In Hamburg hat sich der FC Lampedusa formiert – eine Fußballmannschaft aus afrikanischen Flüchtlingen. Die Männer schwitzen auf dem Platz eines Türsteher-Vereins. Gecoacht werden sie von Frauen.
Hamburg. An Türstehern ist oft nur schwer vorbeizukommen, doch in Hamburg erweisen sie sich als wahre Türöffner: Seit kurzem teilt ihr Fußballclub, der FC Hamburger Berg, das Trainingsgelände im Stadtteil Bahrenfeld mit jungen afrikanischen Fußballern, die sonst ohne Heimat dastehen. FC Lampedusa, so nennen sich die fußballbegeisterten jungen Männer, die bei der Flucht aus ihrer Heimat über die italienische Insel Lampedusa nach Norddeutschland gekommen sind – und nun im Westen Hamburgs zumindest ein sportliches Zuhause gefunden haben.
Einmal die Woche rennen sie über den Ascheplatz, schlagen Pässe, dribbeln zwischen Hütchen hindurch. Sie tragen alte Trikots von Ronaldinho, Ljungberg oder Messi und heißen Noah, Gibril oder Mohammed. Manche rufen sich verheißungsvolle Namen zu: Rambo, Mystikal – oder Bixay (Big say), der Torwart mit der großen Klappe. Die Männer, die meist aus Ghana, Niger oder Mali stammen, vereint die Diskussionskultur – jede vergebene Torchance wird beim Trainingsspiel mit einer Mischung aus Englisch, Französisch und afrikanischen Sprachen quittiert.
Auf der anderen Hälfte des Platzes kommandiert der Trainer des FC Hamburger Berg seine Kicker. Bei jedem Pfiff wuchten sich die Muskelberge in die Höhe.
Der Kiez-Verein wurde erst in diesem Jahr von Mitgliedern der Hamburger Türsteher-Szene offiziell gegründet. „Wir wissen selbst, wie schwer es ist, einen Trainingsplatz in Hamburg zu bekommen. Auch wir mussten lange suchen“, sagt der Vereinsvorsitzende, Ralph Hoffmann. Für ihn sei es selbstverständlich, ja „Ehre und Vergnügen“, den Platz mit Flüchtlingen zu teilen. Er habe bereits in die Wege geleitet, sie bald als offizielle Mitglieder in den Verein aufzunehmen. „Hier können sie sich zwei Stunden lang mit Fußball den Kopf freispielen.“ Breites Kreuz, großes Herz: Nach jedem Training stellen ihnen die Kiez-Kicker einen Kasten Malzbier in die Umkleidekabine.
Der FC Lampedusa lebt von der Unterstützung
Anfang vergangenen Jahres hatten etwa 300 Flüchtlinge in Hamburg Zuflucht gesucht – unter ihnen viele junge Männer. 2011 waren sie den chaotischen Zuständen in ihren Heimatländern entronnen, auf dem Weg nach Europa landeten sie auf der italienischen Insel Lampedusa. Italien war aber nur eine Zwischenstation: Erst kamen sie in Flüchtlingslagern unter, dann wurden sie mit Touristen-Visa in Richtung Norden geschickt und landeten schließlich in Hamburg. Als „Lampedusa-Flüchtlinge“ machten sie bundesweit Schlagzeilen, als etwa 80 von ihnen in der St.-Pauli-Kirche Unterschlupf fanden. Heute leben sie in der ganzen Stadt verteilt.
Der FC Lampedusa lebt von der großen Unterstützung der Bevölkerung: Alte Fußballschuhe wurden gespendet oder mit Spenden finanziert. Die Handballerinnen des FC St. Pauli sammeln regelmäßig Shampoos bei ihren Spielen ein. Eine Designerin entwarf ein eigenes Logo: ein Rettungsring, in dessen Mitte sich ein Anker zur Faust ballt. „Lampedusa is here to play and to stay“, lautet der Slogan des FCL.
„Da viele Flüchtlinge keine Papiere besitzen, stellt der Verband keine Spielerpässe aus – und dem FC Lampedusa bleibt der Vereinsstatus verwehrt“, erklärt die Trainerin des FCL, Gabriele Kröger. Vom Seitenrand dirigiert sie die Angriffe – ein Flaschenbier baumelt in ihrer Hand, eine Zigarette raucht zwischen den Fingern. „Technisch sind die Jungs super versiert. Aber ich bin froh, wenn ich jemanden überreden kann, in der Verteidigung zu spielen oder einfach mal zuzuhören“, sagt Kröger, die eigentlich ein Frauenfußballteam beim FC St. Pauli betreut.
Heute hat Keeper Bixay sein Handgelenk verstaucht. Sein Kumpel Spice mit dem zurückgebundenen Rasta-Zopf musste sich deshalb die Torwarthandschuhe überstreifen – die meiste Zeit stürmt er aber als fliegender Torhüter in der anderen Hälfte des Spielfelds. Durch Konterangriffe hat seine Mannschaft einige Kontertore kassiert. „No Defence“, scherzt Spice, als das Training zu Ende ist. Ein anderer hat sich das T-Shirt ausgezogen, präsentiert seinen Waschbrettbauch. „Das Beste am FC Lampedusa ist: Hier bin ich kein Flüchtling, sondern einfach nur Fußballer“, sagt er, kurz bevor er zur Umkleide trottet. Eine Flasche kühles Malzbier wartet bereits auf ihn.