Viele Spieler der ersten Mannschaft sind vom FC Lampedusa, dem Flüchtlingsfußballprojekt rund um die St.-Pauli-Kirche, gekommen. Vier Teams kicken inzwischen. „Wir haben eben auch ein bisschen mehr gemacht“, erzählt Hoffmann, „es gab auch was zu essen und trinken und gespendete Ausrüstung wie Schuhe.“ Sogar einen Tochterclub in Accra haben sie gegründet, der dieses Jahr dort in der dritten Liga einsteigt. Und das nächste PR-Projekt ist auch schon in Planung: ein Weltrekordversuch im Straßendribbling. Da kommt im Sommer was auf Hamburg zu. Das soll dann auch wieder etwas Sponsoren- und Spendengeld bringen, das brauchen sie immer: „Das soziale Engagement steht weiter oben auf unserer Liste“, sagt Hoffmann.
Das gilt ebenso für die „Nestwerk Allstars“. Das ist eine Spielgemeinschaft aus Kickern, die als Jugendliche aus einem schwierigen sozialen Umfeld im Verein Nestwerk e. V. von Moderator Reinhold Beckmann unterstützt wurden und dem SC Victoria.
Seit dieser Saison nimmt das Team am regulären Punktspielbetrieb in der Kreisklasse B4 teil. Sie sind gut, Spieler wie Mubarak Alassani (20) haben es drauf – zumindest auf dem Fußballplatz. Nach der Hälfte der Saison führt die Mannschaft die Tabelle an. Abseits vom Fußballfeld aber brauchen viele weiterhin Unterstützung bei der Suche nach Lehrstellen, der Vermittlung von Ausbildung, dabei, ihren Platz zu finden in dieser Gesellschaft. „Die Beratung und Begleitung über den Fußball hinaus ist ein wichtiger Teil unseres Projekts“, sagt Projektmitarbeiter Klaas Woller von Nestwerk, „sportlich als auch in der Sozialarbeit, muss ich sagen, läuft es echt ganz gut.“
Ganz andere „Sozialarbeit“ leisten sie bei den Hamburg Hurricanes. Die sind das Sammelbecken für Menschen jeder Nationalität, die in der Hansestadt leben, studieren, arbeiten und Fußball spielen wollen. „Wir wollen ihnen eine Heimat in Hamburg bieten“, sagt Clubpräsident und -gründer Luke Webster (35), „es ist nicht so einfach, wenn du fremd in einem Land bist.“ Das gilt auch für Leute, die von ihren Firmen hierhergeschickt wurden oder studieren.
So war es bei Luke Webster vor sechs Jahren. Der Engländer kam für den Job, weiter Fußball spielen wollte er aber auch. Hat dann mal bei einem „deutschen Club“ mittrainiert. „Aber das funktionierte irgendwie nicht. Mein Deutsch war auch noch recht schlecht.“ Seit zwei Jahren mischen die Hurricanes nun im Punktspielbetrieb mit. Im ersten Jahr stiegen sie sofort auf, und auch in dieser Saison in Kreisklasse A4 sind sie aussichtsreich oben dabei. Doch der Sport ist es eben nicht allein – die „Hurricane-Familie“ unterstützt Neuankömmlinge auch bei Alltagsproblemen. „Wir haben ein großes Netzwerk“, erzählt der französische Trainer Guillaume Hounsome: „Wir haben Leuten schon geholfen, Jobs, eine Wohnung und sogar eine Freundin zu finden.“
FC Bulgaria ist derzeit Tabellenführer der Kreisklasse
Heimat im Sport, das ist ein immer wiederkehrendes Thema auch im Hamburger Fußball. Sich in der Muttersprache unterhalten, gemeinsame Bräuche durchziehen, Feste feiern, Spiele gewinnen und verlieren. In ihren Fußballclubs erhalten sich zahlreiche Nationen die eigenen Wurzeln. Vom Africa United Sportclub bis Blau-Weiß Ellas sind über 30 Vereine mit unterschiedlichen ethnischen Hintergründen beim Hamburger Fußballverband gemeldet. Darunter auch zwei, die in Deutschland einmalig sind.
Der FC Bulgaria ist derzeit Tabellenführer der Kreisklasse B1. In seiner ersten Saison überhaupt. „Viele bulgarische Landsleute, die nach Hamburg gekommen sind, wissen nicht, wohin“, sagte Vereinsgründer Asen Iliev, „und wir wollen auch etwas gegen das oft schlechte Image von Bulgaren tun. Wir wollen zeigen, dass wir ganz ruhig sind und keinen Stress machen.“
Skepsis und Vorurteile schlugen und schlagen auch dem SV Muslime immer wieder mal entgegen. Bis hin zu massiven Beleidigungen ging das. Die Polizei wollte 2008 eine erweiterte Prüfung aufgrund der Gründung eines Ausländervereins durchführen – nur waren und sind eben die allermeisten der rund 30 Mitglieder deutsche Staatsbürger.
„Unser Ziel war und ist es, durch den Sport Brücken zu bauen. Deshalb haben wir den Namen SV Muslime ausgewählt. Wir wollten zeigen, dass wir genauso sind wie alle anderen, nämlich Freunde des Sports. Leider sind Begriffe wir Islam und Muslime häufig negativ behaftet, wir möchten dies gerne ändern“, sagt Vereinspräsident Benjamin Linden. Dementsprechend bemühen sie sich um besonders vorbildliches Verhalten auf dem Platz. Dreimal hat das Team aus der Kreisklasse A7 schon den Fairplaypreis der HFV gewonnen.
Überwiegend in Deutschland geboren sind auch die Spieler von Indian Football. „Wir haben in unterschiedlichen Vereinen gespielt aber kannten uns aus dem Tempel“, erzählt der Vorsitzende Sawan Kumar, „irgendwann hatten wir dann Lust, zusammenzuspielen.“ Auf der Wiese in der Freizeitliga haben sie 2012 angefangen, jetzt sind sie in der dritten Saison in der Kreisklasse B2 dabei. „Die Sache ist gewachsen, bei uns spielen inzwischen sogar auch Türken, Deutsche und Iraner mit“, erzählt Kumar, „manche Inder, die beruflich oder wegen des Studiums nach Hamburg kommen, haben über das Internet schon vorher Kontakt zu uns aufgenommen.“
Stichwort Heimat. Das ist das, was den Fußballern des Störtebeker SV fehlt. Schon der Name! Legende, Rebell, Pirat, Grasbrook. Und damit sind wir schon in der HafenCity. Der Sportverein wurde 2007 gegründet. „Die Idee war, Altstadt und Neustadt durch den Sport mit der HafenCity zu verbinden“, sagt Geschäftsführer Manfred Jörgensen. Übergreifend auch für sozial Schwächere Sportangebote anzubieten war die Idee, der Name Störtebeker war deshalb auch Programm: „Der nahm von den Reichen und gab den Armen“, so Jörgensen. Aber die Stadtplanung spielte da nicht mit. Kinderturnen, fit ab 60, Taekwondo, Fitness, Pilates: Das alles geht, aber bis heute gibt es in dem neuen Stadtteil keinen Fußballplatz, auf dem reguläre Punktspiele ausgetragen werden können. Also kickt der Störtebeker SV aus der Kreisklasse A3 in Horn an der Snitgerreihe. „Das ist nicht unsere Heimat und nicht unser Umfeld“, sagt Jörgensen, „wir können dort auch keine Jugendabteilung aufbauen.“
Doch es gibt Hoffnung. Der Oskar-Kesslau-Sportplatz im nahen Hammerbrook soll in den nächsten zwei Jahren komplett umgebaut und renoviert werden. „Dann starten wir einen völligen Neuaufbau“, hofft Manfred Jörgensen. Störtebeker – jeder weiß das – war auch nicht so leicht totzukriegen. Und passt damit genau in die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen.