Hamburg. Die Lage des Millerntorteams scheint derzeit ähnlich wie vor zwei Jahren. Doch es gibt einige entscheidende Unterschiede.
Es ist die beliebteste Floskel von Vereinsvertretern und Fans, wenn ihr Team aus dem DFB-Pokal ausgeschieden ist: Jetzt könne man sich endlich auf das Wesentliche, nämlich die Ligaspiele, konzentrieren und sei nicht mehr abgelenkt vom schönen Traum vom Pokalfinale im ausverkauften Berliner Olympiastadion.
Für den am Dienstagabend im Pokal-Viertelfinale an Fortuna Düsseldorf gescheiterten FC St. Pauli halten die kommenden dreieinhalb Monate in der Zweiten Liga tatsächlich etwas sehr Wesentliches bereit, nämlich die sehr realistische Perspektive, endlich einmal wieder in die Bundesliga aufzusteigen – zum dann sechsten Mal in der Vereinsgeschichte und 13 Jahre nach dem bisher letzten Abstieg. An Motivation, nach dem Aus im Pokal den Blick umgehend nach vorn zu richten, mangelt es also keineswegs.
St. Pauli verspielte vor zwei Jahren den Aufstieg
Skeptiker verweisen in diesem Zusammenhang allerdings mit gewissem Recht darauf, dass die aktuelle Tabellenkonstellation vor zwei Jahren ähnlich aussichtsreich wie jetzt war. Auch da grüßte das Millerntor-Team nach 19 Spieltagen von der Tabellenspitze, besaß vier Punkte Vorsprung auf Relegationsplatz drei und hatte das – später als jetzt ausgetragene – Viertelfinale im Pokal erreicht. Das Ende ist bekannt. Das Team gewann in der gesamten Rückrunde nur noch fünf Spiele und holte magere 21 Punkte. Am Ende fehlten so sechs Zähler zum direkten Aufstieg. Schlimmer noch: Dieser Negativtrend setzte sich in der Hinrunde der folgenden Saison fort und verschärfte sich sogar.
Wiederholt sich jetzt Geschichte und platzt nach dem Pokal- auch der Aufstiegstraum? Ganz auszuschließen ist dies nicht, dafür sind die Entwicklungen in einer derart ausgeglichenen Liga zu dynamisch. Doch es gibt heute deutliche Unterschiede zur Situation vor zwei Jahren.
Vor zwei Jahren über 50 Gegentore mehr als jetzt
Damals gewann das Millerntor-Team keines der ersten vier Rückrundenspiele. Jetzt ist es mit zwei Siegen in die zweite Halbserie gestartet. Nach 19 Spielen standen 2022 nur 37 statt jetzt 39 Punkte zu Buche. Wichtiger aber noch ist, dass das Team damals 25 Gegentore und damit über 50 Prozent mehr als jetzt kassiert hatte. Vier Niederlagen hatte es schon gesetzt, jetzt ist die Mannschaft noch ungeschlagen.
Anders gesagt: Es mangelte an der defensiven Stabilität, die in aller Regel nötig ist, um ganz Großes zu erreichen. Lange wurde dieser Makel vom Angriffsduo Guido Burgstaller/Daniel Kofi Kyereh (zusammen 33 Scorerpunkte nach 19 Spielen) übertüncht. Als Burgstaller aus privaten Gründen zurück nach Österreich wollte und Kyereh verletzt vom Afrika-Cup zurückkam sowie sich mit Bundesliga-Angeboten beschäftigte, war es mit der offensiven Herrlichkeit nahezu vorbei.
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Und noch ein anderer, leistungsmindernder Aspekt kam hinzu: Bei nicht weniger als acht der zumindest regelmäßig eingesetzten Akteure lief der Vertrag am Saisonende aus. Mit keinem von diesen wollte oder konnte (Finn Ole Becker) der Verein den Kontrakt verlängern, andererseits sollten sie bestmöglich performen. Das konnte nicht funktionieren. Heute stellt sich die Lage völlig anders dar. Die meisten Stammspieler sind über das Saisonende hinaus an St. Pauli gebunden. Die Ausnahme bildet Marcel Hartel, der sich mit seiner Zukunft aber erst im April beschäftigen will. Tendenz bei ihm und allen anderen Leistungsträgern: Wenn St. Pauli aufsteigt, bleiben sie am Millerntor. Auch, weil es teamintern derzeit einfach stimmt.
St. Paulis Pokalaus ist nur beim Aufstieg zu verschmerzen
Bleibt also nur die weiter offene Trainerfrage. Sollte es zwischen Fabian Hürzeler, seinen hartnäckigen Beratern und der Vereinsführung weiter keine Einigung geben, kann dies das ganze, so stabile Konstrukt ins Wanken bringen.
Gelingt am Saisonende dem FC St. Pauli aber tatsächlich der Sprung in die Bundesliga, wird das vermeidbare Pokalaus gegen Düsseldorf zu verschmerzen sein – sportlich und auch wirtschaftlich. Aber eben auch nur dann. Ansonsten wird sich der Frust über eine Saison der verpassten Chancen ausbreiten und darüber, wesentliche Eckpfeiler einer beeindruckenden Mannschaft zu verlieren. Umso mehr muss diese alte Floskel, sich nun auf das Wesentliche konzentrieren zu können, von allen mit Leben gefüllt werden.